Nach Schlitten-Boykott gegen Juden: So will Davos Konflikte mit orthodoxen Gästen vermeiden
Davos ist eigentlich eine beliebte Feriendestination bei orthodoxen Juden. Bis zu 3000 von ihnen, die Mehrzahl aus Israel, Grossbritannien und Belgien, befinden sich während des Sommers gleichzeitig im Bündner Tourismusort, der ihnen alles bietet, was sie zur Ausübung ihres Glaubens brauchen: etwa Gebetsräume oder koschere Einkaufsmöglichkeiten.
Doch in jüngster Zeit war das Verhältnis zwischen jüdischen Gästen und Einheimischen angespannt. Negativer Höhepunkt: ein Aushang an der Bergstation Pischa, der im Januar weltweit für Schlagzeilen sorgte.Das auf Hebräisch formulierte Schreiben verkündete, dass man aufgrund «verschiedener ärgerlicher Vorfälle» keine Schlitten mehr an jüdische Gäste vermiete. Nach heftiger Kritik entschuldigte sich der Schlittenvermieter.
Bereits im vergangenen Sommer hatte der Davoser Tourismusdirektor Reto Branschi kritisiert, unter den orthodoxen Gästen gebe es eine Gruppe, «die keinen Respekt vor unseren Gepflogenheiten im öffentlichen Raum» habe und ablehnend auf alle Versuche reagiere, ihnen das zu erklären.
Ein «gescheitertes Projekt» wird ausgebaut
In der bevorstehenden Sommersaison soll sich das Zusammenleben mit den jüdisch-orthodoxen Gästen wieder entspannen. Dieses Ziel hat sich eine im Herbst eingesetzte Taskforce «Verständigungsprozess in Davos» unter der Leitung des Ex-Spitzendiplomaten Michael Ambühl und der Juristin Nora Meier gesetzt. Ihr gehörten zunächst die Spitzen der Gemeinde und der Tourismusorganisation Davos an. Nach anfänglicher Skepsis stiessen später auch Vertreter der jüdischen Gemeinschaft hinzu. Beratend zur Seite standen der Taskforce unter anderem orthodoxe Rabbiner.
Am Donnerstag hat die Taskforce nun in einer Medienmitteilung das Ergebnis ihrer Arbeit vorgestellt. Mit einem Katalog von zehn Massnahmen soll «die Verständigung zwischen der Davoser Bevölkerung und internationalen Gästen» gefördert werden. Zentrale Neuerung:Diesen Sommer sollen zwölf statt wie bisher drei interkulturelle Vermittler im Rahmen des Projekts «Likrat Public» zum Einsatz kommen.
Dieses Projekt wurde 2019 vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), dem Dachverband der jüdischen Gemeinden, zusammen mit verschiedenen Tourismusdestinationen lanciert. Die Idee: Jüdische Schweizerinnen und Schweizer treten als Vermittler auf, um kulturellen Missverständnissen zwischen der lokalen Bevölkerung wie auch mit den jüdischen Gästen vorzubeugen. Pikant: Im Sommer 2023 hatte der Davoser Tourismusdirektor Reto Branschi «Likrat Public» ohne vorgängige Absprache mit dem SIG in einem Interview für «gescheitert» erklärt.
Zu den weiteren von der Taskforce erarbeiteten Massnahmen gehört eine zentrale Anlaufstelle für jüdische Anliegen, die sich in der Sommersaison um Konfliktfälle und Missverständnisse kümmern soll. Überarbeitetes Informationsmaterial für Gäste und Einheimische soll gewisse Verhaltensregeln für und spezifische Anliegen von internationalen Gästen aufzeigen. Für Touristikbetriebe in Davos sollen Leitlinien für die Gleichbehandlung im Umgang mit allen Gästen geschaffen werden.
Mit Veranstaltungen soll der Davoser Bevölkerung die jüdische Kultur nähergebracht werden. Auch will Davos seine Geschichte mit jüdischem Bezug aufarbeiten –darunter etwa die starke Präsenz einer hitlertreuen deutschen Gemeinschaft während der NS-Herrschaft in Deutschland.
«Weltoffener Ort mit Willkommenskultur»
Nach den durch Tourismusdirektor Branschis Kritik ausgelösten heftigen Irritationen beim SIG zeigt sich der Dachverband der jüdischen Gemeinden «zuversichtlich» über den von der Taskforce vorgestellten Massnahmenkatalog. Der SIG betont das deutlich stärkere finanzielle und organisatorische Engagement der Gemeinde und der Tourismusorganisation Davos. Dies werde «nachhaltiger und umfassender Wirkung zeigen, als das mit den bisherigen Mitteln möglich war».
Der Davoser Landammann Philipp Willhelm (SP) nennt seine Gemeinde einen «weltoffenen Ort mit jahrhundertealter Willkommenskultur». Die verabschiedeten Massnahmen unterstützten diese Tradition und förderten den gegenseitigen Respekt. Am Ende der Sommersaison will die Taskforce die getroffenen Massnahmen evaluieren und gegebenenfalls anpassen.