Elon Musk und seine Rolle beim Anschlag von Magdeburg
Die – indirekten – Verbindungen beginnen schon vor dem Anschlag vom 20. Januar in Magdeburg. Immer wieder verweist Taleb Al Abdulmohsen auf X oder in Interviews auf Tech-Milliardär und X-Inhaber Elon Musk. Der 50-jährige Mann aus Saudi-Arabien raste mit einem BMW in die Menschenmenge am Weihnachtsmarkt. Fünf Personen wurden getötet, 200 zum Teil schwer verletzt.
Acht Tage vor dem Anschlagpubliziert die amerikanische Plattform «Rair Foundation USA» ein 45-minütiges Interview mit dem späteren Attentäter. Die Plattform gilt als antiislamische Organisation. Taleb A. gibt sich dort als Fan von Elon Musk. Was dieser äussere, sei «wahr», sagt er. «Die Regierungen nutzen die Massenmigration als Instrument der Destabilisierung. Es geht nicht darum, Flüchtlingen zu helfen – es geht darum, die westlichen Nationen von innen heraus umzugestalten.»
Deutschland wolle Europa «islamisieren», glaubt Taleb A. Und Deutschland wolle saudischen Flüchtlingen, vor allem Frauen, nicht helfen. Im Gegenteil: Man verfolge sie. Diese wirren Thesen vertritt Taleb A. auf X.
Seit März 2016 hat er dort 121’378 Posts abgesetzt, wie der Mitteldeutsche Rundfunk nachzählte. Taleb A. war 2006 mit einem Visum nach Deutschland gekommen, um seine Facharztausbildung zu absolvieren. Ab 2015 galt er bei verschiedenen Sicherheitsbehörden als potenziell gefährlich. 2016 erhielt er Asyl und arbeitete seit 2020 als Facharzt für Psychiatrie im Massregelvollzug Bernburg.
Musk twittert: «Nur die AfD kann Deutschland retten»
Dass Musk für Taleb A. ein Vorbild ist, wird auch auf X klar. Am 11. November teilt er ein Video des Beraters des künftigen US-Präsidenten Donald Trump und schreibt, Musk habe alle religiösen Bücher, die er erhalten habe, als «nicht überzeugend» verworfen. Knapp zwei Wochen später vertwittert er Musks Werbung für das Buch «The Parasitic Mind» («Der parasitäre Geist») von Gad Saad: Virale Kräfte gefährden laut Saad das Bekenntnis des Westens zu Freiheit, Vernunft und echtem Liberalismus. Taleb A. schreibt von einem «Buch gegen den Islam».
Indirekt treffen sich Taleb A. und Elon Musk mehrfach auf dem X-Profil einer dritten Person – der 24-jährigen Naomie Seibt aus Münster. Seibt ist als Influencerin zur Anti-Greta gegen den Klimawandel geworden und gilt als AfD-nahe.
Für Musk ist Seibt die vielleicht wichtigste Referenzperson zu Deutschland. Er teilt ihr Foto schon bei der Europawahl im Juni und antwortet auf Tweets von Seibt mehrfach mit deutschen Flaggen. Auch Taleb A. fallen Seibts Posts auf. Er vertwittert mehrere Posts von ihr.
Am Tag vor dem Attentat schreibt Seibt, Friedrich Merz (CDU), der mutmasslich neue deutsche Bundeskanzler, sei «entsetzt von der Idee, dass Deutschland dem Beispiel von Elon Musk» folgen solle. Merz lehne einen «freiheitsfreundlichen Ansatz» strikt ab, verweigere jede Diskussion mit der AfD. Musk vertwittert Seibts Post mit einem einzigen Satz: «Nur die AfD kann Deutschland retten.» Nach dem Attentat wiederholt er den Satz auf X.
In der aktuellen «Welt am Sonntag» geht Musk noch weiter. «Die AfD ist der letzte Funke Hoffnung für dieses Land», schreibt er in einem Gastbeitrag. Und: «Die Darstellung der AfD als rechtsextrem ist eindeutig falsch, wenn man bedenkt, dass Alice Weidel, die Vorsitzende der Partei, eine gleichgeschlechtliche Partnerin aus Sri Lanka hat! Klingt das für Sie nach Hitler? Ich bitte Sie!»Das löste bei der «Welt» selbst teilweise empörte Reaktionen aus.
