Zu wenig Geld: Schweizer Familien verzichten wegen finanzieller Probleme auf weitere Kinder
Inflation, steigende Krankenkassenprämien, höhere Mieten und teure Altersvorsorge – fast alles ist in den letzten Monaten in der Schweiz teurer geworden. Neben Menschen mit tieferen Einkommen sind vor allem Familien von den gestiegenen Lebenshaltungskosten betroffen.
Mit dem Familienbarometer 2024 veröffentlichen der Schweizer Fachverband «Pro Familia Schweiz» und die Vorsorge-Spezialisten von «Pax» zum zweiten Mal die Ergebnisse einer schweizweiten Studie zur Entwicklung der Schweizer Familienverhältnisse. Befragt wurden vom 8. bis 18. November vergangenen Jahres 2123 Familien in allen Landesteilen der Schweiz über ein Online-Panel. Wir liefern die wichtigsten Erkenntnisse:
Gegenwart und Zukunft
Mit 80 Prozent ist weiterhin die grosse Mehrheit der Familien in der Schweiz mit ihrem Familienleben zufrieden. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zufriedenheit leicht erhöht. Die Zufriedenheit steigt mit zunehmendem Einkommen an, wie die Ergebnisse des Familienbarometers zeigen.
Trotz der weit verbreiteten Zufriedenheit hat sich der bereits im Vorjahr vorhandene Pessimismus zur künftigen Entwicklung der Familien in der Schweiz weiter akzentuiert. Knapp vier Fünftel der Familien (79 Prozent) erwarten über die kommenden drei Jahre eine Verschlechterung der allgemeinen Situation für Familien (Vorjahr: 68 Prozent). Besonders hoch ist der Anteil von Familien, die mit einer starken Verschlechterung rechnen, im Tessin, bei Einelternhaushalten und bei Haushalten mit einem Einkommen bis 100’000 Franken.
Wichtigste Themen
Die Lebenswelt der Familien in der Schweiz ist noch stärker als im Vorjahr von finanziellen Themen geprägt. Als Thema klar im Vordergrund stehen für Familien die Krankenkassenprämien, gefolgt von höheren Preisen im Allgemeinen. Die Themen Gesundheit sowie Klimawandel und Umweltschutz haben dagegen an Relevanz eingebüsst. Die Energieversorgung und -sicherheit ist deutlich in den Hintergrund gerückt und die Corona-Pandemie beschäftigt Familien in der Schweiz praktisch nicht mehr.
Die meisten Familien sehen in mehr finanziellen Ressourcen den wichtigsten Hebel zur Verbesserung ihres Familienlebens. Vor allem bei Einelternhaushalten und bei Haushalten mit einem Einkommen bis 120’000 Franken ist diese Ansicht besonders stark ausgeprägt. Dem eigenen Familienleben ebenfalls stark zuträglich wären mehr Freizeit mit der Familie und ein tieferes Stressniveau.
Die finanzielle Situation ist bei Familien in der Westschweiz und im Tessin angespannter als in der Deutschschweiz. Zudem zeigen die Ergebnisse über alle Regionen hinweg, dass nicht nur tiefere Einkommen, sondern auch Familien aus der Mittelschicht, die Verknappung der finanziellen Ressourcen zu spüren bekommen.
Noch deutlicher als im Vorjahr erwarten die Familien eine Fokussierung auf die Senkung der Kosten für die Krankenversicherung (51 Prozent) und die finanzielle Unterstützung von Familien (38 Prozent). Als dritte Priorität für die Familienpolitik nennen die Befragten die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben.
Familien in der Deutschschweiz und im Tessin gewichten diesen Punkt stärker als Familien in der Romandie. Ebenfalls stärker gewichtet wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Befragten mit Kindern bis 12 Jahren und von den höheren Einkommensgruppen.
Finanzen und Verzicht
Für mehr als die Hälfte der Familien (52 Prozent) reicht das Einkommen derzeit nur knapp oder gar nicht aus. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die finanzielle Situation der Familien damit etwas verschärft. Besonders hoch ist der Anteil von Familien, deren Haushaltseinkommen nicht oder nur knapp reicht, in der italienischen Schweiz, in der Romandie, bei Einelternhaushalten und bei Einkommen bis 100’000 Franken.
Die angespannte finanzielle Situation betrifft Familien unabhängig von der Anzahl Kinder. Bei mehr als drei Kindern ist sie jedoch zusätzlich akzentuiert.
Fast alle Familien (93 Prozent) denken aktuell darüber nach, wegen der schwierigen finanziellen Situation den Beschäftigungsgrad zu erhöhen, um ihr Familieneinkommen zu sichern. Bei 48 Prozent der Befragten spielt ein Elternteil mit dem Gedanken, mehr zu arbeiten, bei 45 Prozent sind es gar beide Elternteile.
Mit 30 Prozent ist der Anteil von Familien, die keine Möglichkeit zum Sparen sehen, gegenüber dem Vorjahr in der Tendenz leicht gestiegen. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Familien kann maximal 500 Franken pro Monat beiseitelegen. Das niedrige Sparpotenzial ist in der französischen und der italienischen Schweiz sowie bei Einelternhaushalten besonders ausgeprägt.
Wie im vergangenen Jahr machen Familien aus Kostengründen zuerst Abstriche bei den Ferien, bei Restaurantbesuchen und bei Freizeitaktivitäten. Von 7 auf 11 Prozent erhöht hat sich der Anteil der Familien, die bei der Gesundheitspflege sparen müssen. Weniger gespart wird dagegen bei regelmässigen Hobbies, bei Aus- und Weiterbildungen sowie beim Medienkonsum.
Für vier von zehn Familien sind die Kosten gar ein Grund, auf weitere Kinder zu verzichten. Dabei sind für 15 Prozent der Befragten die Kosten der Hauptgrund und für 26 Prozent einer von mehreren Gründen, keinen weiteren Nachwuchs zu haben. Finanzielle Faktoren beeinflussen somit auch das Wachstum und die Altersstruktur der Bevölkerung.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Etwa zwei Drittel der Familien (63 Prozent) sind mit der Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben aktuell zufrieden. Damit liegt die Zufriedenheit auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr. Die Zufriedenheit ist niedriger bei Familien mit Kleinkindern zwischen 0 und 3 Jahren, und sie nimmt mit höherem Einkommen tendenziell zu.
Steigern liesse sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Sicht der Befragten vor allem durch mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und die Möglichkeit für Homeoffice. Bei beiden Punkten ist die Bedeutung im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. An dritter Stelle folgt die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten.
Insgesamt 71 Prozent der Familien, die eine externe Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, sind mit der Betreuung sehr oder eher zufrieden. Damit hat die Zufriedenheit gegenüber dem Vorjahr in der Tendenz leicht zugenommen. Der Anteil an Familien, die aktuell keine externe Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, liegt im Vergleich zum Vorjahr mit 50 Prozent deutlich höher.
Die externe Kinderbetreuung liesse sich gemäss den befragten Familien vor allem durch eine Senkung der Tarife verbessern. Als weitere Massnahmen folgen eine flexiblere Nutzung der externen Kinderbetreuung sowie die Erhöhung der Anzahl Betreuungsplätze.