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Chaos am Tessiner Strafgericht: Schlüpfrige WhatsApp-Nachrichten und Strafanzeige gegen Richterkollegen

Mobbing, Sexismus und eine strafrechtliche Eskalation im Richterkollegium: Im Tessin liefern sich die Strafrichter eine interne Schlammschlacht. Nun wurde ein Bündner Sonderstaatsanwalt eingesetzt.

Die Tessiner Öffentlichkeit reibt sich die Augen. Zwar war schon seit Monaten bekannt, dass es im Richtergremium des Tessiner Strafgerichts mit Sitz in Lugano (Tribunale penale cantonale) grosse Spannungen gibt.

Nun aber ist die Situation eskaliert. Zwei Richter, Siro Quadri und Francesca Verda Chiocchetti, haben eine Strafanzeige gegen ihre drei Kollegen eingereicht, darunter den Präsidenten des Tessiner Strafgerichts, Mauro Ermani. Die Vorwürfe lauten auf Verleumdung und Diffamierung.

Die Situation ist heikel, so heikel, dass der Tessiner Generalstaatsanwalt Andrea Pagani darum gebeten hat, einen ausserkantonalen Staatsanwalt zu beauftragen, die Strafanzeige zu bearbeiten. Die Tessiner Kantonsregierung kam dem Ansinnen nach und hat diese Woche den leitenden Staatsanwalt des Kantons Graubünden, Franco Passini, als ausserordentlichen Staatsanwalt mit dem Fall betraut.

Bereits im April waren die internen Streitigkeiten im Strafgericht öffentlich geworden, die in Zusammenhang mit einem mutmasslichem Mobbingfall gegen eine Gerichtssekretärin stehen. Damals befasste sich der Justizrat mit den gegenseitigen Vorwürfen, eine eingeleitete Mediation zwischen den beiden Fraktionen innerhalb des Richtergremiums scheiterte aber.

Der Fall ist administrativ noch nicht abgeschlossen. Die Kantonsregierung erteilte der Ex-Staatsanwältin und Anwältin Maria Galliani ein Mandat zur Abklärung der Mobbing-Vorwürfe auf administrativer Ebene, ein fragwürdiges Mandat, da Galliani im Rahmen der von ihr behandelten Fälle beruflich mit den Richterin in Kontakt steht.

Besonders brisant an der nun eingereichten Strafanzeige ist indes eine beigefügte Foto, welche Gerichtspräsident Ermani dem mutmasslichen Mobbing-Opfer am 3.Februar 2023 über WhatsApp zukommen liess. Darin sieht man eine Frau, die zwischen zwei gigantischen Plastikphalli auf einer Bank sitzt. Dazu der Titel «Tribunale penale», wobei «penale» in diesem Zusammenhang eine eindeutige Anspielung auf das Wort Penis ist. Die Tageszeitung «La Regione» publizierte das vulgäre Foto; die Publikation schlug ein wie eine Bombe.

«Diese Geschichte wird nicht gut ausgehen»

Dabei sind es nicht die ersten schlüpfrigen Nachrichten von Ermani, die öffentlich werden. Der Mitte-Kantonalparteipräsident und Präsident der grossrätlichen Justizkommission Fiorenzo Dadò erklärte in einer Reaktion: «Wir haben den Tiefpunkt erreicht.» Und mehrere Kommentatoren machten darauf aufmerksam, dass Ermani auch Prozesse im Bereich des Sexualstrafrechts leitet. Dass ausgerechnet er solche Bilder teilt, scheint mehr als unangebracht, selbst wenn es ein Scherz gewesen sein sollte.

Der Tessiner Justizdirektor Norman Gobbi (Lega) liess sich in den kantonalen Medien mit dem Satz zitieren: «Diese Geschichte wird nicht gut ausgehen.» Die Grünen forderten in einer Medienmitteilung, dass der kantonale Justizrat eine vorläufige Suspendierung von Richter Mauro Ermani erwägen müsse. Die linke Bewegung für Sozialismus verlangt vom Gerichtspräsidenten den sofortigen Rücktritt und stellt einen Antrag im Grossen Rat, die Oberaufsicht über die Justiz ausüben.

Gewisse Frauenorganisationen, die normalerweise bei Fällen zu sexuellen Belästigungen schnell mit einer Medienmitteilung reagieren, schwiegen indes. Ermani wird parteienmässig der SP zugeordnet.

Fest steht: Für das Image der Tessiner Justiz stellen die undurchsichtigen Vorfälle im Strafgericht mit der Strafanzeige gegen Kollegen einen schweren Schaden dar. Erst vor wenigen Wochen, am 9. Juni, war darüber abgestimmt worden, ob die Tessiner Justizbehörden einen neuen und würdigen Sitz in der ehemaligen Banca del Gottardo im Zentrum Luganos bekommen sollen. Das Stimmvolk sagte klar Nein. Und viele der Nein-Sager werden sich nun bestätigt fühlen.

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