Tanzfest Aarau: So grazil haben Sie den Hoselupf noch nie gesehen
Sie umkreisen einander, nähern sich, stossen sich ab, nur um wieder zusammenzufinden und sich gegenseitig im Wechsel durch die Luft zu wirbeln. Die Rede ist nicht vom Eiskunstlauf oder vom Ballett, sondern vom Schwingen. Ausgerechnet aus dem Sport der «bösen Buben» hat die Basler Choreografin Johanna Heusser ein Tanztheater gemacht. «Ich wandle nichts um – was man sieht ist Schwingen, die Bewegungen kommen direkt aus dem Sport», stellt sie rasch klar.
Ohne Rücksicht auf eigene Vorurteile
Johanna Heusser, 27-jährig, wuchs in Basel auf, weit weg von Sägemehl-Arenen, Schwinger-Königen und Sieger-Munis. Und trotzdem sagt sie:
«Ich fand den Sport schon immer seltsam anziehend, vielleicht gerade weil dabei Werte verkauft werden, die mir fremd sind – das Patriarchale, das Nationalistische. Es hat sich richtig angefühlt, dass ich als junge Frau aus der Stadt mich auf das Thema einlasse.»
Sie tut dies, in dem sie die Tradition packt, knetet und walzt – mit viel Respekt für das Schweizer Kulturgut und mit wenig Rücksicht auf eigene Vorurteile. Hinter dem Stück «Dr Churz, dr Schlungg und dr Böös», das im Herbst 2021 zur Uraufführung kam, liegt eine zweijährige Recherche. Im Emmental gibt es ein Archiv fürs Schwingen, mit historischen Aufnahmen und Schriften, der Kulturhistoriker und Schwing-Experte Linus Schöpfer beriet die Choreografin. «Wenn ich etwas erzähle, will ich genau wissen, was ich sage», so Johanna Heusser. Und dafür musste sie in die Hosen steigen: Gemeinsam mit ihren zwei Performern Dennis Freischlad und David Speiser nahm sie Schwingtraining in Binningen – eine halbe Stunde Fahrt von Pratteln, wo im August das «Eidgenössische» stattfinden wird.
Davor jedoch wird in Aarau das Sägemehl ausgestreut. Das Stück eröffnet das dreitägige «Tanzfest» in der Stadt. Freischland und Speiser werden die Zwilchhosen überziehen und sich vor dem Kampf auf die Wangen klatschen. Aus Tänzern werden Schwinger, aus dem Duell ein inniger Pas-de-Deux. «Es ist ein humorvolles Stück, das Lust machen soll auf den Sport», sagt Heusser, die in den letzten Jahren selbst zum Fan des Sports wurde:
«Es gibt einen Unterschied zwischen dem Schwingen in der Werbung, mit seinen übertriebenen Männlichkeitsbildern und dem ‹echten› Schwingen.»
Hinabschauende Hunde und Blick in die Sterne
Zuletzt trat die Choreografin mit ihrem Solostück «How to do a downward facing dog?» über Yoga auf – nur auf den ersten Blick ein Gegensatz zum staubigen Älplersport. Immer wieder nimmt sie sich solchen kulturellen Praktiken an, oftmals gutvermarktete Projektionsflächen für Mythen und Klischees. Immer wieder ist das auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Denn dass Heusser ausgebildete Yogalehrerin ist, gibt ihr keinen Grund, sich zu schonen.
Zurzeit arbeitet die Choreografin an einem Sternzeichen-Musical. «Sterne sind etwas Glamouröses und ich habe Lust, etwas völlig Übertriebenes zu machen mit Funkeln und Glitzern.» Die Sternendeutung liegt im Trend. «Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zur Astrologie. Einerseits finde ich sie spannend, meine Grossmutter ist Astrologin. Andererseits halte ich es für Schwachsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sterne unser Leben in den Kategorien Geld, Familie, Liebe denken.»
Seit 2016 bringt die Baslerin eigene Stücke auf die Bühne, für die sie vielfach ausgezeichnet wurde. Mit ihren getanzten «Hoselupf» ist sie nun auch zum Schweizer Theatertreffen eingeladen. Zwei Anfragen von internationalen Festivals liegen ausserdem auf dem Tisch. «Es läuft», sagt die Choreografin und wirkt selbst ein wenig überrascht vom Erfolg.