«Sugus-Haus»-Erbin kündigt 105 Mietparteien – und könnte auf Betrüger hereinfallen
«Das ist ein schönes Geschenk auf Weihnachten», sagt Paul M., der anonym bleiben möchte. Er meint diesen Satz nicht ernst. Im Gegenteil. Diese Woche hat ihm der Pöstler einen eingeschriebenen Brief überbracht, der ihn erschütterte: die Wohnungskündigung.
Nicht nur Paul M. muss seine Wohnung mit Frau und drei Kindern, im Alter von 9, 11 und 18 Jahren, bis zum 31. März 2025 verlassen. Auch 104 weitere Mieterparteien, die in den sogenannten «Sugus-Häusern» in der Zürcher Neugasse 81, 83 und 85 wohnen,wie watson gestern publik machte. Viele von ihnen sind junge Familien wie Paul M.:
«Wenn wir alle gehen müssen, wird das gesamte Quartier zerrissen.»
Es sei unrealistisch, dass die Mieterinnen und Mieter eine bezahlbare Wohnung im selben Quartier finden würden. Und das in nur knapp vier Monaten. Die Kinder müssten die Schule wechseln, würden ihre Freunde, ihr Umfeld verlieren. Ganze Klassen würden mitten im Schuljahr auseinandergerissen. Die Erwachsenen verlören Freundschaften, die sie in der Nachbarschaft gefunden und gepflegt hätten.
Familienfreundlich und günstig sollte es sein
Wir schreiben das Jahr 1990. Die SBB haben im Kreis 5, entlang der Bahngleise vor dem Zürcher Hauptbahnhof, eine freie Fläche zu vergeben. Hier soll das sogenannte Röntgenareal entstehen. Günstige Wohnungen, insbesondere geeignet für Familien, so das erklärte Ziel. Knapper werdender, bezahlbarer Wohnraum beschäftigt die Stadtbewohnenden schon damals.
Die SBB schreiben darum einen Wettbewerb für die Fläche aus. Das Siegerprojekt küren SBB und die Stadt Zürich gemeinsam: neun freistehende, gleich gestaltete Wohnbauten des Architektenduos Isa Stürm und Urs Wolf, die «ein breites Spektrum von Wohnformen und Einrichtungen zulassen» sollen. Es sind die Pläne für die künftigen Sugus-Häuser, die ihren Namen aufgrund ihrer rechteckigen Form und ihrer bunten Fassade erhalten werden.
Die Idee klingt gut. Doch die SBB haben Probleme, ein Bauunternehmen zu finden, das diese Vision umsetzen kann und will. Erst 1998 werden sie mit dem Bauherrn und Unternehmer Leopold Bachmann fündig. Den Bau der Sugus-Häuser schafft Bachmann in Rekordzeit fertig. Schon im April 2000 können 317 Mietparteien einziehen.
«Billigbauer der Nation», «der Schnellbauer» nennen ihn die einen. So etwa 2004 dieFachzeitschrift «Wohnen», die Bachmann vorwirft, das Risiko einzugehen, dass seine Bauten schon nach zehn, zwanzig Jahren saniert werden müssten.
Andere Stimmen nennen Leopold Bachmann einen «grossen Philanthropen», einen Menschenfreund. Denn Bachmann betont immer wieder, dass er vor allem ein Ziel habe:für wenig Verdienende, vor allem Familien mit Kindern, erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Darum verfolgt er auch als Vermieter eine menschliche Herangehensweise: Er achtet auf den «Mietermix», hält fest, dass in seinen Sugus-Häusern immer mindestens 20 Prozent der Mietparteien Ausländerinnen und Ausländer sein sollen.
Schon nach zehn Jahren Qualitätsmängel
Billigbauer oder Philanthrop? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Das zeigt eineStudie im Auftrag der Stadt Zürich, die 2010 zwei Soziologinnen veröffentlichten.
Sie ziehen einerseits ein positives Fazit: Die Bewohnerinnen und Bewohner fühlten sich im Röntgenareal sehr wohl und verankert, hätten Freundschaften mit Nachbarn geschlossen, schätzten den täglichen Austausch mit unterschiedlichsten Menschen. Von Konflikten aufgrund kultureller Unterschiede berichte niemand.
