4000 Skifahrer und Snowboarderinnen verletzen sich jedes Jahr schwer –trainierte Muskeln wären gut
Rund 3,2 Millionen Schweizer Schneesportlerinnen und Schneesportler zieht es laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) im Winter in die Berge – Winterwanderer inklusive. Um die 52’000 verletzen sich dabei beim Skifahren, 10’000 beim Snowboarden und 6000 beim Schlitteln. Achtzig Prozent verletzen sich nur leicht und fallen weniger als einen Monat auf der Arbeit aus. Sechs Prozent aber, also rund 4000 davon, trifft es hart: Sie erleiden so schwere Verletzungen, dass sie mindestens 90 Tage nicht mehr arbeitsfähig sind oder es gar in der Invalidität mündet.
Wir nehmen kurz vor dem Sportferienhype einen Augenschein im Spital Davos. Während des Weltwirtschaftsforums herrschte nicht allzu viel Betrieb, die Notfallstation war um die Mittagszeit wenig besucht. «Das wird sich nun radikal ändern», sagt Spitalleiter Daniel Patsch. «Deshalb verdoppeln wir in der Wintersaison die Bettenzahl auf 50.»
Abertausende Wintersportler sind im Februar an sonnigen Tagen auf den weitläufigen Pisten in Davos Klosters Mountains unterwegs. Die Unfallchirurgen sind vorbereitet. Via Pistenrettung und Rettungsdienst kommen die Verunfallten schnell ins Spital. In rund 15 Prozent der Fälle wird die Rega angefordert. Schwerverletzte werden ins Kantonsspital Chur geflogen.
Personalknappheit ist hier selten – dank Freizeitangebot
«Dass wir überlastet sind, ist höchst selten», sagt Patsch. Genügend Pflegepersonal und Assistenzärzte zu finden, fällt in Davos leichter als andernorts: Diese Saisonstellen sind gerade bei jungen Fachleuten beliebt. Und doch bleibt die Sorge bestehen, jederzeit genügend Operationsfachkräfte zu haben. Mit 380 Mitarbeitenden (280 Vollzeitstellen) ist das Spital Davos der grösste Arbeitgeber im Tal.
Eine dreistündige Operation hat Luisa Fiammetta Londino (36), Kitaleiterin aus dem Bergell, hinter sich. «Ski and Fly war mein Traum. Doch der siebte Trainingsflug noch ohne Ski endete im Fiasko», erzählt sie. Bei Windstille war sie im Parsenngebiet gestartet. Einige hundert Meter tiefer erfasste sie eine Böe, liess sie trudeln und zu Boden stürzen. «Jetzt ist es vorbei, dachte ich vor dem Aufprall.»
Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb sie in der Nähe des Davoser Sees liegen. Ein Gleitschirmkollege und Soldaten leisteten erste Hilfe. Der Rettungsdienst war rasch zur Stelle. Das rechte Schienbein samt Fussgelenk war an drei Stellen gebrochen. Eine Platte fixiert nun die gebrochenen Knochenteile. «Ich werde nie mehr Gleitschirm fliegen», hält die Bergellerin fest. Die nächsten 10 Wochen wird sie an Krücken gehen. Ihr steht eine lange Reha bevor.
Freestylerin war bald wieder fit
Erleichtert ist Genna Calonder, eine 17-jährige Spitzensportlerin des Sportgymnasiums Davos. Alles ist wieder möglich. Vor einem Jahr hatte sie sich im Europacup Halfpipe in Crans-Montana einen Kreuzbandriss mit Verletzungen an beiden Menisken zugezogen. «Nach dem Sprung bin ich gut gelandet. Doch danach habe ich die Ski verkantet», berichtet sie. Trotz Schmerzen fuhr sie mit dem Zug nach Davos zurück. Nach der Operation im Spital Davos folgte eine neunmonatige Reha. «Nun habe ich spezifische Knieübungen zur Prävention ins Trainingsprogramm eingebaut», sagt die junge Freestylerin.
Die Reha dauert bei einem 20-jährigen Unfallopfer mindestens ein halbes Jahr. Zwei Jahre seien es bei den Sechzigjährigen, sagt der Chefarzt Chirurgie und Orthopädie, Hans-Curd Frei. Die häufigsten Verletzungen auf der Piste sind Kniefrakturen, Kreuzbandrisse, Handgelenk-, Schlüsselbein- und Unterschenkelbrüche.
Die unfallträchtigsten Tage sind der Freitag und das Wochenende bei schöner Witterung. 14- bis 16-stündige Arbeitstage sind dann für ihn die Regel. «80 bis 90 Prozent der Unfälle sind durch Unaufmerksamkeiten bedingt», hält er fest. Schliesslich sei das Knie für einen Fuss vorgesehen und nicht für einen 1,5 Meter langen Hebel.
Mehr Unfälle wegen Carvingski
Nicht die hohen Tempi auf den Pisten sind das Problem, sondern die Taillierung der Ski. Vor allem das Carven bei geringer Geschwindigkeit hat es in sich. Die Skispitze kann sich auch mit geringem Kraftaufwand im Schnee festgraben. In der Regel sind die Bindungen aber auf höhere Tempi beziehungsweise Kräfte eingestellt. Schienbeinkopfbrüche und Knieverletzungen sind deshalb bei Stürzen nicht selten.
Es zeigt sich, dass die Kosten bei Snowboardunfällen in der Regel die Hälfte derer bei Skiunfällen betragen. Die Verletzungen beim Boarden sind meistens nicht so ausgeprägt und betreffen hauptsächlich Arm, Hand, Schulter und Schlüsselbein.
Dass übermässiger Alkohol und THC bei den Pistenunfällen eine grosse Rolle spielen, verneint Frei. Dass Après-Ski-Sportler abends spät nach einem Sturz auf eisiger Strasse noch in den Skischuhen eingeliefert werden, ist eher der Fall.
Über Knochenbrüche wird geforscht – aber besser wäre präventives Training
Kein Wunder ist in Davos auch ein Forschungszentrum zu Knochenbrüchen ansässig: Das AO Innovation Translation Center und AO Research Institute Davos arbeitet eng mit dem Spital zusammen. Verbesserungen bei der Frakturheilung mit weniger invasiven Eingriffen, eine bessere Stimulation der Knochenheilung und präzisere Reha-Programme stehen auf dem Forschungsprogramm. Der neuentwickelte distale Radiusnagel bei einem handgelenksnahen Bruch der Speiche ist so ein Beispiel.
«Muskeltraining ist die beste Prävention beim Wintersport», hält Chirurg Frei fest. Dass das früher propagierte Skiturnen nicht mehr in Mode ist, bedauert er. «Die schnellen Bewegungsabläufe in den Gelenken lassen sich mit ausgiebigem Training besser meistern.» Wie schnell das Kreuzband gerissen ist, hat auch Jennifer Ribeiro (44) aus Chur auf der Piste erlebt. «Als ich das rechte Bein belastete, rutschte mir der linke Ski nach vorne weg. Beim Zurückziehen verkantete ich und verdrehte mir das Knie.» Der operative Kreuzbandersatz war die Folge.