Jedem seine eigene Steuererklärung: So will der Bundesrat die Individualbesteuerung umsetzen
Alle volljährigen Personen in der Schweiz sollen künftig eine eigene Steuererklärung ausfüllen müssen – auch wenn sie verheiratet sind. Das schlägt der Bundesrat mit seiner Gesetzesvorlage zur Individualbesteuerung vor, welche er am Freitag in die Vernehmlassung geschickt hat. Es ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Initiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung», welche von den FDP Frauen lanciert und im September mit ausreichend gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht wurde.
Konkret soll der bundesrätliche Vorschlag dafür sorgen, dass die Arbeitsanreize für Zweitverdienende steigen und «die als Heiratsstrafe bekannte Höherbelastung von bestimmten Ehepaaren gegenüber unverheirateten Paaren beseitigt wird», schreibt die Regierung in einer Mitteilung. Künftig soll deshalb für alle steuerpflichtigen Personen derselbe Tarif gelten. Und egal ob verheiratet oder nicht: Paare sollen getrennt besteuert werden.
Begleitmassnahmen für Eltern, Einverdienerhaushalte und Alleinstehende
Damit durch die Umsetzung der Individualbesteuerung keine neuen Ungleichheiten entstehen und die Reform «ausgewogen» ausfalle, schlägt der Bundesrat bei der direkten Bundessteuer verschiedene Begleitmassnahmen vor:
Anstelle von heute 6500 Franken soll der Kinderabzug für Eltern auf 9000 Franken pro Kind steigen. Diese Massnahme sei nötig, weil «der Übergang zur Individualbesteuerung die Entlastungswirkung des Kinderabzugs bei Ehepaaren reduziert», heisst es in der Mitteilung des Bundesrates.
Ebenfalls von einem Abzug profitieren sollen Alleinstehende und Alleinerziehende. Weil Haushalte, die aus mindestens zwei erwachsenen Personen bestehen, «Haushaltsersparnisse wie beispielsweise tiefere Wohnkosten erzielen», ist für Alleinstehende und Alleinerziehende ein Abzug von 6000 Franken vorgesehen.
Da Ehepaare mit nur einem Haupteinkommen oder einem tiefen Zweiteinkommen durch die Individualbesteuerung höher belastet werden als Ehepaare mit zwei ähnlich hohen Einkommen, sollen auch hier unter Umständen Abzüge möglich sein. Der Bundesrat schlägt zwei Varianten vor: eine, bei der diese Höherbelastung nicht korrigiert wird und dadurch der Erwerbsanreiz für Zweitverdienende besonders stark steigen soll. Bei der zweiten Variante sollen Einverdiener-Ehepaare Steuerabzüge bis zu 14’500 Franken gelten machen können. Die Höhe dieses Abzugs soll mit steigendem Zweiteinkommen abnehmen.
Der Bundesrat strebt für beide Varianten Mindereinnahmen bei der direkten Bundessteuer von insgesamt einer Milliarde Franken an. Davon trägt der Bund 78,8 Prozent (rund 800 Millionen Franken) und die Kantone 21,2 Prozent (rund 200 Millionen Franken). Im Gegenzug erwartet der Bundesrat «positive Beschäftigungseffekte». Weil mit dieser Vorlage das Arbeiten für Zweitverdienende attraktiver wird, könnten bis zu 47’000 Vollzeitstellen zusätzlich besetzt werden, rechnet der Bundesrat vor.
Mehr Profiteure als Verlierer
Die Reform werde «bei einer Mehrheit der Personen» zu einer Entlastung bei der direkten Bundessteuer führen, so die Prognose der Landesregierung. Profitieren würden vor allem Ehepaare mit gleichmässiger Einkommensaufteilung und Rentnerehepaare. «Höherbelastungen können sich demgegenüber für alleinstehende Personen mit Kindern und verheiratete Paaren mit nur einem Einkommen oder nur einem geringen Zweiteinkommen ergeben», schreibt der Bundesrat.
Zum vorgelegten Gesetzesvorschlag können sich nun Verbände, Parteien und Interessenvertreter äussern. Die Vernehmlassungsfrist dauert bis zum 16. März 2023. Schon jetzt ist Widerstand programmiert. Die SVP etwa hat sich in der Vergangenheit immer gegen die Individualbesteuerung ausgesprochen. Und auch die Kantone sind skeptisch: Sie befürchten einen Zusatzaufwand für die Verwaltung, denn schon heute ist absehbar, dass mit der Einführung der modifizierten Individualbesteuerung 1,7 Millionen zusätzliche Steuerdossiers eingereicht werden.