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Chinas geheime Polizeistationen gibt es auch in Europa – die Schweiz soll nicht betroffen sein

Im September veröffentlichte die spanische Organisation Safeguard Defenders einen Bericht, welcher weltweit für Aufsehen sorgte. Die Meldung: Die chinesische Regierung soll in mehreren Ländern illegal gegen eigene Bürger vorgehen – unter anderem mit geheimen Polizeistationen. Während zunächst vor allem Südostasien betroffen war, kommen nun immer mehr Fälle aus Europa ans Licht – eine Übersicht

Verfolgung gesuchter Personen im Ausland

Wie Safeguard Defenders berichtet, verfolgt China mit diesen geheimen Polizeistationen vor allem ein Ziel: das Verfolgen gesuchter Personen, welche sich aus China ins Ausland abgesetzt haben, um diese dann – so heisst es wörtlich – von einer Rückkehr in die Heimat zu «überzeugen». Die Operationen «Fox Hunt», «Fuchsjagd», werden von Chinas nationaler Überwachungskommission koordiniert und damit von der Kommunistischen Partei.

Dass die Personen durch eine eigene Polizeibehörde und nicht durch internationale Kooperation gesucht werden, bringt für China diverse Vorteile mit sich. Indem man unabhängig von anderen Staaten handeln kann, wird einerseits Effizienz der Festnahme und Auslieferung gesteigert, andererseits kann so international nicht geprüft werden, ob die Menschenrechte bei solchen Verfolgungen tatsächlich respektiert werden.

Es gibt aber ein grosses Problem: Ein solches Eingreifen auf fremdem Boden ist illegal.

Online-Betrug und verbotene Länder

Die zunehmenden chinesischen Polizeiaktionen im Ausland sollen ihren Ursprung im Jahr 2018 haben. Dann sagte die Regierung bei einer Konferenz dem Online-Betrug den Kampf an – ein Problem, mit welchem die Chinesen schon länger zu kämpfen haben. So soll es zahlreiche Kriminellen geben, welche in Chat-Programmen und bei illegalen Online-Glücksspielen ihren Opfern Geld abnehmen wollen – viele davon vom Ausland aus.

Seit Jahren hat China Online-Betrüger im Visier.
Andy Wong / AP

Als Reaktion darauf entschied sich China, seinen Handlungsradius international auszuweiten. 2021 erstellte China eine Liste mit Ländern, in welchem die meisten Betrüger geortet wurden. Darauf zu finden sind Indonesien, die Philippinen, Malaysia, Kambodscha, Thailand, Laos, Myanmar, die VAE sowie die Türkei.

Diese wurden zu den neun «verbotenen Ländern»: Seit November 2021 ist es ohne «absolute Notwendigkeit» oder «notfallmässige Gründe» verboten, in ein solches Land auszureisen. Alle Chinesen, welche dort lebten, wurden aufgefordert, so schnell wie möglich in ihr Heimatland zurückzukehren. Wer diesem Befehl nicht Folge leistete, stand unter Generalverdacht.

Drohungen in Myanmar

Wie ernst China sein Vorhaben nahm, zeigte sich zunächst vor allem im Myanmar. Wie eine Polizei-Mitarbeiterin mit Pseudonym Wang Bo der regierungskritischen «Southern Weekend», erzählte, startete dort 2018 das erste grosse Projekt, um chinesische Bürger zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen.

Auch hier spielte es keine Rolle, ob gegen einzelne Personen gar kein Verdacht bestand. Und damit hatte man, so zumindest die eigene Darstellung, Erfolg: Im September 2021 verkündetet Liu Zhongyi, Direktor des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, es seien alleine aus dem Norden des Landes 54’000 «Verdächtige» zurückgekehrt.

Um ihr Ziel zu verfolgen, schreckte die chinesische Regierung dabei vor nichts zurück. Gemäss einem Bericht von «Toutiao» drohte die Regierung von Wenchang den verdächtigen Chinesen im Norden Myanmars mit verheerenden Konsequenzen, sollten sie sich weigern, zurückzukehren – nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Partnerinnen und Partner, Eltern und Kinder. Zu den Massnahmen zählte unter anderem das Streichen diverser Versicherungen, ein Verbot für behördliche Stellen sowie das Zerstören von Häusern, welche «mit gestohlen Geld erbaut» wurden.

Polizeistationen in Europa

Auch wenn China insbesondere die neun «verbotenen Länder» im Visier hat, verdichten sich derzeit die Hinweise, dass auch auf europäischem Boden chinesische Bürger illegal verfolgt werden. Laut Safeguard Defenders sollen insgesamt 36 illegale Polizeistationen in 16 verschiedenen Ländern betrieben werden. Die Schweiz soll nicht betroffen sein.

Von diesem Gebäude in Budapest aus soll China in Ungarn Polizeieinsätze koordinieren.
Anna Szilagyi / AP

Konkret unter Verdacht stehen laut verschiedenen Medienberichten in erster Linie Büros, welche offiziell als Dienstleistungszentren für Auslandchinesen dienen sollen. Das niederländische Investigativkollektiv «Follow the Money» und «RTL Nieuws» berichten von einem Büro in Amsterdam, welches nach eigenen Angaben etwa anbietet, Pässe oder Fahrausweise zu erneuern – dies sei allerdings nur eine Fassade.

