Flavia Wasserfallen in der BVG-«Arena» von SRF: «Der Inhalt bleibt einfach grottenschlecht»
Um das Zubereiten von Lebensmitteln geht es normalerweise in der Sendung «Mini Chuchi, dini Chuchi», die das Schweizer Fernsehen – diese Woche zum Motto Fenchel – im Vorabendprogramm ausstrahlt.
Als Flavia Wasserfallen jedoch plötzlich von «Peterli und Tomätli» fabulierte, wähnte man sich auch in der «Arena» in einer Art Kochshow.
Dabei wollte die SP-Ständerätin mit ihrer Metapher aus der Ecke der Kulinarik nur aufzeigen, wieso die BVG-Reform in ihren Augen «miserabel» ist.
Wasserfallen hat vor allem Mühe, dass mit der Reform «alle massiv mehr bezahlen werden», und gleichzeitig nicht klar sei, ob und wem sie später zugutekomme: «Es ist eine Lotterie, für ganz viele Menschen ein Minusgeschäft. Da kann man auf das Menü, das völlig verkocht, versalzen und zäh ist, Peterli und Tomätli drauf garnieren, es ist ungeniessbar und muss zurück in die Küche.»
Dass man sich überhaupt rhetorischen Figuren bedienen muss, um eine Gesetzesänderung zu veranschaulichen, zeigt exemplarisch, dass das Stimmvolk schon über wesentlich einfachere Vorlagen zu befinden hatte, als die BVG-Reform, die am 22. September zur Abstimmung gelangt.
Ungeachtet aller Komplexität hat die Redaktion der «Arena» zur Debatte geladen. Für einmal an einem Mittwoch, live und in der Primetime um 20:40 Uhr.
Elisabeth Baume-Schneider, Bundesrätin SP und Vorsteherin Innendepartement
Melanie Mettler, Vizepräsidentin GLP
Diana Gutjahr, Nationalrätin SVP und Vorstandsmitglied Schweizerischer Gewerbeverband
Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB)
Flavia Wasserfallen, Ständerätin SP
Urs Pfäffli, Präsident Gastro Kanton Zürich
Argumentative Beständigkeit
Nebst der Wasserfall’schen Metapher deutete im «Arena»-Studio ein weiteres Merkmal darauf hin, wie komplex und als Folge davon umstritten die BVG-Reform ist. Oder gab es das schon einmal, dass eine SP-Bundesrätin, eine GLP-Vizepräsidentin und eine SVP-Nationalrätin gemeinsam für eine politische Vorlage warben?
Fakt ist: Trotz der unheiligen Allianz auf der Pro-Seite und den beiden Polit-Schlachtrössern Lampart und Wasserfallen im Nein-Lager: Neue Begründungen und Spannung kamen nicht auf.
Die Teilnehmenden aus Politik und Gewerkschaft trugen letztendlich diejenigen Argumente vor, die sie seit Wochen an Podien und in Interviews zum Besten geben.
Die Befürworterinnen
SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider – sie muss die BVG-Reform gegen ihre eigene Partei verteidigen – ist bewusst, dass gewisse Menschen mit der Vorlage unter dem Strich ein Minus einfahren. Es gebe aber gesellschaftliche Schichten (Tieflohnbezüger, Teilzeitarbeitende), die von der Reform profitieren und erstmalig Pensionskassengelder aufbauen könnten. «Es gibt Leute, die verlieren. Aber die meisten werden etwas gewinnen.»
Für GLP-Vizepräsidentin Melanie Mettler ist die BVG-Vorlage ein «Herzensprojekt». Sie ermögliche, mit einem breit getragenen Kompromiss ein System zu reformieren, das 20 Jahre im Reformstau steckte. In der Schweiz habe man dann eine gute Rente, wenn man aus allen drei Säulen Geld beziehen könne. Momentan existiere ein Systemfehler, weil man Menschen mit tiefen Löhnen oder Teilzeit-Tätigkeit – oftmals Frauen – von der zweiten Säule ausschliesse. «Diese Reform ist ein Meilenstein. Sie sichert das Drei-Säulen-System für die kommenden Generationen.»
