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Muss man sich wirklich alles auf den Körper malen? Wenn Tätowiererinnen ihre Kunden nach Hause schicken

Die Zürcher Ink Days machen es deutlich: Lange überlegt wird heute nicht, bevor ein Tattoo gestochen wird. Es muss sofort her. Aber muss man sich wirklich alles auf den Körper malen? Wir haben drei Tätowiererinnen gefragt, wo sie ihre rote Linie ziehen.

Wer hat noch keins, wer will noch eins? Mit einer Nadel Tinte in die Haut zu injizieren und den Körper zur Leinwand zu machen, das war einst etwas für spezifische Szenen, ein Bekenntnis. Heute hat der Tattoo-Boom die breite Gesellschaft erfasst, die Ink Days, die von Freitag bis Sonntag in Regensdorf stattfinden, erwarten Tausende von Besuchern.

Das Tattoo sei schnelllebig geworden, bilanziert Tätowiererin Sandy Jaspers von True Body Art in Zürich. «Der Spirit ist, dass man heute vorbeikommt und morgen ein Tattoo will, und nicht erst nächste Woche.» Ein Bewusstsein für die Tragweite fehlt. «Es ist der Yolo-Lifestyle (you only live once – dass man also nur einmal lebt, Anm. d. Red.), was morgen kommt, ist egal. Viele vertrauen wohl auch darauf, dass man das Tattoo wieder weglasern könne. «Dass es aber ganz weggeht, ist nicht garantiert.»

Ivana Wilhelm, die mit ihrem Mann je ein Studio in Buchs und Schönenwerd betreibt, sagt, es seien vor allem Jugendliche, die ein Tattoo wie Fashion betrachten. «Sie wollen es schnell und billig.» Inspirationsquelle seien oft Rapper oder Fussballer. «Manchmal haben die richtig hässliche Tattoos, aber dann wollen die Jungen genau dasselbe wie ihr Idol.»

Angelina Megel, Tätowiererin in Deutschland.
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Heute fühle man sich fast wie ein Aussenseiter, wenn man kein Tattoo habe, sagt Angelina Mengel, die zu den besten Tätowiererinnen Deutschlands zählt. Das bringt den Studios viele unsichere Kunden. «Die sagen, sie wollen ein Tattoo, das man möglichst nicht sieht.» Das ergibt für Mengel wenig Sinn, ist ein Alarmzeichen. «Ein Tattoo verändert den Körper total, dessen muss man sich bewusst sein.» Gerade bei Frauen sehe man öfters kleine Tattoos an den Händen oder Armen, die wie ein halbherziges Bekenntnis ausschauten. «Ganz oft: Herzli.»

Jugendliche kommen mit einer Blanco-Zusage der Eltern

Mengel schickt unsichere Kundinnen und Kunden lieber nach Hause. Die anderen beiden Tätowierer halten es gleich. Aber offensichtlich nicht alle: Nur so kann man sich die zunehmende Anzahl Kunden erklären, die ihre Tattoos wieder weggelasert haben wollen.

Und auch «matchen» muss es: Verstehen sich Tätowiererin und Kunde nicht, sind das keine guten Voraussetzungen für ein gelungenes Werk. Da verzichtet Megel sogar mal von ihrer Seite aus auf einen Auftrag, das heisst auf Einnahmen. Wie man den richtigen Tätowierer für sich findet, erzählt Mengel auf ihrem eigenen Tik-Tok-Kanal. Es ist Aufklärungsarbeit, wie sie bei Tätowiererinnen zum Job gehört.

Die Zürcher Tätowiererin Sandy Jaspers.
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Auch Sandy Jaspers schickt regelmässig Kunden weiter oder in ein anderes Studio. «Es gibt Leute, denen siehst du an, dass sind Trouble-Maker.» Bei Wilhelm sind es vor allem Jugendliche, denen sie ein Tattoo wieder ausredet. Das ist auch darum nötig, weil einige Eltern ihren nicht volljährigen Kindern eine Blanko-Einwilligung geben. Angelina Mengel:

«Die Eltern kennen nicht einmal das Motiv. Sie sagen: Mein Sohn oder meine Tochter macht sowieso, was sie will.»

Wilhelm beobachtet, dass Kunden im mittleren Alter oft glücklich nach Hause gehen – «glücklicher als die Jungen». Sie hätten sich wohl lange Gedanken gemacht, übers Motiv, den Stil, die Tätowiererin oder erfüllten sich einen Lebenstraum.

Verdeckte Rechtsradikale kommen mit extremen Wünschen

Nazisymbole, sexistische oder sonst extremistische Sprüche oder Motive sind für die drei Tätowiererinnen ein No-Go. Allerdings findet die rechtsradikale Szene nur selten den Weg in ein seriöses Tattoo-Studio.

Sandy Jaspers erzählt von einem Kunden, der ein Porträt mitbrachte und sich dazu Runen wünschte. Er habe ihr versichert, dass es sich um keinen Nazi handle. Eine Google-Recherche ergab aber das Gegenteil. «Ich habe ihn dann angerufen und zusammengestaucht.» Ein anderer habe auf einem Finger den Schriftzug «Game over» gewünscht, als sie ihn nach seinem Beruf fragte, sagte er: «Gangster.»

Angelina Mengel hatte einen Kunden, der seinen Penis tätowieren lassen wollte. Für sie war klar: «Penisse tätowiere ich nicht.»

Aber das sind Einzelfälle. Und doch wird oft über den Ort der Tätowierung diskutiert. «Man sieht Hip-Hopper und Fussballer, die sich die Gesichter zutätowieren lassen – und dann will das auch der kleine Kevin aus Rüschlikon», sagt Sandy Jaspers. Für sie ist klar, Hände, Hals und Gesicht kommen erst in Frage, wenn alles andere tätowiert ist.

Motive kopieren ist verpönt

Keine Chance haben Kunden bei den drei Tätowiererinnen, wenn sie eine Kopie eines bereits bestehenden Tattoos wollen. Dass die Leute Bilder von Tattoos mitbringen, die ihnen gefallen, sei die Regel und gut, um Motive und Stil zu klären. «Aber Kopieren geht gar nicht», sagt Ivana Wilhelm. Am besten bringe man eine Idee mit und lasse die Tätowierer zeichnen, sagt sie übereinstimmend mit den beiden Berufskolleginnen. «Damit zeigt man Respekt gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, die wir ja sind.»