Die Methoden in Europa unterscheiden sich dabei kaum von denjenigen in Asien. Aufspüren der Personen, drohen und dann auffordern, nach China zurückzukehren. Die Gründe für ein Eingreifen sollen aber vielfältiger sein. Sowohl der niederländische Bericht von «Follow the Money» als auch ein Twitter-Thread des britischen China-Kenners Sam Dunning zeigen Fälle, bei welchem Leute gesucht werden, die sich bei Protesten für ein unabhängigeres Hongkong eingesetzt hatten.

So reagiert Europa

DeutschlandLaut dem Bericht von Safeguards Defenders soll auch Deutschland von den illegalen Polizeiaktivitäten betroffen sein. Unter Verdacht steht dabei ein Auslandbüro in Frankfurt. Wie hessische Behörden der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» bestätigt haben, untersucht man derzeit diese Vorwürfe. Beteiligt sind sowohl die Fachdienststellen der Polizei als auch das Landesamt für Verfassungsschutz.

Auch die nationale Politik zeigte sich zuletzt besorgt über diese Berichte. Der Vorsitzende des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags Konstantin von Notz schreibt auf Twitter, ein uneindeutiges staatliches Handeln ausserhalb des diplomatischen Rahmens im Ausland sei «hochproblematisch». CDU-Politiker Jürgen Hardt sagte gegenüber dem «Spiegel», es sei «ungeheuerlich, dass die chinesische Diktatur ihren totalitären Anspruch auf die Chinesen in Deutschland so unverfroren ausweitet.»

Eine Sprecherin von Nandy Faesler, der Bundesministerin des Innern, sagte dem «Handelsblatt», man habe das Thema im Blick und stimme sich derzeit mit der Regierung zum weiteren Vorgehen ab.

ItalienNoch präsenter als in Deutschland soll die chinesische Polizei in Italien sein. Safeguard Defenders nennt gleich vier Standorte solcher Stationen – in den Grosstädten Mailand, Florenz und Rom sowie in der kleineren toskanische Stadt Prato.

Italiens neuer Innenminister Matteo Piantedosi ist sogleich gefordert.
Massimo Percossi / EPA

Politikerin Erica Mazzetti forderte von der neugebildeten Regierung deshalb ein rasches Handeln. Gemäss «La Nazione» soll sie sich in einem Schreiben an den neuen Innenminister Matteo Piantedosi gewendet haben. «Man sollte hier nicht die Augen schliessen und so tun, als wäre nichts los», wird sie zitiert.

GrossbritannienBesonders viele Details zu den Vorwürfen gegen China sind im Vereinigten Königreich bekannt. Die Rede ist dort von drei Polizeistationen: zwei in London, eine in Glasgow. Während es sich in London um zwei Büros handelt, steht in Glasgow ein beliebtes chinesischen Restaurant unter Verdacht.

Lin Ruiyou und der britische Ex-Premier Boris Johnson
Screenshot Sam Dunning/Twitter

Besonders brisant sind die Fälle in Grossbritannien, weil derzeit über mögliche Verbindungen zur britischen Politik gesprochen wird. Der Chinese Lin Ruiyou, welcher eines der Büros in London leitet, soll Beziehungen zu verschiedenen Mitgliedern der konservativen Tories haben. Lin arbeitete laut China-Kenner Sam Dunning einst für die Partei als Spendensammler, auf Bildern ist er Seite an Seiten mit politischen Grössen wie Johnson oder May zu sehen.

Wie der «Independet» einen Regierungssprecher zitiert, werden die Verdachtsfälle als «sehr besorgniserregend» empfunden. Verschiedene Mitglieder des Parlaments sollen sich deshalb für eine dringliche Untersuchung der Fälle ausgesprochen haben. «Jeglicher Versuch, eine Person illegal zurückzuschicken, wird nicht toleriert», sagt der Sprecher.

NiederlandeDie niederländische Regierung ist gegenüber anderen europäischen Ländern bereits einen Schritt voraus. Nachdem der Fall von Amsterdam medial viel Aufmerksamkeit erhielt, griff die Regierung durch – Aussenminister Wopke Hoekstra ordnete am Dienstag in Den Haag an, die betroffenen Büros zu schliessen.

Der niederländische Aussenminister Wopke Hoekstra
Julien Warnand / EPA

Er habe dies dem chinesischen Botschafter mitgeteilt, sagte der Minister nach einem Bericht der Nachrichtenagentur ANP. Die Polizeibüros nannte der Minister «unakzeptabel». Die niederländischen Behörden hätte nie Zustimmung erteilt. Das Ministerium werde nun untersuchen, was für Aktivitäten genau in den Büros stattgefunden hätten.

IrlandNoch früher als die Niederlande war die irische Regierung dran. Letzte Woche wurde in Dublin ein verdächtiges chinesisches Büro dazu beordert, zu schliessen und seine Aktivitäten einzustellen. Das Aussenministerium gab an, China habe nie offiziell angefragt, eine Polizeistation zu eröffnen. Das geschlossene Büro an der Capel Street war offiziell unter anderem dazu da, Fahrausweise zu erneuern.

China streitet Vorwürfe ab

Die chinesische Regierung will von solchen illegalen Aktivitäten im Ausland nichts wissen. In sämtlichen Ländern wies man die Vorwürfe laut Medienberichten zurück.