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Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert mit 57 Jahren gestorben – schon ihr Debüt 1994 war ein wuchtiger Aufschrei

Ihre Brustkrebserkrankung hat Ruth Schweikert im letzten Roman «Tage wie Hunde» 2019 in atemberaubender Gefasstheit verarbeitet. Nun ist die Schriftstellerin an der Krankheit gestorben.

«Am Vorabend liegt das Brautkleid bereit» – mit dieser Notiz im Roman «Tage wie Hunde» beschrieb Ruth Schweikert 2019 das Spitalhemd, das sie nach der Brustkrebsoperation erwartet – genauso wie der Ehering im Schliessfach. Solche knappen Bilder, aufgeladen mit fast unerträglicher Spannung, sind typisch für die Literatur der 1965 in Lörrach geborenen Schriftstellerin. Typisch auch, dass sie nicht nur literarisch, sondern auch essayistisch und in Interviews über ihre Krankheit Auskunft gab: «Krebs sollte nicht definieren, wer ich bin. Und ich machte mir bewusst, dass es Räume gibt, die davon nicht betroffen sind.» Sich nicht unterkriegen lassen, sich die Freiheit nehmen, sich nicht nur als Opfer sehen – in dieser Spannung lässt sich ihr Leben wie ihre Literatur eindrücklich fassen. Was heisst: weltoffen zu bleiben, sich für andere Menschen zu interessieren, die ihre eigene Zerrissenheit in der Gegenwart aushalten müssen.

Schon mit dem Debüt sorgte sie 1994 für Furore

In den 1990er Jahren hat Ruth Schweikert als wuchtige Stimme einer neuen, jungen Generation in der Schweizer Literatur für Furore gesorgt, zusammen etwa mit Peter Weber und Urs Richle. Es war ein gefühlter Aufbruch. Bereits Schweikerts erstes Buch «Erdnüsse. Totschlagen» war 1994 ein Wurf, ein siebenteiliger Aufschrei der Überforderten mitten in die Gegenwart hinein: Alleinerziehende, Aidskranke, erschöpfte Pflegende – unsentimental, hart, dann wieder zart und verträumt die Sprache, mit der Schweikert von Kindsmord, blutiger Spucke auf dem Spitalbett, fröhlichem Kinderjauchzen und Hassausbrüchen erzählt.

In ihren drei Romanen «Augen zu», «Ohio» und «Wie wir älter werden» ist sie ihren Themen treu geblieben und ist mit ihren Figuren älter geworden. Besonders in «Wie wir älter werden» hat sie den Erzählbogen über mehrere Generationen zu einem kompletten Gesellschaftspanorama gespannt. Verpasstes Glück, ein Pakt des Schweigens, Abschiede und Schicksalsschläge gehören auch hier zu den Zutaten, die gelegentlich die Erzählung überfrachtet haben. Schweikert wollte die politische Welt und die Weltgeschichte in ihre Romane holen, in denen Drogen, Krieg, Unterdrückung immer dazugehörten.

Vorbild und Starthilfe für junge Literaturschaffende

Seit ihrem Debüt mit «Erdnüsse. Totschlagen» gehörte Ruth Schweikert zu den auffälligsten Stimmen der Schweizer Literatur. Der Preis der Schweizerischen Schillerstiftung im Jahr 1999, der Solothurner Literaturpreis (2016) und der Kunstpreis der Stadt Zürich (2016) zeugen davon. Mit ihren Büchern war sie zudem Stammgast an den Solothurner Literaturtagen. Besonders für die junge und jüngste Generation von Schweizer Literaturschaffenden war sie nicht nur Vorbild, sondern als Mentorin unter anderem am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel auch wichtige Starthilfe.

Mit zwanzig Jahren wurde Ruth Schweikert 1985 gleich nach der Matura Mutter, sie besuchte später die Schauspielschule, wurde wieder Mutter. Dass einige Geburtsjahre ihrer Söhne mit politischen Grossereignissen (etwa mit dem Fall der Berliner Mauer 1989) zusammenfielen, habe für sie das Private und das Politische noch enger verbunden. Auf die Frage, welche Literatur sie geprägt habe, antwortete sie mal Werner Rohner: «Ingeborg Bachmann zuallererst, Marieluise Fleisser, Silvia Plath, Virginia Woolf hatten das, was man ein tragisches Leben, zumindest auch, nennen könnte.» Politisch hellwach engagierte sie sich vielfältig. Vier Jahre lang war Ruth Schweikert Präsidentin von Suisseculture, der Dachorganisation für professionelle Kulturschaffende in der Schweiz, und kandidierte 2015 auf einer Liste mit Künstlerinnen und Künstlern für den Nationalrat.

Ruth Schweikert ist am Sonntag in Zürich gestorben. Sie hinterlässt ihren Ehemann Eric Bergkraut und fünf Söhne.

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