
In Rekordzeit durch alle 26 Kantone: Ein Team reist in mehr als 16 Stunden über 1000 Kilometer weit
Pensioniert – und jetzt? Für Christoph Brändle, ehemaliger Softwareentwickler aus Buchs AG, war der Fall klar: Er wollte den Rekord der «Swiss Train Challenge» brechen. Das heisst, er muss schneller als alle zuvor mit dem öffentlichen Verkehr die 26 Kantone der Schweiz bereisen und dort auch noch einen Fuss auf den Boden setzen.
Als er anruft, um von seiner Fahrt zu berichten, sagt Brändle: «Jetzt habe ich ja Zeit, so komische Sachen zu planen.» Und dann schildert er, was ihm und drei Begleitpersonen am Samstag, 15. März, gelungen ist. Und warum es doch nicht so kam wie geplant.
Den Begriff «Swiss Train Challenge» erfanden Pfadis aus Neuenburg im Mai 2016. Damals schafften es die sechs Jugendlichen in 18 Stunden und 31 Minuten in alle Schweizer Kantone und berichtetendetailliert auf Facebook. Das Medienecho war gross. Schon 2015 aber hatte sich ein SBB-Fahrplanplaner aus Sarnen die Herausforderung gestellt und geschafft. Allerdings nicht ohne Zwischenfälle: In der Romandie fielen Züge aus, und das Wallis, seinen letzten Kanton, erreichte er damals erst nach Mitternacht und nach 19 Stunden und 45 Minuten. Das Westschweizer Fernsehen RTS hatte ihn auf der Fahrt begleitet.
Gotthard-Basistunnel veränderte die Bedingungen
Ab Juni 2016 wurde es einfacher, den Rekord der Neuenburger Pfadi zu brechen: Der Gotthard-Basistunnel wurde eröffnet, die Fahrt in den Kanton Tessin dreissig Minuten kürzer. 2017 schafften denn auch vier junge Tessiner im zweiten Versuch eine neue Rekordzeit von 17 Stunden und 16 Minuten. Der «Blick»und die SRF-Sendung «Glanz&Gloria» berichteten.
2018 reizte das Fahrplantüfteln auch zwei Studenten der EPFL. Mit Hilfe eines eigens entwickelten Algorithmus wollten sie die «Swiss Train Challenge» in 16 Stunden und 54 Minuten schaffen. Nach Verspätungen in Bern mussten sie sich aber aufteilen, um noch alle Kantone zu erreichen, und scheiterten somit. Nicht ganz geschafft hatte es auch ein Redaktor von CH Media mit seinen sechs Pfadifreunden 2022 – am Ende fehlte das Wallis.
Mitten in der Pandemie dann, 2021, und mit Masken schafften drei Romands einen neuen Rekord in 16 Stunden 55 Minuten, den sie in einem Film auf Youtube festhielten.
16 Stunden, 55 Minuten – das wollte Christoph Brändle aus Buchs unterbieten. Seine Kenntnisse als Softwareentwickler wandte er nicht an, sondern studierte lange die Geografie, die Zugstrecken und die Fahrpläne der Schweiz. Dabei galt es auch, Verbindungen zu finden, die der Fahrplan nicht automatisch anzeigt, weil nur eine oder zwei Minuten Umsteigezeit zur Verfügung stehen.
21 Umsteigeorte und zwei Wildfremde als Begleitung
Als er eine Route gefunden hatte, die in 16 Stunden und 18 Minuten zu schaffen sein könnte, schrieb er diese auf einer Aktivitäten-Plattform im Internet aus. Ein Kollege aus dem Kanton Zürich war ohnehin dabei, eine Frau und ein Mann aus der Ostschweiz gesellten sich dazu.
Brändle hatte die 21 Umsteigeorte penibel recherchiert: Wartet der Anschlusszug auf dem Perron gegenüber oder muss man eine Unterführung benutzen? Und er hatte gemerkt: Die Reise muss entweder in St. Maurice enden oder beginnen. Die Gemeinde am Rande des Wallis spart eine lange Querung des Kantons. So hatten es auch seine Vorgänger gemacht. Daher reisten die vier alle am Vortag nach St. Maurice, um dort zu übernachten.
Um 5.25 Uhr am 15. März ging es los, ohne Frühstück mit dem ersten Zug Richtung Genf. Von da fuhren sie nach Lausanne, Neuenburg, Kerzers und Biel in den Jura und weiter nach Basel. Brändle sagt: «Auf dieser Strecke geht es anders nicht besser. Das sieht man daran, dass sich die Route meiner Vorgänger in der Westschweiz nicht unterscheidet. Erst danach wird es komplex, besonders in der Ostschweiz.»

