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Für Klimaziele 2050 muss die Schweiz bei der Solar- und Windkraft den Turbo zünden

Um die Klimaziele 2050 zu erreichen, muss die Schweiz massiv schneller Solar- und Windkraftanlagen bauen. Das zeigt eine Simulation des Dachverbands der Elektrizitätsbranche. Zudem müsste sie einen engen Energieaustausch mit Europa anstreben. 

Die Schweiz hat sich energiepolitisch einiges vorgenommen: Bis im Jahr 2050 soll sie Netto-Null Treibhausgasemissionen ausstossen. Gleichzeitig wird die Stromnachfrage in den nächsten Jahren deutlich steigen. Je nach Szenario steigt der Elektrizitätsbedarf von heute 62 Terawattstunden auf 80 bis 90 Terawattstunden im Jahr.

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) hat nun zusammen mit der Energiebranche und der eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in einer Studie simuliert, wie ein «klimafreundliches Gesamtenergiesystem» in Zukunft aussehen könnte. Gemäss eigenen Angaben handelt es sich bei der am Dienstag publizierten Studie um die erste wissenschaftliche Modellierung, die das Schweizer Gesamtenergiesystem sektorenübergreifend simuliert und dabei auch die umliegenden Länder berücksichtigt.

Die Studienautorinnen und -autoren kommen demnach zum Schluss, dass die Schweiz ihre Klima- und Energieziele nur mit einem «massiv beschleunigten Zubau» der Photovoltaik und Windkraft erreichen könne. Darüber hinaus müsse sie die Effizienz ihres Energiesystems «massiv» erhöhen und in einem «engen Energieaustausch» mit Europa stehen.

Plus 18 Terawattstunden Solarstrom

Konkret zeichnet die Autorenschaft vier Szenarien für das künftige Gesamtenergiesystem der Schweiz. Am ehesten lassen sich die Klima- und Energieziele dabei im sogenannten «offensiv-integrierten» Szenario erreichen. Dieses bedingt, dass der inländische Ausbau der Stromproduktion «mit allen verfügbaren Technologien» vorangetrieben wird und die Schweiz in «grossem Umfang» Strom mit den Nachbarländern austauschen kann.

Das Szenario sieht einen starken Zubau der Solarstrom-Anlagen in Höhe von 18 Terawattstunden pro Jahr vor. Thermische, mit Wasserstoff betriebene Kraftwerke, würden in diesem Szenario die zweite tragende Säule bilden. Diese würden jährlich rund 13 Terawattstunden Strom bereitstellen, hauptsächlich für Gaskraftwerke. Der Haken hierbei ist jedoch, dass Stand heute in Europa noch kein Wasserstoffnetz besteht. Ein Anschluss der Schweiz an ein allfälliges europäisches Wasserstoffnetz werde heute auf das Jahr 2045 abgeschätzt, heisst es.

Schliesslich würden im «offensiv-integrierten» Szenario Windkraftanlagen mit 3 Terawattstunden Jahresproduktion ebenfalls einen substanziellen Beitrag leisten, vor allem im Winter.

Wasserkraft weiterhin als tragende Säule

Die Autorenschaft ist überzeugt: Mit dem «offensiv-integrierten» Szenario ist nicht nur die Abhängigkeit von ausländischem Strom am geringsten. Auch die Systemkosten wären mit rund 24 Milliarden Franken am tiefsten. Im Gegensatz dazu steht das Szenario «defensiv-isoliert» mit Kosten in Höhe von 28 Milliarden. Dieses Szenario lässt keinen Ausbau der Windenergie oder der Wasserkraft zu und auch keine alpinen Freiflächenanlagen. Zudem wäre der Import von Wasserstoff auf die Hälfte beschränkt.

In allen modellierten Szenarien würden die Wasserkraftanlagen mit einer Stromerzeugung von jährlich 35 Terawattstunden weiterhin die tragende Säule im schweizerischen Energiesystem bleiben. In den offensiven Szenarien könnten dabei gemäss den Zielen des runden Tisches rund 2 Terawattstunden Wasserspeicher zusätzlich gebaut werden.

Schweiz braucht Backup-Kraftwerke

Weil das zukünftige Energiesystem grösstenteils von wetterabhängiger erneuerbarer Energie versorgt wird, sind laut der Autorenschaft sogenannte Backup-Kraftwerke und Speichervorhaltungen nötig. Um die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können, würden Gaskraftwerke im Umfang von rund 1 Gigawatt als Backup-Kraftwerke fungieren.

Will die Schweiz bis 2050 ihr Ziel von Netto-Null erreichen, braucht es gemäss der Studie weitere Massnahmen. Vor allem sei der Einsatz von sogenannten Negativemissionstechnologien nötig, mit denen CO2 aus der Atmosphäre entfernt und dauerhaft gespeichert wird.

Im Zweifel für Versorgungssicherheit

Die Studie dürfte Wasser auf die Mühlen jener sein, welche die vom Parlament beschlossene Solarinitiative befürworten. Zur Erinnerung: Die eidgenössischen Räte haben in der letzten Herbtsession im Eiltempo eine Solaroffensive beschlossen. Diese sieht unter anderem vor, dass grosse Photovoltaik-Anlagen in den Bergen in einem dringlichen Verfahren gebaut werde können. Dabei wollte die kleine Kammer den Umweltschutz zunächst faktisch aushebeln. Nach harscher Kritik hat die grosse Kammer schliesslich Gegensteuer gegeben und den Umweltschutz höher gewichtet.

Der VSE fordert seit längerem schnellere Bewilligungsverfahren für alle Energieprojekte. Mit Blick auf die Interessenabwägung zwischen Naturschutz und Nutzung soll dabei aus Sicht des Dachverbandes «im Zweifel die Versorgungssicherheit vorgehen».