Der Bund publiziert die IV-Renten wegen Long Covid nicht mehr
In den schwersten Fällen von Long Covid ist selbst nach einem Jahr keine Verbesserung in Sicht. Diese Betroffenen sind ganz oder teilweise arbeitsunfähig. Spätestens dann raten die Ärzte in den Long-Covid-Sprechstunden zu einer Anmeldung bei der Invalidenversicherung (IV). 2021 haben das 1672 Personen getan, 2022 waren es 1847. Seither nehmen die Anmeldungen ab, im Jahr 2023 gab es 1312 Anmeldungen und bis Ende Oktober 2024 bislang 687.
Im Jahr 2021 erhielten nur 2 Prozent dieser angemeldeten Patienten eine IV-Rente, 2022 dann 4 Prozent. Wie es in diesem oder letztem Jahr aussieht, ist nicht bekannt: Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat beschlossen, nur noch die Anmeldungen, aber nicht mehr die Zahl der Neu-Renten wegen Long Covid zu publizieren. Kommuniziert wurde dies nicht. Das BSV erfasst generell nur sechs Krankheitskategorien konstant, darunter IV-Renten wegen Unfall, psychischer Krankheiten, Leiden am Skelett oder wegen nervlicher Beschwerden an Sinnesorganen.
Die Erfassung der Renten aufgrund von Long Covid war eine Ausnahme. Das BSV stellt sich nun auf den Standpunkt, die Renten-Leistungen könnten ohnehin nicht in Bezug gesetzt werden zu den Anmeldungen wegen Long Covid: «Nur ein Teil der Anmeldungen mit Covid-Zusammenhang betrifft Menschen, die tatsächlich unter Long Covid leiden», heisst esauf der Website.
Die weitere Argumentation liest sich nicht schlüssig. So heisst es beispielsweise, die Anmeldung bei der IV könne auch vor der Feststellung des Zusammenhangs mit einer Covid-19-Erkrankung erfolgt sein. Doch im selben Abschnitt schreibt das BSV, dabei gehe es um Personen, bei denen «medizinisch belegte gesundheitliche Folgen nach einer Covid-19-Erkrankung vorliegen».
Das Bundesamt sieht zahlreiche Störfaktoren bei der Erhebung
Des Weiteren führt der Leiter der Kommunikation des BSV, Harald Sohns, aus, dass unter den Anmeldungen auch chronisch kranke Personen mit schwereren Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sein können, deren Gesundheitszustand sich durch die Infektion verschlechtert habe. «Das wären Versicherte, bei denen Covid klar eine Rolle spielt, deren Gesundheitsverschlechterung mit Auswirkung auf die Erwerbsfähigkeit aber nicht Long Covid ist.»
Erachtet das BSV den Graubereich also als zu gross, um die Zahlen veröffentlichen zu können? Harald Sohns sagt: «Das ist kein Unsicherheitsbereich, sondern es ist völlig unklar, ob die Personen, deren Anmeldung erfasst wurde, sich effektiv wegen eines Covid-Leidens angemeldet haben und ob sie an Long Covid leiden.»
Gleichzeitig werden aber die Anmeldungen bei der IV wegen Long Covid weiterhin publiziert. Sohns begründet das damit, dass das «zumindest eine klare Aussage» sei, auch wenn man daraus nicht viel interpretieren könne.
Nicht immer ist das BSV aber zurückhaltend mit Schlussfolgerungen aufgrund seiner offenbar unklaren Zahlen. Es schreibt im Fazit: «Insgesamt lässt sich aus der Sicht der IV feststellen, dass sie die Folgen der Pandemie gut bewältigt. Gemessen am Total der Anmeldungen machen die Anmeldungen aufgrund einer Post-Covid-19-Erkrankung bei den IV-Stellen nur einen kleinen Teil aus.» Und aus den vielen Post-Covid-Anmeldungen von Versicherten, die keine Rente erhalten, folgert das BSV, «dass die Erwerbsfähigkeit der von der Post-Covid-19-Erkrankung betroffenen IV-Versicherten sich in sehr vielen Fällen dank guter medizinischer Betreuung und gegebenenfalls mit Unterstützung der IV bei der Eingliederung deutlich verbessert oder wiederhergestellt werden kann».
Für die Long-Covid-Patienten, die sich seit der Pandemie über mangelnde Unterstützung beschweren und erzählen, die Ärzte wüssten bei der Diagnose oft nicht, was tun, ausser dass die verbleibende Energie gut einzuteilen sei, muss das wie ein Hohn tönen.
Viele bemängeln auch je nach Region in der Schweiz bis heute, dass sie trotz Arbeitsunfähigkeit infolge der Covid-19-Infektion und trotz entsprechender Unterlagen von Ärzten noch keine IV-Rente erhalten haben.
Eine Studie soll Klarheit schaffen
Gleichzeitig scheint seit Anfang der Pandemie und mit der Erforschung von Long Covid auch beim BSV ein Umdenken stattgefunden zu haben: Einzelne Long-Covid-Ärzte berichten, dass fast alle ihrer angemeldeten Patienten eine Rente erhalten hätten. Das sagen zumindest eine Ärztin in der Region Thun und eine in der Stadt Zürich. Selber schreibt das BSV einsichtig: «Bei der Post-Covid-19-Erkrankung handelt es sich um ein neues Krankheitsbild, das zunehmend wissenschaftlich genauer definiert wird. Auch die IV lernt laufend dazu.»
Um den Erkenntnisstand zu verbessern, sind laut BSV vertiefte Analysearbeiten im Gang. Gemeint ist eine Studie, die schon 2021aus einem Postulatder Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates hervorging. Es soll unter anderem untersuchen, wie viele Personen, die tatsächlich Long Covid haben, zwischen 2021 und 2023 eine IV-Rente erhalten haben. Die Studie soll Anfang 2025 publiziert werden. Sie wird eine Momentaufnahme bleiben.