Von wegen «Konstrukt» – es geht um die Gesundheit der Bauarbeiter!
In der «Schweiz am Wochenende» vom vergangenen Samstag behauptet Baumeisterpräsident Gian-Luca Lardi, die 58-Stunden-Woche für Bauarbeiter sei «ein Konstrukt der Gewerkschaften». Wenn das so wäre, warum nur haben in den letzten vier Wochen mehr als 15’000 Bauarbeiter die Schaufel hingelegt und sind auf die Strasse gegangen? Weil sie verstanden haben, dass es für sie um sehr viel geht.
Die Bauarbeiter leisten Tag für Tag eine harte Arbeit. Bei Regen und Schnee draussen bauen sie die Schweiz. In den letzten Jahren haben weniger Bauarbeiter immer mehr gebaut, 50 Prozent Umsatz mehr in den letzten 20 Jahren mit praktisch gleich viel Personal. Als Folge steigt der Druck auf der Baustelle brutal an. Besonders im Sommer führt dies zu enorm langen Arbeitstagen. Bis zu neun Stunden pro Tag können die Baufirmen ihre Arbeiter bereits heute einplanen. Dazu kommen – das verschweigen die Baumeister gerne – Überstunden und die Reisezeit vom Werkhof zur Baustelle (diese wird im Bau nicht als Arbeitszeit ausgewiesen und wird zum Teil nicht bezahlt).
Für Bauarbeiter bedeutet dies, dass sie aus dem Haus gehen, wenn ihre Kinder noch schlafen, und am Abend todmüde nach Hause kommen, wenn die Kinder ins Bett müssen. Bauen ist ein schöner Beruf. Es ist aber kein Wunder, dass bei solchen Arbeitsbedingungen sich immer weniger Junge für diesen erfüllenden Beruf begeistern lassen. Es wäre für die Branche wichtig, die Arbeitstage im Sommer zu verkürzen, auch um zu verhindern, dass noch mehr Fachkräfte die Branche verlassen.
Und was hat der Baumeisterverband in den Verhandlungen vorgeschlagen? Die Arbeitstage im Sommer zu verlängern. Bis zu 9,6 Stunden sollen jeden Tag von Montag bis Freitag bei grösster Hitze normal sein – 48 Stunden harte körperliche Arbeit pro Woche – und dazu noch 10 Stunden reisen. Diese Forderung hätten die Baumeister nun nicht mehr, so Lardi im Interview. Na ja.
Die 48-Stunden-Woche forderten die Baumeister in der Verhandlungsrunde diese Woche nach wie vor. Und statt 10 Stunden reisen ist die Zahl jetzt gar nicht mehr begrenzt. Zudem fordert der Baumeisterverband die Möglichkeit, im Winter kurzfristig die Wochenstunden zu reduzieren oder ganz zu streichen – Stunden, die dann später, im Sommer, nachgeholt werden müssten.
Das alles hat nichts mit Flexibilität, geschweige denn Selbstbestimmung der Bauarbeiter zu tun, denn im Modell der Baumeister bestimmt der Chef die Verteilung der Stunden. Das empfinden die Bauarbeiter als Angriff auf ihre Gesundheit und ihre Familie. Und darum gingen sie zu Tausenden auf die Strasse.
So wird es kaum eine Einigung geben
Zudem haben die Bauarbeiter für ihre harte Arbeit auch eine Lohnerhöhung verdient. Vor allem auch, nachdem die Baumeister in den letzten zwei Jahren trotz bester Konjunktur jegliche Lohnerhöhung für alle verweigert haben. Zurzeit wollen die Baumeister nicht einmal die Teuerung voll ausgleichen, die Reallöhne der Büezer würden sogar sinken. So wird es kaum eine Einigung geben.
Der Baumeisterverband und die Gewerkschaften verhandeln nun seit fast neun Monaten über einen neuen Vertrag, Ab Januar droht ein vertragsloser Zustand. Dann gäbe es keine Mindestarbeitsbedingungen mehr, ausländische Firmen könnten zu Dumpinglöhnen in der Schweiz arbeiten, die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung wäre gefährdet.
Kein Vertrag wäre Gift für die Bau-Branche
Es gibt Strömungen innerhalb des Baumeisterverbands, die sich ein solches Szenario wünschen. Doch es wäre Gift für eine Branche, der die Fachkräfte davonlaufen. Es sind jetzt zwei zusätzliche Verhandlungstermine bis Ende November angesetzt. Eine Einigung ist alles andere als sicher. Aber der Druck ist für beide Seiten hoch. Für die Bauarbeiter, für die Firmen und für die gesamte Branche wäre ein Scheitern fatal.
Wie immer bei Verhandlungen: Am Schluss werden sich beide Seiten bewegen müssen, um eine Lösung zu ermöglichen. Die rote Linie für die 15’000 Bauarbeiter ist klar: Es braucht kürzere und sicher nicht längere Arbeitstage im Sommer und eine anständige Lohnerhöhung.