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Eltern töteten ihre schwerbehinderte Tochter (3) – ab heute stehen sie vor Gericht

Die Eltern geben zu, ihrer Tochter einen Drogen-Schoppen verabreicht und sie danach erstickt zu haben. Sie hätten die Dreijährige von ihrem Leiden erlöst, sagen sie. Ab Montag wird ihnen vor dem Bezirksgericht Bremgarten der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft fordert langjährige Freiheitsstrafen wegen Mordes.

Damit jemand wegen Mordes verurteilt wird, muss er besonders skrupellos handeln und sein Motiv muss besonders verwerflich sein. Wer mordet, dem droht eine Gefängnisstrafe von mindestens zehn Jahren. Ab Montag müssen sich die Eltern eines schwerbehinderten Mädchens wegen Mordes vor dem Bezirksgericht Bremgarten verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert je 18 Jahre Freiheitsstrafe sowie eine Landesverweisung für die Dauer von 15 Jahren. Die Eltern haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 2020 haben die beiden in Hägglingen ihre dreijährige Tochter getötet. Sie haben ihr Drogen in den Gute-Nacht-Schoppen gemischt, gewartet, bis die Wirkung einsetzte und sie mit einem Tuch erstickt. Als das Mädchen nicht mehr lebte, legten sie es ins Kinderbettchen. Am nächsten Morgen alarmierten die Eltern dann die kantonale Notrufzentrale.

Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft brachten ans Licht, dass die Eltern bereits in den Monaten zuvor versucht hatten, das Mädchen zu töten. Deshalb wird ihnen nicht nur Mord, sondern auch mehrfacher versuchter Mord vorgeworfen.

«Sie hätte nie ein schönes Leben führen können»

Die AZ konnte letztes Jahr mit den Eltern sprechenund hatte Einsicht in ausgewählte Einvernahmeprotokolle. Sowohl im Gespräch als auch in der Einvernahme stritten sie die Tat nicht ab. Im Gegenteil: Sie würden wieder so handeln. Die Eltern sagten, sie hätten es nur für ihre Tochter getan, um diese von ihrem Leiden zu erlösen.

Das Mädchen litt an einer Cerebralparese. Die Eltern erzählen, es habe nicht gehen können, nicht sprechen, nicht schlucken und habe Schmerzen gehabt. Die Staatsanwaltschaft schreibt, das Kind wäre «mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitlebens auf intensive Pflege und Rundumbetreuung angewiesen» gewesen.

«Wir haben einfach einen Schlussstrich gezogen, sodass sie nicht mehr leidet», erklärt der Vater die Tat. «Sie hätte nie ein schönes Leben führen können», ist die Mutter überzeugt.

Nebst den Eltern ist auch die Grossmutter des Mädchens angeklagt. Ihr wirft die Staatsanwaltschaft Gehilfenschaft vor und fordert eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 15 Jahre Landesverweis.

«Von Verständnis bis zur Billigung einer Tat ist es nur ein kleiner Schritt»

Der forensische Psychiater Josef Sachs sagte, es passiere immer wieder, dass jemand aus Mitleid töte. Allerdings häufiger bei alten, kranken Menschen als bei Kindern. Grundsätzlich sei Mitleid etwas Gutes, so Sachs. Aber es könnten Gedanken entstehen, das Kind erlösen zu müssen – auch weil das eigene Leiden zu gross werde.

Wer sein Kind aus solchen Gründen töte, mache das nicht leichtfertig, sondern unter grossem Leidensdruck. Sachs findet es aber gefährlich, Verständnis zu äussern. «Vom Verständnis bis zur Billigung einer Tat ist es nur ein kleiner Schritt.» Ausserdem gibt er zu bedenken, dass das Kind seinen Willen nicht äussern konnte. «Niemand konnte wissen, was es über sein Leben mit Behinderung denkt. Auch die Eltern nicht.»

Gericht will am Freitag das Urteil eröffnen

Die Anwälte der Eltern werden vor Gericht auf Totschlag plädieren. Im Gegensatz zum Mord handelt die Täterschaft bei Totschlag in einer «entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung». Bei einem Schuldspruch droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.

Das Bezirksgericht Bremgarten wird voraussichtlich am Freitag das Urteil eröffnen. Am Montag werden die Eltern, die Grossmutter und ein Zeuge befragt. Dienstag und Mittwoch sind für die Plädoyers der Verteidiger sowie der Staatsanwaltschaft reserviert.