Ausserdem ging Leopold Bachmanns Wunsch auf. 2010 wohnten gemäss den Soziologinnen mehr Familien mit Kindern in den Sugus-Häusern als in allen anderen städtischen Quartieren. Und wer einmal in den Sugus-Häusern lebte, wollte nicht mehr wegziehen: «Die Umzugsrate liegt in der Siedlung klar unter dem städtischen Durchschnitt von 20 Prozent pro Jahr.»
Doch diese Medaille hat eine Kehrseite: die Bauqualität. 2010 zeigt sich genau das Bild, das die Kritikerinnen und Kritiker von Leopold Bachmann prophezeiten.
«Nach 10 Jahren fällt alles auseinander (billige Geräte etc.)», soll eine Mietpartei im Fragebogen der beiden Soziologinnen geschrieben haben. Andere berichten von Rissen in den Wänden, einer schlechten Bausubstanz, Schimmel, billigen Plättchen im Bad, die ausgewechselt gehörten, Schubladen, die sich in der Küche nicht mehr ausziehen liessen, Silikonfugen in der Dusche, die nicht mehr halten würden, einer schlechten Isolation der Räume oder davon, dass Fenstergriffe und Deckenverputz regelmässig abfallen würden.
Die Soziologinnen stellen fest: Die Zufriedenheit mit der Bauqualität hat innerhalb kurzer Zeit stark abgenommen. Bei der ersten Befragung 2002 hätten nur 14 Prozent der Mieterinnen und Mieter die Qualität der Sugus-Bauten bemängelt. Zwei Jahre später, 2004, waren es schon 24 Prozent. Im Jahr 2010 sind es schliesslich die Hälfte aller Mieterinnen und Mieter, die von Qualitätsmängeln in den Sugus-Häusern sprechen.
14 Jahre sind seit dieser letzten Befragung vergangen. Gut möglich, dass es inzwischen noch mehr Baumängel gibt. Ob diese eine Totalsanierung rechtfertigen, ist schwer abzuschätzen. Die Mieterinnen und Mieter, mit denen watson gesprochen hat, finden: Nein, eine Totalsanierung wäre nicht nötig.
Die Verwaltung Allgood Property AG findet im Kündigungsschreiben hingegen, die Wohnsituation sei «nicht mehr zumutbar». Um dieses Argument zu unterstreichen, veröffentlichte die Verwaltung auf ihrer Website Bilder von Rissen, Schimmel und anderen Mängeln. Dazu schreibt die Allgood Property AG nur drei Worte:
«Die bittere Wahrheit …»
Bachmann-Tochter erbte drei Sugus-Häuser
Die Allgood Property AG ist nicht die neue Besitzerin der Sugus-Häuser. Sie ist lediglich die eingesetzte Verwaltung.
Leopold Bachmann verstarb 2021 im Alter von 88 Jahren. Einen Grossteil seiner Liegenschaften übergab er seiner wohltätigen Leopold-Bachmann-Stiftung. Die Sugus-Häuser vererbte er zwei seiner Söhne und seiner Tochter Regina Bachmann. Alle drei bekamen je drei Häuserblocks. So schreiben es zumindestTsüri.chund derTages-Anzeiger. Unabhängig überprüfen konnte watson diese Angaben nicht.
Auf der Eigentumsauskunfts-Website des Kantons Zürich erhält watson beim Versuch, die Eigentümer der neun Sugus-Häuser ausfindig zu machen, eine Fehlermeldung:
Die Bachmann-Leopold-Stiftung will sich zum Fall nicht äussern, da sie nicht Eigentümerin der Liegenschaft sei. Einen Kontakt zu Regina Bachmann konnte watson nicht herstellen. Ihre Firma «Regina Bachmann Immobilien Zug» existiert erst seit Juni 2024 im Handelsregister und besitzt noch keine Website.