Musk geht auf X hart ins Gericht mit der deutschen Regierung. Bundeskanzler Olaf Scholz solle sofort zurücktreten, schreibt er – und wird persönlich: «Inkompetenter Narr.»
X reagierte bis zum Attentat nicht auf die Drohungen
Auf die Nachricht, Saudi-Arabien habe mehrfach die Auslieferung von Taleb A. gefordert, Deutschland habe ihn aber nicht ausgeschafft, reagiert Musk mit einer Forderung: «Wer immer sich weigerte, einen Mörder auszuliefern, verdient eine harte Strafe!»
Ein Thema lässt Elon Musk in seinen Tweets nach dem Attentat aber konsequent aussen vor: seine eigene Rolle, die er als Inhaber von X im Fall von Magdeburg spielt. Taleb A. hat Musks Plattform für mehrere Drohungen genutzt, die spätestens nach dem Terrorakt strafrechtlich relevant sein dürften. Zuletzt überzog sogar ein Sturmgewehr sein Profil.
Doch X reagierte bis zum Attentat nicht auf die Drohungen. Zumindest gibt es bislang keinerlei Hinweise darauf. Die Drohungen sind noch heute öffentlich zugänglich.
Zum Beispiel jene vom 13. August. «Ich versichere Ihnen: Wenn Deutschland Krieg will, werden wir ihn haben», schreibt Taleb A. «Wenn Deutschland uns töten will, werden wir sie abschlachten, sterben oder voller Stolz ins Gefängnis gehen.»
Und am 21. August fragt er: «Gibt es einen Weg zur Gerechtigkeit in Deutschland, ohne eine deutsche Botschaft in die Luft zu sprengen oder deutsche Bürger wahllos abzuschlachten?» Dabei bezieht er sich auf angebliche «Verbrechen Deutschlands an saudischen Flüchtlingen».
Im Mai hat Taleb A. auf X sogar eine Drohung direkt unter eine Nachricht der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gesetzt. «Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich dieses Jahr sterben werde, um Gerechtigkeit zu schaffen.» Und: «Der deutsche Terrorismus muss zur Rechenschaft gezogen werden.» Hat er die Tat vom 20. Dezember mit seinen Droh-Tweets angekündigt?
Musk wiederum attackiert nach dem Attentat auch die angeblich «reine Propaganda» der deutschen Presse und verlinkt einen Tweet von Maral Salmassi, laut ihrer Homepage eine iranisch-deutsche Künstlerin und Ingenieurin. Taleb A. sei in Wahrheit ein radikaler schiitischer Muslim, schreibt sie. Er habe das Prinzip des Taqiya benutzt, einer islamischen Doktrin, die Lügen und Täuschungen erlaube, um islamische Ziele zu erreichen. Taleb A. sei «weder muslimischer Atheist noch Fan von AfD oder von Elon Musk».
Ausschliessen lässt sich Salmassis Theorie zurzeit nicht, auch wenn sie wenig wahrscheinlich ist. Musk kommt sie entgegen: Sie entspricht seinen Überzeugungen und würde ihn von der Schwärmerei Taleb A.s für ihn entlasten. Zwar kann Musk nicht steuern, wer in ihm ein Vorbild sieht. Dennoch hat das Ganze eine gewisse Aussagekraft.
Muss die EU gegen Musks Plattform vorgehen?
Mit Taleb A.s Drohungen dürfte X noch stärker in den Fokus der europäischen Behörden geraten. Die EU-Kommission ermittelt schon länger gegen X wegen mehrerer möglicher Verstösse gegen den Digital Services Act (DSA). Diese EU-Verordnung verpflichtet die sozialen Medien, Posts mit illegalen Inhalten wie Hassrede oder Fake News zu entfernen.
«Das europäische Recht gilt auch für Elon Musk», sagte der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann nach dem Attentat dem deutschen «Handelsblatt». Sollte er dies weiterhin nicht einhalten, müssten «empfindliche Strafen die logische Folge sein».
Innenministerin Nancy Faeser wiederum hat die EU schon im Januar zum Durchgreifen gegen Musks Plattform aufgerufen – wegen einer russischen Desinformationskampagne auf X.
Nach dem Attentat gab Faeser den Funke-Medien ein Interview. Darin sprach sie auch über Elon Musk, genauer gesagt über die «kruden Ansichten dieses Milliardärs». Man solle ihnen, sagte sie, einfach weniger Aufmerksamkeit schenken.