
Nach Anti-Islam-Tweet: Immunität von Andreas Glarner geht in Zusatzschlaufe
Die Berner Justiz darf noch kein Strafverfahren gegen SVP-Nationalrat Andreas Glarner eröffnen: Die zuständigen Kommissionen von National- und Ständerat sind sich noch uneinig, ob der Fall, der zur Strafanzeige gegen den Aargauer führte, seine parlamentarische Immunität betrifft. Am Dienstag kam die Rechtskommission des Ständerats zum Schluss, dass die Immunität eine Rolle spielt. Dies steht im Widerspruch zum Entscheid der Immunitätskommission des Nationalrates, die der Ansicht ist, dass die parlamentarische Immunität gar nicht zur Anwendung kommt.
Was ist passiert? Glarner hatte auf der Plattform Twitter (heute X) einen islamkritischen Tweet abgesetzt. Es sei Zeit, dieser Religion «Einhalt zu gebieten», da deren Anhänger unter anderem mit «Angriffen auf unbescholtene Bürger» ihren «Forderungen Nachdruck verleihen» würden. Die Nachricht schloss er mit dem Hashtag «stoppislam». Deswegen ging eine anonyme Anzeige ein.
Nicht sicher, ob es tatsächlich strafbar ist
Die Kommission des Nationalrats stellte sich auf den Standpunkt, dass die Äusserung von Glarner nicht durch die relative Immunität geschützt sei. Dafür sei sie zu «allgemein und pauschal» gehalten, so liessen sich auch «keine Verbindung zu bestimmten parlamentarischen Geschäften herstellen oder konkrete gesetzgeberische Massnahmen daraus ableiten».
Wenn solche Äusserungen auf Social Media «ohne unmittelbaren Zusammenhang zur amtlichen Stellung» getätigt werden, dürften Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht pauschal gegenüber Privaten privilegiert werden. Schon heute können Privatpersonen für Posts in den Sozialen Medien angezeigt werden.
Für die Rechtskommission des Ständerats greift das zu kurz. Wie Kommissionspräsident Daniel Jositsch (SP) vor den Medien ausführte, seien solche Posts für eine Mehrheit der Kommission gleichzusetzen mit öffentlichen Aussagen in Fernsehshows oder in anderen Medien.
Damit muss nun erneut die Immunitätskommission des Nationrats über den Fall befinden. Erst, wenn sie diesmal zum Schluss kommt, dass der Fall unter Glarners parlamentarische Immunität fällt und auch deren Aufhebung beschliesst, wird die Rechtskommission der kleinen Kammer in der Sache entscheiden, sagt Jositsch. Einen inhaltlichen Entscheid für oder gegen Aufhebung hat die Kommission am Dienstag nicht getroffen.
Aufhebung kommt selten vor
Ob die Aussage von Glarner am Ende tatsächlich strafbar ist, war nicht Gegenstand der Beurteilung durch die Kommissionen. Das würde erst durch die Berner Justiz abgeklärt werden. Marcel Niggli ist Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg und hat sich in zahlreichen Publikationen mit der Antirassismusstrafnorm befasst.Er rechnet nicht damit, dass sich Glarner strafbar gemacht hat, wie er bereits im November gegenüber CH Media sagte. Im Tweet erkennt Niggli keine «verächtliche, generelle Herabsetzung von Muslimen».
Dass die Kommissionen Strafverfahren gegen Parlamentarierinnen und Parlamentarier zulassen, kommt selten vor. Der Fall Glarner erinnert an eine Geschichte mit Fabian Molina. Die Staatsanwaltschaft verurteilte den Zürcher SP-Nationalrat per Strafbefehl wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration gegen Coronaskeptiker. Die zuständigen Kommissionen fanden, Molina sei als Privatperson auf die Strasse gegangen.
Graber und Aeschi kommen ungeschoren davon
Einig sind sich die Kommissionen allerdings bei der Immunitätsfrage der beiden SVP-Nationalräte Thomas Aeschi und Michael Graber. Sie sorgten in der vergangen Sommersession für Aufsehen, als sie sich mit der Bundespolizei ein Handgemenge im Bundeshaus lieferten. Zu der Zeit war gerade der ukrainische Parlamentspräsident zu Gast, weshalb besondere Sicherheitsvorkehrungen herrschten.
Jositsch nennt drei Gründe, weshalb seine Kommission sich letztinstanzlich gegen eine Aufhebung von Aeschis und Grabers Immunität entschieden hat: «Hier handelte es sich um ein mehrfaches Kommunikationsproblem.» So seien die Sicherheitsbestimmungen nicht klar genug kommuniziert worden, besonders in Anbetracht der laufenden Session.
Zudem beurteilt die Kommission das Verhalten der Polizeibeamten als unverhältnismässig. Man könne doch anzweifeln, dass von Nationalräten innerhalb des Parlamentsgebäudes eine akute Gefährdung eines Staatsbesuchs ausgeht. Es handle sich drittens um einen geringfügigen Verstoss. Jositsch sagt: «Das hätte man eleganter lösen können.»