Dass Regina Bachmann nur drei Sugus-Häuser geerbt hat, würde jedoch erklären, warum nur die Mietparteien dreier Blocks die Kündigung erhielten. Paul M. sagt zu watson:
«Warum sollte nur bei uns die ‹Wohnsituation unzumutbar› sein, bei den anderen sechs Blocks ist aber alles in Ordnung?»
Er und viele andere Mieterinnen und Mieter glauben, die Antwort zu kennen: Regina Bachmann schiebt die Totalsanierung als Argument vor, um die 105 Wohnungen anschliessend für eine deutlich höhere Rendite weitervermieten zu können.
Die «Drecksarbeit» – den Rauswurf zahlreicher Familien, Pensionierten und Menschen mit geringem Einkommen – überlässt sie der Allgood Property AG. Aber damit könnte sie sich ins eigene Fleisch geschnitten haben. Denn hinter der Allgood Property AG versteckt sich ein zwielichtiger Geschäftsmann: Goran Zeindler.
Der fragwürdige Unternehmer
«Unsere Erfahrung ist Ihr Gewinn!» Diesen Slogan skandierte Goran Zeindler 2021 auf LinkedIn, um seine Immobilienfirma Albego Real Estate AG zu bewerben.
Die Albego Real Estate AG gibt es allerdings nicht mehr. Genauso wenig wie die anderen sieben Immobilien- und Bauunternehmen, die Goran Zeindler in den letzten zehn Jahren gegründet hat. Alle sind Konkurs gegangen. Sie sind gar so stark im Minus, dass das Bezirksgericht Höfe (SZ) mehrmals das Verfahren «mangels Aktiven» einstellen musste. Heisst: Die Aktiengesellschaften hatten nicht einmal mehr genug Geld, um Verfahrenskosten zu decken. Geschweige denn, um ihre Gläubiger auszuzahlen.
Von diesen könnte es einige geben. Auf der Plattform Immoverwaltungsvergleich.ch bewertete im September 2024 ein User die Albego Real Estate AG mit einem Stern. Und schrieb dazu:
«Warnung von Firmen von Hr. Goran Zeindler und seinen Geschäftspraktiken, mit denen er Handwerker und Bauherren in der CH über den Tisch zieht und das CH-System missbraucht. Seit ca. 2000 sind ca. 10 namentlich bekannte Firmen (meist AG), die auf Goran Zeindler zurückzuführen sind, in Konkurs gegangen oder mysteriös aufgelöst worden. Zurzeit laufen mind. 4 Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft.» Eintrag eines Users auf Immoverwaltungsvergleich.ch zu Goran Zeindlers Unternehmen.
Kurz nach unserem ersten Bericht über die Massenkündigungen in den Sugus-Häusern meldete sich ein watson-User mit einer ähnlichen Geschichte. Der Unternehmer schulde ihm 10’000 Franken. Und weiter:n
«Herr Goran Zeindler ist ein Betrüger!»
watson konnte diese Vorwürfe nicht unabhängig überprüfen. Die Allgood Property AG mit Sitz in Baar (ZG) wollte sich dazu nicht äussern.
Auf ihrer Website verspricht sie indes weiterhin sehr viel. Etwa «umfassende Leistungen über den ganzen Immobiliensektor». Und das gleich in allen erdenklichen Funktionen: als Bauherrin, Immobilienverwaltung und Investorin. Dabei wirbt die Aktiengesellschaft mit denselben Bildern von Bauten, welche Goran Zeindlers bereits zu Werbezwecken für seine Konkurs gegangenen AGs nutzte.
Die Allgood Property AG mit Sitz in Baar (ZG) ist das einzige von Goran Zeindler gegründete Unternehmen, das offiziell noch flüssig ist. Es ist jedoch eine berechtigte Frage, wie lange das noch so bleiben wird. Und ob die Sugus-Häuser-Erbin Regina Bachmann, während sie das bunte Leben eines ganzen Quartiers zerstört, auch noch auf einen Betrüger hereingefallen ist. Vielleicht wird ihr der dubiose Unternehmer ein ebenso «schönes» Weihnachtsgeschenk bescheren, wie sie es ihren Mieterinnen und Mietern mit den Kündigungen beschert hat.