Jannik Sinner drohen zwei Jahre Dopingsperre – Novak Djokovic sagt: «Das wirft kein gutes Licht auf uns»
Mit 23 Jahren thront der Italiener Jannik Sinner unangefochten an der Spitze der Weltrangliste des Männertennis. Nach seiner Titelverteidigung bei den Australian Open hat er drei der letzten fünf Grand-Slam-Turniere und die letzten drei auf Hartplätzen gewonnen. Nur der Spanier Carlos Alcaraz vermochte die Dominanz im letzten Jahr zu durchbrechen, als er in Paris und Wimbledon innert fünf Wochen zwei Major-Turniere gewann.
Während der Spanier dort wieder zu den ersten Anwärtern auf den Sieg zählen dürfte, ist fraglich, ob Sinner dort überhaupt dabei sein wird. Grund dafür sind die Dopingvorwürfe und das Verfahren, das gegen ihn läuft.
Im vergangenen Sommer drang an die Öffentlichkeit, dass er im Frühling beim Turnier in Indian Wells und später bei einer Trainingskontrolle zweimal positiv auf das Steroid Clostebol getestet worden war.
Anhörung in Lausanne nicht öffentlich
Mitte April kommt es vor dem internationalen Sportgericht in Lausanne zu einer Anhörung Sinners. Die International Tennis Integrity Agency (ITIA) hatte Sinner freigesprochen, weil ihm kein vorsätzliches Verschulden und keine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden konnte. Sinner hatte erklärt, die Substanz sei mit einer Crème bei einer Behandlung über die Hände seines damaligen Physiotherapeuten in seinen Körper gelangt. Inzwischen hat er sich von Giacomo Naldi und Athletiktrainer Umberto Ferrara getrennt.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat Zweifel an dieser Darstellung und geht in Berufung. Bei einer Verurteilung droht Sinner eine zweijährige Sperre. Da keine der Parteien eine öffentliche Anhörung beantragt hat, «wird diese hinter verschlossenen Türen stattfinden», teilte der TAS mit.
Auch Iga Swiatek positiv getestet
Fakt ist: Jannik Sinner wurde zweimal positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Dafür wurde er zweimal für wenige Tage provisorisch gesperrt. Beide Male erfuhr die Öffentlichkeit erst nach Abschluss des Verfahrens davon. Beides ist Usus. Und beides sorgt für ein gerüttelt Mass Unmut.
Immer zahlreicher und immer lauter werden die Stimmen jener, die eine Ungleichbehandlung beklagen. Zumal Ende 2024 noch bekannt geworden war, dass im Sommer mit Iga Swiatek die damalige Nummer 1 bei den Frauen positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet worden war. Die Polin wurde in der spielfreien Zeit für einen Monat gesperrt.
Differenzierte Kritik von Djokovic
Andere, und das führt zu Kritik, warten weitaus länger auf ein Urteil. Wie zum Beispiel Tara Moore. Die Doppelspezialistin aus Grossbritannien war im April 2022 während eines Turniers in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá positiv auf Nandrolon getestet und vorläufig gesperrt worden. Erst im Dezember 2023 erfolgte das Urteil. Moore wurde freigesprochen, weil sie kontaminiertes Fleisch gegessen hatte. In der Zwischenzeit konnte sie keine Turniere bestreiten und blieb anderthalb Monate ohne Einkommen.
Mit Denis Shapovalov und Nick Kyrgios beschwerten sich zwei Männer besonders laut über den Fall. Der Australier Kyrgios sagte unverblümt: «Das ist ekelhaft und wirft ein schreckliches Licht auf unseren Sport.»
Differenzierter, wenn auch deutlich äusserte sich Novak Djokovic. «Die Frage ist für mich nicht, ob Jannik unbewusst oder bewusst eine verbotene Substanz genommen hat. Was mich frustriert, ist die Inkonsistenz und die fehlende Transparenz. Wir wurden während Monaten im Dunkeln gelassen. Das wirft kein gutes Licht auf unseren Sport», sagte der Serbe.
Umso bemerkenswerter ist, wie Sinner mit dem Damoklesschwert Doping umgeht, das über ihm hängt. Er sagt: «Ich habe ein reines Gewissen, weil ich weiss, was geschehen ist.» Er fühle sich nicht schuldig. Doch er sagt auch: «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich es vergessen habe. Es ist etwas, was ich jetzt schon ziemlich lange mit mir herumtrage.»
Sicher ist: Ob Jannik Sinner Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann oder nicht – je mehr er gewinnt, je länger der Fall ungeklärt ist, desto grösser ist die Fallhöhe und damit auch der Schaden, wenn er gesperrt werden sollte.