Warum dieser zehn Jahre alte Love-Song gerade als Protest-Hymne die Charts stürmt
Es ist eigentlich ein Song über Frust und Liebe, mit dem der britische Singer-Songwriter Tom Odell (32) als Newcomer vor zehn Jahren recht erfolgreich war. «Another Love», damit kam er 2013 gerade mal auf Platz 23 der Schweizer Charts. Jetzt erlebt der alte Song gerade ein grosses Revival: Er ist in der Schweiz schon auf Platz 6 geklettert und in vielen Ländern ebenfalls in den Top 10. Wie kommt’s?
Grund sind ein paar Zeilen aus seinem Songtext, die Menschen in vielen Ländern aus Solidarität mit den Demonstrantinnen im Iran zur Protesthymne erhoben haben. In dem islamischen Land gehen nach dem Tod einer jungen Frau in Polizeigewahrsam im September Tausende auf die Strasse und protestieren für Frauenrechte und gegen die Regierung.
Die Zeilen lauten so: «And if somebody hurts you, I wanna fight/ But my hands been broken one too many times/ So I’ll use my voice, I’ll be so fucking rude/ Words they always win, but I know I’ll lose.» Übersetzt etwa:
«Wenn jemand Dir wehtut, will ich kämpfen, aber meine Hände sind zu oft gebrochen worden. Deshalb nutze ich meine Stimme, ich werde so verdammt unverschämt sein, Worte werden immer gewinnen, auch wenn ich weiss, dass ich verlieren werde.»
In sozialen Medien haben Frauen, die sich etwa in Solidarität mit den Iranerinnen Haare abschneiden, ihre Aktion oft mit dem Song unterlegt. Im Oktober sang die Komikerin und Sängerin Carolin Kebekus ihn in ihrer Fernsehshow. Sie sagte, Iranerinnen, die sich nicht frei äussern können, bäten andere darum, ihre Stimme für sie zu erheben. Der Sender schaltete dann von Kebekus auf den Platz vor den Kölner Dom, wo Hunderte mit Kerzen in der Hand in den Song einstimmten.
Wie aber kommt das Lied nach so vielen Jahren wieder in die Charts? «Ein Song muss häufig gestreamt werden, aber es zählen auch Downloads oder echte Platten», sagt Hans Schmucker von GfK Entertainment, die jede Woche die offiziellen deutschen Charts erstellen. «Wer am meisten Umsatz generiert, landet am Ende auf Platz 1.»
Beschleuniger seien die sozialen Medien. «Tiktok ist ganz wichtig geworden, das ist ja fest in der jüngeren Zielgruppe verankert», sagt er. Dort gebe es viele Videoschnipsel von dem Song. «Das hat dann richtig Wucht.»
Klavier spielen für ankommende Flüchtlinge
Odell hat seinen Song aber auch selbst schon mal als Mutmacher in Position gebracht: Im März setzte er sich in einem Bahnhof in Rumänien ans Klavier und spielte «Another Love» für ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine. Auch da kletterte das Lied bereits hier und da wieder in die Charts.
Bei einem Konzert in Hannover widmete er den Song im September den Frauen im Iran. «Wir sind hier in Hannover vielleicht weit weg vom Iran, aber ich hoffe und glaube, ich spreche für jeden hier im Saal, dass wir zusammen einstehen für jeden, der für die Menschen- und Frauenrechte kämpft», sagte er dort.
Mutmacher sein ist sein Programm, wie aus einem Interview zu seinem neuen Album «Best Day of My Life» mit der Londoner Zeitung «Evening Standard» hervorgeht. Der Titel tönt optimistisch, aber die Lieder sind ziemlich traurig. Er wolle denen Trost spenden, die im Stillen leiden, wie er einst, meinte er.
Im Iran selbst spielt «Another Love» kaum eine Rolle. Dort ist ein anderer Song zur Protesthymne geworden: «Baraye». Es ist eine Ballade, die der Sänger Scherwin Hadschipur zu Beginn der Proteste aus Tweets zusammenstellte, in denen Protestierende schrieben, warum sie auf die Strasse gehen. Er wurde festgenommen und musste sich – wahrscheinlich unter massiver Einschüchterung – dafür entschuldigen. Der Song ist aber geblieben. (dpa/pin)