Brisante Forderung: Mehr Geld vom Staat für angehende Mathematikerinnen, weniger für Geschichts-Studenten?
Das Aargauer Stipendienwesen wird demnächst überprüft. Damit hat der Grosse Rat den Regierungsrat vor knapp zwei Monaten beauftragt. Im Fokus: das 2018 eingeführte Splittingmodell. Demnach werden im Aargau Ausbildungsbeiträge zu zwei Dritteln als Stipendien und zu einem Drittel als rückerstattungspflichtiges Darlehen ausbezahlt. Der Regierungsrat soll Vorschläge für Anpassungen machen, «damit ein grösstmöglicher Beitrag gegen den Fachkräftemangel geleistet werden kann», wie es im Postulat heisst. Denn: Ausbildungsbeiträge seien eine Investition in die Zukunft, sagte Bildungspolitikerin Simona Brizzi (SP), die Urheberin des Vorstosses.
Er wurde stillschweigend überwiesen, bis in zwei Jahren soll der Bericht der Regierung vorliegen. Doch bereits ist ein neues Anliegen zum Aargauer Stipendienwesen in der Pipeline und zwar von FDP-Grossrat Adrian Schoop. Er möchte von der Regierung Vorschläge für eine Reform: Die Höhe der einzelnen Stipendien soll vom Studienfach abhängig sein, respektive davon, wie stark dieses auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nachgefragt wird. Sprich: Für Studiengänge ohne Perspektiven soll es nur noch reduzierte Ausbildungsbeiträge geben.
Mangel in MINT-Branchen und Gesundheitswesen
Auch Schoop begründet sein Anliegen mit dem Fachkräftemangel – es gebe keine Hinweise darauf, dass dieser in naher Zukunft nachlassen werde. «Eine wesentliche Rolle in der Bekämpfung spielt dabei unser Bildungssystem», schreibt der Gemeindeammann von Turgi in seinem Vorstoss. So würden in der Schweiz jährlich 10’000 Geistes- und Sozialwissenschaftler ausgebildet, während der Arbeitsmarkt lediglich 3000 von ihnen aufnehmen könne. Gleichzeitig herrschten insbesondere im Gesundheitswesen und in den MINT-Branchen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) grosser Mangel an ausgebildeten Fachpersonen.
Es stelle sich also die Frage, ob das Bildungswesen und insbesondere auch das Stipendienwesen besser auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet werden sollten. «Es ist höchst fragwürdig, dass gewisse Studiengänge durch Stipendien subventioniert werden, obwohl deren Absolventinnen und Absolventen im Arbeitsmarkt kaum Chancen auf eine Beschäftigung im Bereich ihrer Ausbildung haben», heisst es im Postulat.
Dass der Grosse Rat eben erst eine Überprüfung des Stipendienwesens in Auftrag gegeben hat, habe er als Anlass für seinen Vorstoss genommen, sagt Adrian Schoop auf Anfrage. «Ich möchte den Fachkräftemangel dabei ins Zentrum rücken», erklärt er. Eine Abstufung der Beiträge könne Anreize schaffen, ein Studium zu absolvieren, das auf dem Stellenmarkt stark nachgefragt sei, glaubt er.
Keine Zweiklassengesellschaft
Dass damit eine Zweiklassengesellschaft gefördert werden könnte, in der nur Reiche studieren, was sie wollen, während Arme keine Wahl haben, verneint der freisinnige Grossrat aber vehement. «In der Schweiz kann sich jeder und jede im Prinzip die Gebühren von rund 1000 Franken pro Semester leisten. Vielfach besteht auch die Möglichkeit, neben dem Studium in einem Teilzeitpensum zu arbeiten», stellt er klar.
Da es sich bei Stipendien um Steuergelder handle, müssten diese jedoch so investiert werden, dass sie eine Wirkung erzielten. Bei vielen Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften sei das nicht der Fall. Stelle jemand eine Anfrage nach Staatsgeldern für seine Ausbildung, dürften auch Bedingungen gestellt werden. «Das ist absolut vertretbar», ist Schoop überzeugt. Es werde schliesslich niemand vom Studium ausgeschlossen.
Ob er damit jedoch den Grossen Rat auf seiner Seite hat, mag der FDP-Grossrat derzeit nicht abschätzen. «In der Bildung über Geld zu diskutieren ist unbeliebt», gibt er zu bedenken. Tatsächlich gilt der Aargau, spätestens seit der Einführung des Splittingmodells, als knausrigster Kanton, wenn es um Ausbildungsbeiträge geht. Durchschnittlich 4252 Franken hoch war ein Kantonsstipendium im Jahr 2021, gesamtschweizerisch lag dieser Schnitt bei 7602 Franken.
Eingeführt hat man das Modell klar als Sparmassnahme, die Befürworter rechneten mit Einsparungen von 2,5 Millionen Franken pro Jahr. Und tatsächlich sinken die Ausbildungsbeiträge durch den Kanton seit der Einführung stetig. Gerade deswegen hat Simona Brizzi, zusammen mit Grossrätinnen und Grossräten der Links- und Mitte-Parteien, eine Überprüfung des Systems veranlasst.
Dennoch: «Ich sehe mich als gewählter Politiker dazu verpflichtet, hinzuschauen», sagt Schoop. Anreize dürften auch im Bildungswesen kein Tabu sein.