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«Tatort»-Kommissar Wolfram Koch: «Sie können im Fernsehen so viele Sex-Szenen zeigen, wie sie möchten. Aber sobald Sie einen Geist zeigen, gibt es Probleme»

Als «Tatort»-Kommissar ist Wolfram Koch ein Fernsehstar und ein viel beschäftigter Bühnenkünstler. Nun kommt er mit Becketts «Endspiel» am 30. April ins Kurtheater Baden.

Auch die Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer schalten zu, wenn Wolfram Koch im Frankfurter «Tatort» an der Seite von Margarita Broich den Ermittler Paul Brix spielt. Dass er ein wichtiges Doppelleben als Theaterschauspieler hat, wird dabei den wenigsten bekannt sein.

Wolfram Koch, es gibt diese Geschichte über Sie, dass Sie Shakespeares «Othello» einmal in zwei Städten gleichzeitig gespielt haben. Einmal waren Sie Othello, einmal dessen Gegenspieler Iago. Wie schafft man es, da nicht durcheinander zu kommen?

Wolfram Koch: Bei diesen zwei «Othellos» kam ich tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben durcheinander und habe in einigen Vorstellungen mir selbst geantwortet. Aber das ist die Ausnahme. Ich brauche für jeden meiner Auftritte etwas, das ich «Einflugschneise» nenne – einen Weg zur Konzentration. Das können Rituale sein, Kollegen, denen man vor dem Auftritt begegnet, oder eine Gesangsprobe.

Sie spielen Becketts «Endspiel» mit ihrem Kollegen Ulrich Matthes seit 15 Jahren. Was macht das mit einem? Oder mit Beckett gefragt: «Warum dieses Theater, jeden Tag?»

Ulrich Matthes und ich wussten sofort, dass wir diesen Abend weiterspielen wollen. Da ist so eine böse und abgründige Clownerie zwischen uns. Wir hatten die Inszenierung mit Jan Bosse 2007 in nur vier Wochen zusammengesponnen, Becketts Text radikal gestrichen – bis auf den Dialog zwischen dem Diener Clov und seinem Herrn Hamm. Von Jahr zu Jahr werden die Vorstellungen leichter und tiefer, wirken noch weniger forciert. Und das Schöne: Wir bringen bei jeder Vorstellung die Energien anderer Aufführungen mit.

Wann ist Schluss?

Wir wollen sicher noch bis zur 100. Vorstellung kommen. Der einzige Hinderungsgrund könnte sein, dass ich meinen Kollegen Ulrich Matthes irgendwann nicht mehr tragen kann – Beckett sieht ja vor, dass Hamm im Rollstuhl sitzt. Das fanden wir doof. Also trage ich ihn herum, wenn er sich bewegen will.

Beckett scheint auf deutschsprachigen Bühnen nicht mehr so angesagt. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Komischerweise sind meine Beckett-Stücke immer sehr erfolgreich gewesen. Beckett hat sein «Endspiel» mal als Welt nach einem Atomschlag beschrieben. In «Warten auf Godot» gibt es immer wieder den gleichen Rhythmus, die Figuren müssen ihre Existenz ständig neu erfinden, um sich zu versichern: «Wir warten auf Godot.» Ich finde, dass er damit schon einen Nerv der Zeit trifft.

Böse und abgründige Clownerie: Ulrich Matthes als Hamm und Wolfram Koch als Glov in Jan Bosses «Endspiel».
Bild: Iko Freese

Wird diese ursprüngliche Lesart als nukleare Katastrophe wegen des Ukrainekriegs wieder aktueller?

Beckett ist so klug und hat so viele Anknüpfungspunkte, dass der Zuschauer seine Existenz damit immer wieder aufs Neue beleuchten kann. Ich habe mit Samuel Finzi in China viele Gastspiele meiner bekannten «Warten auf Godot»-Inszenierung gespielt. Das Stück ist dort erstaunlicherweise Schulstoff. Es wurde dort an ganz anderen Stellen gelacht.

Zum Beispiel?

Etwa, wenn Lucky und Pozzo, der Diener und sein ihn knechtender Herr, einen Auftritt haben. Auch wenn es im Text ziemlich brutal zu- und hergeht, wurde in China lauter gelacht. Das Publikum kennt dort die Abhängigkeit von Menschen in einem autoritären Regime. Es hat die Widerstände, die man dort erlebt, im Kopf.

Ihr Vater hat für die Nato gearbeitet. Die Organisation erlebt gerade ihren zweiten Frühling. Wie ist Ihr Verhältnis zur Nato?

Mein Vater hat in Paris als Jurist für die Nato gearbeitet. Im Internet kursiert die Geschichte, er sei ein Nato-Offizier gewesen. Deshalb gibt’s diese wilden Gerüchte über mich, ich hätte einen strengen Vater gehabt und sei von zu Hause ausgebrochen, um Schauspieler zu werden. Aber so war es nicht. Mein Vater war ein extrem sanfter Mensch. Die Nato habe ich als junger Mensch trotz familiärer Nähe aber sehr kritisch gesehen. Während der Friedensbewegung habe ich «Frieden schaffen ohne Waffen» proklamiert. Jetzt wendet sich gerade das Blatt.

Seit 2015 kennt man Sie als Frankfurter «Tatort»-Kommissar Paul Brix. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Warum eigentlich?

Wir wollten ganz bewusst die Normalen sein. Für manche ist das langweilig, für manche nicht. Die Gefahr ist so natürlich grösser, dass man von der Geschichte an den Rand geschoben wird. Andererseits stehen wir in Frankfurt auch für viele Experimente: Mit dem «Tatort» «Fürchte dich» (2017) hatten wir es gewagt, einen Horrorfilm mit einem Geist zu drehen, was ein Erdbeben in der Fangemeinde ausgelöst hatte. Sie können heute nach acht Uhr so viele Sex-Szenen zeigen, wie sie möchten. Aber sobald sie im Fernsehen einen Geist zeigen, gibt es richtig Probleme. (lacht)

Der in Paris geborene Wolfram Koch (60) ist einer der gefrag­testen Theaterschauspieler Deutschlands. Seit 2015 ist er als «Tatort»-Kommissar Paul Brix an der Seite von Margarita Broich auch einem grösseren TV-Pu­blikum bekannt. Zu seinen wichtigsten Regisseuren gehören der verstorbene Dimiter Gotscheff, Stefan Pucher und Herbert Fritsch, der mit ihm 2019 am Schauspielhaus Zürich die Krimiparodie «Totart – Tatort» inszenierte. Koch ist Vater von vier erwachsenen Kindern und lebt in Frankfurt. Als Kind hatte er keinen Fernseher. (jst)