Bild: Christoph Brändle
Bisher waren die Zugfahrer der «Swiss Train Challenge» nach Herisau und Jakobsbad oder Gais und Appenzell gefahren, um die beiden Appenzell zu erreichen. Das dauert. Brändle sah, dass es eine Postautolinie von Heerbrugg via Oberegg AI nach Heiden AR gibt, das ging schneller. Dafür musste er das Verkehrsmittel wechseln, aber: Hauptsache, öffentlicher Verkehr.
Knifflige Orte gab es noch andere: Der Bahnhof Ziegelbrücke zum Beispiel liegt knapp nicht im Kanton Glarus. Brändle aber sah, dass man Mühlehorn GL am Walensee besuchen kann, anstatt in den «Zigerschlitz» rein zu fahren.
In Luzern verpassten sie den Anschluss um Sekunden
Zuerst lief alles wie geplant. Sogar fürs Kaufen von Proviant reichte die Zeit zum Umsteigen unterwegs. Doch um nach Alpnachstad im Kanton Obwalden zu gelangen, war ein Abstecher nötig. Zum Umsteigen auf den Zug zurück nach Luzern bleibt nur eine Minute Zeit. Bei den früheren Rekordhaltern hatte das funktioniert – und auch Brändle und sein Team hatten Glück.
Doch ihr Zug aus Luzern verspätete sich unterwegs. «Wir haben den Gegenzug zwar noch erwischt, aber dieser hat die Verspätung mitgenommen und konnte sie bis Luzern nicht mehr aufholen.» In Luzern verpassten die vier daher den Zug nach Arth-Goldau um wenige Sekunden. Ohne Verspätung wären ihnen zwei Minuten zum Umsteigen zur Verfügung gestanden.

Bild: Christoph Brändle
Was nun? Die Bähnler tippten auf ihren Smartphones und checkten alternative Routen. Sie reisten schliesslich eine halbe Stunde später in den Kanton Tessin. Aber auf der Rückreise mussten sie den Kanton Zürich auslassen und von Pfäffikon direkt weiter nach Ziegelbrücke reisen, wo sie um ein Haar noch mal den Anschluss verpassten. Das Problem lösten sie so, dass sie am ursprünglichen Ziel in Stein am Rhein SH noch weiterfuhren – bis Langwiesen, die erste Station auf Zürcher Boden.
«Die restliche Reise ging dann so wie geplant. Auch die Rheintal-Strecke, die aktuell als Achillesferse der SBB gilt, lief optimal», sagt Brändle. Um 22.04 Uhr traf der Zug in Langwiesen ein. Die Reise dauerte somit 21 Minuten länger, war aber immer noch Rekord. Und die vier schafften es sogar noch zurück an ihre Wohnorte.

Bild: Christoph Brändle
Wurde der Rekord etwa schon 2020 unterboten?
Doch wie immer bei Rekordversuchen: So ganz sicher kann man sich nie sein, ob einem keiner zuvor gekommen ist. Prompt stossen wir bei der Recherche auf einenEintrag im Guinness-Buchder Rekorde von 2020. Da ist offenbar ein Gian-Luca Bähler, Vizepräsident bei den Thuner Eisenbahnamateuren, aus Gunten BE am 22. Mai in nur 15 Stunden und 30 Minuten in alle Kantone der Schweiz gefahren.
Wie ist das möglich? Die Erklärung: Gian-Luca Bähler hat nicht in allen Kantonen einen Fuss auf den Boden gesetzt – für einen Eintrag im Guinness-Buchs war das nicht nötig. Er reiste durch die Kantone Uri und Graubünden durch, wie er auf Anfrage schreibt. Und fügt an: «Meine genaue Route teile ich nur ungern, da während unseres Rekordversuchs aufgrund der Pandemie das Angebot eingeschränkt war und ein zusätzlicher Pendlerzug nicht fuhr. Dadurch wäre die aktuelle Bestzeit relativ leicht um 8 Minuten zu unterbieten.»
Konfrontiert damit rechnet Christoph Brändle sofort nach. Dann meldet er: «Man könnte sogar eine Zeit von 15 Stunden und 14 Minuten schaffen. Dabei würden ohne Halt die Kantone GR, GL, TG und AG durchfahren.» Ohne Stopp durchfahre man zum Beispiel den Kanton Graubünden automatisch auf dem Weg ins Tessin bei der Nothaltestelle Sedrun im Gotthardtunnel. Doch Brändle sagt: «Das entspricht nicht den Vorgaben der ‹Swiss Train Challenge›.»
Brändles Team stoppte in allen Kantonen – wenn auch manchmal nur für die Dauer des Zugshalts wie in Altdorf, wo sich die Zugbegleiterin wunderte, dass vier Gäste aus- und schnell wieder einstiegen, und nach dem Grund fragte.
Nun, ob 16 Stunden und 39 Minuten, 15 Stunden und 14 Minuten oder damals die Zugfahrt der Neuenburger Pfadi – die Erlebnisse müssen sehr ähnlich gewesen sein. Zwar hatten alle Begleitung zur Unterhaltung, aber mit der Zeit wird die Fahrt lang. Oder der Bodensee: «Der Bodensee ist sehr lang!», schreibt Brändle als Fazit, nachdem sie schon den ganzen Tag unterwegs gewesen waren. 1035 Kilometer hatte sie das Schweizer Bahnnetz in dieser Zeit befördert, das ist mehr als die Strecke Zürich–London. Zum Preis einer SBB-Tageskarte. 21-mal sind sie umgestiegen. Dass sie dennoch in Rekordzeit ans Ziel kamen, ist beste Werbung für die SBB. Beim täglichen Pendeln auf dem Schienennetz bekommt man ja manchmal einen anderen Eindruck, was Anschlüsse und Ausfälle betrifft.
Die SBB schreibt: «Wir gratulieren dem Team zu dieser tollen Leistung. Die sorgfältige Planung, der sportliche Einsatz und der nötige Durchhaltewillen sind beeindruckend.» Man hoffe, dass das Team die schönen Strecken durch die Schweiz habe geniessen können, und freue sich über alle, die die Swiss Train Challenge ebenfalls wagen.