SP und Grüne lancieren fast zeitgleich zwei Umwelt-Initiativen – und streiten jetzt um die Vorherrschaft
Der Sonntag war noch ganz jung, da war die Schweizer Politik schon um zwei Volksinitiativen reicher. Oder zumindest um zwei Ankündigungen. Und sie war auch um eine Anekdote reicher in einem Verhältnis, das zunehmend komplizierter wird: Dem zwischen den Grünen und der SP.
Doch der Reihe nach. Die Sozialdemokraten taten am Sonntagmorgen via Twitter kund, dass sie eine Volksinitiative planen, um den «ökologischen Umbau» der Schweiz voranzutreiben. Das ist normalerweise nicht der Ort und auch nicht die Zeit, um solche Pläne bekanntzugeben. Initiativen sind politische Prestigeobjekte, die sorgfältige Inszenierung gehört dazu. Eigentlich.
Dass es diesmal anders war, lag an den Grünen. Deren Präsident Balthasar Glättli hatte am gleichen Morgen in der «NZZ am Sonntag» eine grüne Initiative für die «ökologische Wende» angekündigt. Das zentrale Instrument dafür: ein Fonds, gespiesen mit etwa sieben Milliarden Franken. Die SP wiederum schlägt zur Umsetzung ihrer Pläne einen – richtig erraten – Fonds vor. Die Grössenordnung? Genau, sieben Milliarden Franken jährlich.
Die aufmüpfige kleine Schwester
Das klingt ganz schön ähnlich. Und das von zwei Parteien, die so etwas wie Schwestern sind. Hier die kleine, grüne. Da die grosse, rote. Allerdings ist zuletzt passiert, was in Geschwisterbeziehungen gerne einmal vorkommt: Die Kleine wird aufmüpfig. Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 haben die Grünen gewaltig zugelegt, ihren Wähleranteil mit über 13 Prozent auf einen Schlag fast verdoppelt. Die SP dagegen hat zwei Prozent verloren und steht noch bei knapp 17.
Die kleine Schwester legte zu, auch auf Kosten der grossen. Und der Trend setzte sich zuletzt bei verschiedenen kantonalen Urnengängen fort. Eine Erklärung dafür liegt auf der Hand: Das Klimathema verfängt. Und bringt vor allem den Grünen Stimmen. In der SP ärgert man sich darüber schon länger, weil man findet, dass man eigentlich mehr fürs Klima erreicht hat. Und das einfach nicht vermittelt bekommt.
Jetzt hatten die linken Schwestern offenkundig ähnliche Ideen, um sich für das Wahljahr 2023 zu positionieren. Und beide nehmen für sich in Anspruch, die Erfinder zu sein. Der SP-Fraktionschef Roger Nordmann verweist darauf, dass die Initiativpläne auf dem Klima-Marshallplan fussten, den man schon 2019 präsentiert habe. Aline Trede, die das gleiche Amt bei den Grünen bekleidet, macht auf ihre entsprechende Ankündigung vom letzten Sommer in dieser Zeitung aufmerksam.
Trede: «Wenig Grösse» bei der SP
Wer hats erfunden? Die Frage führt zu Sticheleien. Roger Nordmann sagt, man sei von den Grünen zwar vorgewarnt worden, aber sehr kurzfristig. «Ich sehe jedoch nicht ein, warum wir auf unser Projekt hätten verzichten müssen – zumal wir mit unserer Initiative weiter sind», sagt Nordmann. Der Waadtländer liess es sich am Sonntag nicht nehmen, den Initiativtext der SP genüsslich in mehreren Tweets zu bewerben.
Von den Grünen gibt es noch keinen definitiven Text, laut Fraktionschefin Aline Trede aber bereits Textbausteine. Man befinde sich im partizipativen Prozess mit der Basis. Die Bernerin kontert Nordmann und sagt, es zeuge von «wenig Grösse», dass die SP ihre Initiative so kurz nach den Grünen präsentierte. «Das hat mich negativ überrascht», sagt sie. Und fügt einen Satz an, der einiges aussagt über das grüne Selbstverständnis: «Wir lancieren ja auch keine Kita-Initiative». Soll heissen: Fürs Klima sind im linken Lager wir zuständig.
Ganz so einfach dürfte es nicht werden für die Grünen. Beide Parteien sagen, dass man nun Gespräche führen wolle. Man müsse anschauen, ob man das nicht zusammen machen wolle, sagt Roger Nordmann. Auch Trede findet, dass es keinen Sinn ergebe, parallel für zwei Initiativen mit dem gleichen Inhalt zu sammeln. Das grüne Projekt beinhalte zudem den Klima- und den Biodiversitätsaspekt. Allein: Jemand wird den Lead übernehmen müssen. Trede macht keinen Hehl daraus, dass das ihrer Meinung nach die Grünen sein sollen.
Rodewalds Angst vor dem verdorbenen Brei
Während die Initiativen beider Parteien mit der ökologischen Transformation das gleiche Ziel verfolgen, unterscheiden sich die Ansätze. So betonen die Grünen den Schutz der Biodiversität stärker – und irritieren damit weitere Partner im Umweltschutz-Lager. Zum einen Urs Leugger-Eggimann, den Zentralsekretär von Pro Natura, der zwar sagt, das grüne Initiativprojekt unterstreiche den Handlungsbedarf bezüglich Artenschwund und Klimawandel. Aber auch anmerkt, er hätte es begrüsst, vorgängig darüber informiert zu werden. Der Hintergrund: Mit der Biodiversitätsinitiative verschiedener Umweltverbände ist schon seit mehreren Jahren eine Initiative zum Schutz der Artenvielfalt unterwegs. Mittlerweile steht sie kurz vor dem parlamentarischen Prozess, der Bundesrat schlägt einen indirekten Gegenvorschlag vor.WERBUNG
Deutlicher wird Raimund Rodewald, der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz und einer der Köpfe hinter der Initiative der Umweltverbände. Auch er ärgert sich darüber, nicht informiert worden zu sein. «Ich fühle mich düpiert», sagt Rodewald. Der Landschaftsschützer warnt davor, dass zu viele Köche den Brei verderben. Und befürchtet, dass für die Biodiversität ein Scherbenhaufen droht, weil die Unterstützung für einen indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative wegen der grünen Pläne schwinden könnte.