Tomatenwurf und Engelssprung: Macron erlebt tumultuöse erste Tage nach seiner Wiederwahl
Emmanuel Macron schlägt nach seiner Wiederwahl nicht gerade eine Welle der Euphorie entgegen. Als er sich an diesem Mittwoch erstmals wieder unter das Volk mischte, wurde er auf dem Markt von Cergy-Pontoise nordwestlich von Paris mit Cherrytomaten beworfen. Dank seinen Leibwächtern, die sofort ein «projectile!» (Wurfgeschoss) orteten, wurde der Staatschef nicht getroffen.
Zur Sicherheit spannten sie einen Regenschirm auf. Der half aber auch nicht gegen einen «Engelssprung»: Zwei Meter von Macron entfernt hechtete ein Mann aus einer höheren Position mit ausgebreiteten Armen rückwärts in den Präsidentenpulk.
Mélenchon fordert «dritten Wahlgang gegen Macron»
Die Demoskopen haben mittlerweile eruiert, dass 42 Prozent der Macron-Wähler in der Stichwahl nur deshalb für ihn einlegten, weil sie seine Widersacherin Marine Le Pen verhindern wollten. Schlussfolgerung: Macron erhält in seiner zweiten Amtszeit wohl noch weniger Unterstützung als in der ersten, die von der Gelbwesten- und anderen Krisen überschattet war.
Ein erstes Indiz dafür könnten die Parlamentswahlen vom 12. bis zum 19. Juni geben. Nach den Präsidentschaftswahlen angesetzt, werden sie traditionell dazu benützt, dem Staatschef eine Regierungsmehrheit für die nächsten fünf Jahre mitzugeben. Jetzt arbeiten aber alle Oppositionsparteien daran, dies zu verhindern.
Vor allem Linkenchef Jean-Luc Mélenchon, der im ersten Wahlgang mit 22 Prozent Stimmen nur knapp hinter Le Pen ausgeschieden war, ruft zu einem «dritten Wahlgang gegen Macron» auf. Und falls er diesen selber gewinnt, beansprucht er den Posten des Premierministers, wie er gleich auf seinem neuen Wahlplakat präzisiert.
«Volksunion» hinter Mélenchon
Auch wenn Mélenchon den Mund gerne etwas voll nimmt, ist eine solche politische Zwangsehe zwischen Präsident Macron und einer linken Parlamentsmehrheit angesichts der Unpopularität Macrons nicht auszuschliessen. Nicht zuletzt wegen der steigenden Preise und sinkenden Kaufkraft im Land macht sich die Linke Hoffnung auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie sich nicht wie bei der Elysée-Wahl völlig verzettelt.about:blank
Mélenchon schlägt deshalb eine «Volksunion» vor – unter seiner Führung. Die Sozialisten und Grünen, die im ersten Präsidentschaftswahlgang nicht einmal auf fünf Prozent Stimmen kamen, haben diese Woche Verhandlungen mit Mélenchons «Unbeugsamen» aufgenommen. Doch die Gespräche zeigen wie erwartet tiefe politische Gräben auf.
Die Parteichefs der Sozialisten und Grünen könnten sich dazu durchringen, die radikalen linken Positionen der «Unbeugsamen»– Rentenalter 60, staatliche Preissperre – schweigend zu billigen. Was aber nicht durchgeht, sind Mélenchons EU-feindliche und Putin-freundliche Positionen. Grünenchef Julien Bayou will diese Fragen deshalb schlicht «ausklammern», um eine Linksunion zu ermöglichen.
Selbst dann wäre aber die Gefahr einer Parteispaltung beträchtlich. Der frühere sozialistische Präsident François Hollande warnt seine Partei, sie werde noch ganz «verschwinden», wenn sie sich den Mélenchonisten unterjoche. Auch die Grüne Sandrine Rousseau sieht für diesen Fall eine «Explosion» ihrer Partei voraus.
Immerhin sprechen die Linksparteien miteinander. Die Rechte schafft nicht einmal das. Ähnlich wie Mélenchon will Marine Le Pen ihr Lager in die Parlamentswahlen führen – bloss schart sich niemand hinter sie. Ihr interner Rivale Eric Zemmour meinte am Wahlabend bitterböse, die Le Pens hätten nun zum achten Mal eine Präsidentschaftswahl verloren. Das stimmt: Vater Jean-Marie Le Pen trat seit 1974 fünfmal erfolglos zu einer Präsidentenwahl an, seine Tochter Marine dreimal seit 2012.
Le Pen gibt nicht so schnell auf
Wenig erbaut über die Feststellung erklärte Le Pen, eine Wahlallianz mit Zemmour komme nicht in Frage. Ihre Partei «Rassemblement National» werde in allen 577 Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Echte Wahlchancen haben aber nur wenige, wenn die Zemmouristen nicht mitmachen.
Alles deutet deshalb darauf hin, dass Macron im Juni mehr von der Linken als von der Rechten zu befürchten hat. Er hat deshalb bereits erklärt, er werde einen «sozialen, ökologischen und produktiven» Premier ernennen, wenn seine Partei «La République en marche» die Wahlen gewinne. Gut einen Monat vor den Parlamentswahlen weht der Wind in Frankreich wieder von links, nachdem die «rechte Gefahr», wie die Pariser Medien Le Pen nennen, gebannt scheint.