Diana Gutjahr – als Arbeitgeberin muss sie bei einer Annahme der Vorlage höhere Ausgaben bewältigen – weist darauf hin, dass es bei der BVG-Reform nicht nur um die Rente gehe. Die zweite Säule versichere Menschen auch bei Invalidität und Todesfällen. Zudem verbessere die Reform die Chancen für ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt, weil die Sparsätze (Altersgutschriften) ab 45 Jahren reduziert werden. «Es ist nur richtig, dass man den Umwandlungssatz anpasst. Weil sich die Lebenserwartung seit Einführung des BVG verändert hat.»
Die Gegner
Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund machen vor allem die Menschen mit mittleren Löhnen (z.B. Köche, Kita-Angestellte) Sorgen. Für diese Gesellschaftsschicht sei die zweite Säule gedacht. Wäre der ursprüngliche Deal der Sozialpartner zustande gekommen, hätte für diese mittleren Einkommen eine Rentengarantie bestanden. Bei der BVG-Reform sei dies nicht der Fall. Lampart erwähnte das Beispiel einer 60-jährigen Anwaltssekretärin, die auf einen Rentenverlust zusteuert. Verärgert sagte er zu den Befürworterinnen: «Das ist das, was Sie wollen. Ein Rentenabbau bei Leuten, die immer gearbeitet haben.»
Auch Flavia Wasserfallen stört sich vor allem am reduzierten Umwandlungssatz, der zu tieferen Renten führt. Den Pensionskassen gehe es gut, es liege kein einziger Grund vor, warum der Satz gesenkt werden müsse. Zudem sei es erwiesen, dass gewisse Personen durch die BVG-Reform höhere Lohnabgaben leisten müssten und im Alter trotzdem weniger Rente erhielten. Wasserfallen schlussfolgerte: «Dass man das als Fortschritt, als Meilenstein, als historische Vorlage verkaufen kann, das verstehe ich beim besten Willen nicht.»
Gastro-Vertreter Urs Pfäffli ging in der Debatten erprobten Polit-Runde fast ein wenig unter. Seine Branche befürworte es, dass Tieflohnbezüger und Teilzeitarbeitende durch die Reform neu versichert wären. Gastro Suisse habe die Vorlage lange mitgetragen, irgendwann sei es jedoch zu teuer geworden. «Es gibt verschiedene Sachen in der Vorlage, die sehr gut sind. Aber das Gesamtpaket stimmt nicht.»
Das Fazit
So kam es, dass man nach 60 «Arena»-Minuten – Moderator Sandro Brotz konnte aufgrund des anstehenden «10 vor 10» für einmal nicht überziehen – nicht schlauer war. Die Voten blieben grosso modo dieselben. Die Präsenz von Bundesrätin Baume-Schneider, die sich ebenfalls der üblichen Argumente-Palette bediente, gab der Sendung kein zusätzliches Gewicht.
Wie bei fast jedem politischen Anliegen sind beide Seiten von ihrer Position überzeugt und versuchen sie der Bevölkerung bestmöglich zu vermitteln. Allerdings kommt bei der BVG-Reform erschwerend hinzu, dass selbst Pensionskassen-Experten und Fachgremien an ihre Grenzen stossen. Exakte Prognosen, was die möglichen Folgen der Reform betrifft, sind zum jetzigen Zeitpunkt ein Ding der Unmöglichkeit.
Ob das Stimmvolk den von bürgerlicher Seite angestrebten Reformschritt mittragen möchte, oder im Sinne von Links-Grün und Gewerkschaften erneut eine Reform der beruflichen Vorsorge versenkt, wird sich am 22. September an der Urne zeigen.