Bircher will Flüchtlinge an der EU-Aussengrenze abfangen, Feri die Unterbringung bei Privaten forcieren
20 neue Geflüchtete pro Tag – mit dieser Anzahl neuer Zuweisungen rechnet der Aargauer Sozialdirektor Jean-Pierre Gallati (SVP). Das sind 600 Personen im Monat, damit dürften die bestehenden Unterkünfte im Kanton bis Ende Februar voll sein. Um einfacher neue Anlagen belegen und notfalls den Zivilschutz zur Betreuung aufbieten zu können, hat der Regierungsrat am vergangenen Freitag die Asylnotlage ausgerufen.
Im «Talk Täglich» zeigte sich SVP-Nationalrätin Martina Bircher erstaunt, dass der Kanton diesen Schritt erst jetzt macht: «Die Flüchtlingskrise hat ein riesiges Ausmass angenommen.» Bisher habe man dies dank privater Unterbringungen unter dem Deckel halten können, aber jetzt stosse man an Grenzen, sagte Bircher, die in Aarburg auch Sozialvorsteherin ist.
SP-Nationalrätin Feri unterstützt SVP-Regierungsrat Gallati teilweise
SP-Nationalrätin Yvonne Feri sagte, ihre Kantonalpartei und der Verein Netzwerk Asyl hätten längst eine Taskforce gefordert, um den Zustrom von Geflüchteten zu bewältigen. Feri hatte 2019 für den Regierungsrat kandidiert und war Gallati unterlegen – auf die Frage von Moderator und AZ-Chefredaktor Rolf Cavalli, was sie anders machen würde als der SVP-Mann, sagte sie: «Ich hätte versucht, früher eine Lösung zu finden, weil schon seit Monaten klar war, wie sich die Lage entwickelt.»
Feri sagte, dass der Kanton für mehr Unterkünfte sorge, sei richtig, hier unterstütze sie Gallati. Kritisch sieht die SP-Politikerin, die früher in Wettingen als Gemeinderätin das Sozial- und Asylwesen betreute, die unterirdische Unterbringung. Zivilschutzbunker und Notspitäler findet Feri nur für wenige Wochen als Übergangslösung zumutbar. «Wenn die Leute ohne Tageslicht auf engem Raum zusammengepfercht sind, gibt das Konflikte.»
Bircher sagte, den Fokus jetzt nur auf die Unterbringung zu legen, sei kurzsichtig und lenke vom eigentlichen Problem ab: Rund 90 Prozent der vorläufig Aufgenommenen aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei würden für immer in der Schweiz bleiben. «Wir müssen schauen, dass sie an der EU-Aussengrenze ein Gesuch stellen, wenn sie erst mal hier sind, bringen wir sie nicht mehr raus», sagte die SVP-Nationalrätin.
Feri begrüsst private Unterbringung, Bircher ist entschieden dagegen
Nicht einig waren sich die beiden Politikerinnen bei der privaten Aufnahme von Flüchtlingen. Feri begrüsst diese und findet, damit sei eine einfachere Integration möglich. Sie sehe nicht ein, warum die Unterkunft bei Gastfamilien nur den Ukrainern mit Schutzstatus S vorbehalten sei, auch andere Geflüchtete sollten diese Möglichkeit haben.
Bircher sagte, oft würden Private leere Wohnungen vermieten, dass Flüchtlinge in Familien lebten, sei selten. Sie ist gegen die private Aufnahme, weil die Verteilung der Geflüchteten auf die Gemeinden nicht nach dem bewährten Schlüssel stattfinde. Mit dem aktuellen System würden Private entscheiden, wie stark eine Gemeinde belastet werde.
Beide wehren sich gegen Beschlagnahmung privater Liegenschaften
Eine neue Notverordnung erlaubt es dem Kanton, im Notfall auch private Liegenschaften zu beschlagnahmen. Bircher sagte, sie würde ihrem Parteikollegen Gallati entschieden abraten, zum Beispiel die Turnhalle in Aarburg zu beschlagnahmen. «Ich finde des sehr heikel, wir haben ein Recht auf Eigentum, die eigenen Leute zu bestrafen, ist absolut falsch.»
Feri würde sich ebenfalls gegen die Beschlagnahmung privater Liegenschaften wehren, «eine solche Massnahme wäre sehr schwierig». Sie hätte aber weniger Mühe damit, zum Beispiel leerstehende Hotels oder Altersheime zwangsweise zu nutzen.
Auch im Grossen Rat war die Asylnotlage am Dienstag ein Thema, die SVP-Fraktion hat eine Interpellation mit mehreren Fragen eingereicht. Sie kritisiert, dass im Aargau «nach wie vor mehrere hundert Plätze mit ausreisepflichtigen Personen belegt sind, deren Asylantrag rechtskräftig abgewiesen wurde». Die SVP will wissen, wie hoch die Rückführungsquote dieser Menschen in den Jahren 2018 bis 2022 gewesen sei und was der Regierungsrat unternommen habe, um diese zu steigern.