«Ihr wollt das Auto verhindern» – «Nein, wir wollen Tote verhindern»: Giezendanner und Suter streiten über Tempo 30
Es war nicht die erste und wird auch nicht die letzte gewesen sein: die Diskussion um Sinn und Unsinn von Tempo 30. Im «Talk Täglich» auf Tele M1 stritten sich am Dienstag SP-Nationalrätin Gabriela Suter und SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner über die Massnahme. Im Verkehrskanton Aargau polarisiert sie bei Volk und Politik gleichermassen.
Am vergangenen Abstimmungssonntag wurden gleich in sechs verschiedenen Aargauer Gemeinden Tempo-30-Vorlagen verworfen. Namentlich muss man in Bettwil, Boswil, Hausen, Koblenz, Riniken und Gipf-Oberfrick bei der Einführung der Temporeduktion auf Gemeindestrassen eine Vollbremsung machen.
Gabriela Suter bedauert den Ausgang dieser Abstimmungen. Denn in gewissen Dörfern wurde Tempo 30 zuvor an einer Gemeindeversammlung beschlossen. «Die hohe Mobilisierung der AHV-Abstimmungen hat dazu geführt, dass hier auch andere Leute abgestimmt haben, als damals an der Gemeindeversammlung dabei waren», vermutet Suter. An den Gemeindeversammlungen seien wohl eher Direktbetroffene anwesend gewesen, die von der Tempo 30 und damit einer verbesserten Wohnqualität profitiert hätten.
«Dass man diese Leute nun an der Urne nicht unterstützt hat, ist schade. Es macht mir Sorgen, wenn man diesen Wunsch nicht mitträgt», sagt Suter dazu. Schliesslich sei das ja ein Anliegen, das nicht von oben herab, sondern von unten, aus der Bevölkerung komme.
Benjamin Giezendanner interpretiert die Abstimmungen genau umgekehrt: «Das sind doch basisdemokratische Entscheidungen. Die Leute durften selber entscheiden, und eine Mehrheit hat sich dagegen ausgesprochen.» Er gibt zu bedenken, dass es an Gemeindeversammlungen schwieriger sein kann, sich für Tempo 50 einzusetzen. Dort werde einem schnell mal vorgeworfen, dass man die Sicherheit der Kinder gefährde oder für Lärm verantwortlich sei. «Ich glaube aber, im Innersten ist Tempo 30 ein riesiges Ärgernis für die Bevölkerung.»
Tempo 30 auch auf Kantonsstrassen?
Gabriela Suter betont im Talk derweil die Vorteile der Verkehrsmassnahme: «Es ist einfach die günstigste Massnahme für mehr Sicherheit und eine bessere Aufenthaltsqualität.» Zudem würde der Verkehr damit flüssiger.
Transportunternehmer Giezendanner sieht das natürlich anders. Gerade wenn sich die Diskussion um Kantonsstrassen drehe – als Beispiel sei hier der Tempo-30-Testbetrieb auf der Bahnhofsstrasse in Aarau genannt – gelte es, die Strassenhierarchie einzuhalten. «Kantonsstrassen sind dazu da, den Verkehr zu sammeln, weiterzuleiten und abfliessen zu lassen.» Diese Aufgabe könne die Strasse mit Tempo 30 nicht mehr erfüllen. Zudem würde es damit zu Ausweichverkehr in die Quartiere kommen.
In gewissen Situationen sieht der Vater von drei kleinen Kindern aber durchaus ein, dass man auch auf verkehrsorientierten Strassen Ausnahmen machen könnte. Etwa im Umfeld von Schulhäusern. Es könne auch Sinn machen, die Massnahmen nur auf wenige Stunden am Tag zu beschränken. Aber: «Es ist pädagogisch der falsche Ansatz, wenn wir den Kindern sagen, ihr könnt jetzt über die Strasse laufen, wenn ihr wollt», so der Rothrister. Und legt gleich nach: «Aber ihr wollt einfach das Auto verhindern.»
Die Aarauerin will diesen Schlag nicht auf sich sitzen lassen und führt dazu Zahlen der Beratungsstelle für Unfallverhütung ins Feld. Demnach würden die Hälfte der schweren Unfälle in der Schweiz innerorts passieren. «Mit einer Temporeduktion kann man einen Drittel davon verhindern. Das sind 640 Schwerverletzte und 20 Todesfälle. Und jeder Tote ist einer zu viel.»
«Und mit Tempo null hätten wir dann wahrscheinlich keine Toten mehr auf den Strassen», kommentiert Giezendanner. Er hält die genannten Zahlen für reine Stimmungsmache und daher wenig vertrauenswürdig. Aus seiner Sicht werde es sowieso der Fall sein, dass die Autos und damit der Verkehr dank fortschrittlicherer Technik immer sicherer werden. «Dann könnte man sogar fast noch schneller fahren in Zukunft», schliesst Giezendanner mit einem Augenzwinkern.