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Aargauer Stromversorger: Gibt es ein Patentrezept für die Zukunft?

Seit der Strompreisexplosion von 2022 ist bei den Stromversorgern nichts mehr wie vorher. An einer Tagung in Aarau loteten sie ihren Spielraum aus.

Noch im Januar 2022 hätten viele Menschen auf Anhieb nicht sagen können, wie viel sie für den Strom bezahlen. Der Preis war tief, und der Aargau war ohnehin ein günstiger Kanton. Doch seit der Gas- und Strompreispreisexplosion im Gefolge von Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist alles anders.

Seither wissen alle, was der Strom kostet. Der Stromeinkauf ist für die Elektrizitätswerke seither fast eine Wissenschaft, auch wenn der Marktpreis wieder deutlich gesunken ist – allerdings längst nicht auf das Niveau von vor dem russischen Angriffskrieg. Der Preis ist sehr volatil, die Unsicherheit bei Produzenten, Einkäufern und Konsumenten – erst recht bei Firmen mit hohem Strombedarf (Stahl Gerlafingen!) – ist sehr hoch.

Eigenständig bleiben, kooperieren, fusionieren?

Natürlich stellen sich da die rund 100 Elektrizitätswerke im Aargau grundlegende Fragen. Haben Klein- und Kleinstwerke überhaupt eine Zukunft? Soll man eigenständig bleiben, (mehr) kooperieren, fusionieren, verkaufen? Solche Fragen stellen sich laut David Zumsteg, Geschäftsleiter des Verbandes Aargauischer Stromversorger (VAS). An einer sehr gut besetzten Tagung in Aarau suchte man gemeinsam nach einem Patentrezept.

Lukas Lang, Branchenexperte und Strategieberater von EVU Partners AG, ging mit Blick auf die rund 600 Verteilnetzbetreiber in der Schweiz (davon 100 allein im Aargau) der Frage nach, wie man ein hinreichendes Mass an Selbstbestimmung über die eigene Stromversorgung behält. Klein sei nicht per se gleich schlecht und gross sei nicht per se gleich gut, sagte er: «Es kommt auf Strategie, Ressourcen, Wertschöpfung, Qualität und damit letztlich auf Menschen an.»

Herausforderungen nehmen noch mehr zu

Lang rief dazu auf, bestehende Strukturen und den Selbstbestimmungsgrad zu prüfen. Denn die Herausforderungen würden immer schneller immer anspruchsvoller. Leider gebe es keine Musterstruktur. Entscheidungsträger, aber auch Kundinnen und Kunden seien vom Druck für Veränderungen sowie von den Mehrwerten einer Strukturanpassung zu überzeugen, empfiehlt er.

Die auf Energierechtsfragen spezialisierte Rechtsanwältin Simone Walther von Schärer Rechtsanwälte in Aarau (sie ist VAS-Vorstandsmitglied) machte eine umfassende rechtlich-regulatorische Auslegeordnung und zeigte die Vor- und Nachteile verschiedener Rechtsformen auf.

Sie verwies darauf – was vielen Menschen unbekannt ist -, dass 90,6 Prozent des Grundkapitals der Elektrizitätswirtschaft in der Schweiz im Eigentum der öffentlichen Hand sind. Doch je nach Rechtsform (Genossenschaft, AG etc.) sind die Rahmenbedingungen etwa betreffend Gewinnausschüttung, Haftung, Steuerpflicht oder Beteiligungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich.

So behauptet sich ein kleiner Player

Roland Di Gregorio, Präsident der Elektrizitätsgenossenschaft Jonen, zeigte auf, wie diese sich als kleiner Versorger mit innovativen Ideen, Personalrekrutierung auch für Kleinstpensen sowie Aufgabenauslagerungen im Markt behauptet, und letztlich mit wenig Mitteln eine professionelle Dienstleistung erbringt. Er erntete im Raum viel Anerkennung dafür.

Fusion gescheitert: Bevölkerung zu spät abgeholt

Roberto Romano vom EW Rothrist erläuterte selbstkritisch Erkenntnisse aus einer gescheiterten Fusion mehrerer Gemeindewerke im Wiggertal. Er empfiehlt für künftige Vorhaben eine professionelle Projektführung, die Meinung der Bevölkerung und Mitarbeitenden früh abzuholen, starke Persönlichkeiten einzubeziehen, die von der Bevölkerung anerkannt sind, und zu versuchen, «Contra Stakeholder» (z. B. Leserbriefschreiber) früh ins Boot zu holen. Zudem müssten die Ziele verständlich und transparent sein und klare Fakten aufgezeigt werden. Dazu sei aufzuzeigen, wie eine Integration oder Fusion einen Mehrwert für alle Parteien habe. Dabei sei es wie immer «es Gäh und Näh».

Ernüchternde Erkenntnis zum Patentrezept

Wie ein roter Faden zog sich durch die Tagung die ernüchternde Erkenntnis, dass es «das» Patentrezept für Stromversorger nicht gibt, dass jeder Fall einzeln anzuschauen ist. Dass es auch sonst nicht leichter wird, zeigte VAS-Präsident Markus Blättler angesichts der immer komplexeren Schweizer Stromgesetzgebung und der sehr schwierigen bilateralen EU-Verhandlungen auf, wobei es auch um das Stromabkommen geht. Der VAS und der Dachverband Schweizer Verteilnetzbetreiber (DSV) schalten sich überall, wo es möglich ist, in die Debatte ein, so Blättler. So wurden sie selbst mit Blick auf die bilateralen Verhandlungen angehört. Wie diese ausgehen, ist allerdings völlig offen.