Sie sind hier: Home > Luzern > Traditionsanlass findet am 11.11. wieder statt: Was hinter der Gansabhauet in Sursee steckt

Traditionsanlass findet am 11.11. wieder statt: Was hinter der Gansabhauet in Sursee steckt

Nach einem coronabedingten Unterbruch treten heuer wieder Schläger mit verbundenen Augen an – Zeit für eine Spurensuche.

Nach zwei Jahren Unterbruch soll am 11. November 2022 in Sursee wieder eine «Gansabhauet» stattfinden. Gekleidet in einen roten Umhang, ausgerüstet mit einem stumpfen Dragonersäbel, die Augen verbunden, das Gesicht hinter der goldenen Sonnenmaske verborgen, versuchen dann die jungen Männer und Frauen, die Gans mit einem einzigen Hieb herunterzuschlagen. Wem das Kunststück gelingt, dem winkt neben Ruhm und Ehre ein leckeres Festmahl.

Weshalb die Surseerinnen und Surseer jährlich die Gansabhauet veranstalten, ist nicht abschliessend geklärt. Bekannt ist, dass der Anlass 1823 aus Sursee verschwand, aber bereits 1863 wieder eingeführt wurde. Seither findet er jedes Jahr vor dem Surseer Rathaus statt. Ausnahmen sind Kriegs- und Pandemiejahre (siehe Kasten). Ob der Anlass auf die mittelalterlichen Zehntenabgaben an die Klöster Muri, St. Urban und Einsiedeln am Martinitag zurückgeht, ist historisch nicht ausreichend belegt. Aber sehr wahrscheinlich offerierten klösterliche Amtsleute angesichts der am Zehnttermin, dem 11. November, abgelieferten grossen Menge Getreide und Geflügel jeweils eine oder zwei Gänse.

Beim ältesten erhaltenen Dokument, das über den Gansabhauet berichtet, handelt es sich um handschriftliche Notizen zur Ortsgeschichte. Sie wurden 1858 verfasst und in die Kuppel der Kreuzkapelle eingelegt. Bei der Restaurierung 1975 kamen sie zu Vorschein. Ein Stadtbürger erinnert sich darin an die letztmalige Durchführung des Brauchs «im Jahre 1821 – 1822». Die Gansabhauet verschwand also aus dem örtlichen Brauchleben, ehe sie wiederbelebt wurde. 1880 beginnt sich die kurz davor gegründete Fasnachtszunft «Heini von Uri» zu engagieren. Im selben Jahr werden erstmals die Spiele «Chäszänne», «Stangechlädere» und «Sackgompe» für die Kleinen veranstaltet. Seit 1880 tragen die Schläger einen roten Mantel und die Sonnenmaske.

Gans war zwei Tageslöhne wert

Belegt ist, dass ähnliche Bräuche um das wertvolle Tier Gans früher in ganz Europa verbreitet waren. Eine Gans war vor 200 oder 300 Jahren ein ausgesprochen teures Tier: Fleisch, Gänseschmalz, Daunen für Bettdecken, Gänsekiele zum Schreiben. Eine Gans kostete vor 300 Jahren so viel wie zwei Tageslöhne eines Arbeiters. In der Gansabhauet zeigt sich die immense Wertschätzung. Noch heute ist eine Gans ein wertvolles Tier. Wer eine der beiden begehrten Gänse gewinnt, der verspeist sie mit Freunden als Festessen. Seit den ersten Hinweisen und Überlieferungen hat sich die Gansabhauet immer wieder gewandelt. So, wie es sich für einen Brauch, eine lebendige Tradition, gehört.

Das öffentlich inszenierte Schlagen einer leblosen Gans in einer dem Spektakel nicht abgeneigten Form rief in jüngerer Zeit vereinzelt kritische Stimmen auf den Plan. Für viele wird in der Gansabhauet die alte, für einige Personen ungewohnte und befremdende, Wertschätzung gegenüber dem Tier als wertvolles Nahrungsmittel sichtbar. Die Gansabhauet steht indes als lebendige Tradition auf der offiziellen Liste des Unesco-Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes. 

Der jahrhundertealte Brauch wird gemeinsam von der Stadt Sursee und der Fasnachtszunft «Heini von Uri» durchgeführt. Mehrere Tausend Personen nehmen jährlich am Anlass teil. Männer und Frauen können sich jeweils bis am 11. November um 11 Uhr bei der Stadtverwaltung als Schläger oder Schlägerin melden. Nach dem Mittag erfahren sie beim Diebenturm, in welcher Reihenfolge sie ausgelost sind.

Unterbruch bei Krieg und Pandemie

Begleitet von Pauken- und Trommelschlägen ziehen die Organisatoren, der Stadtrat, die Zunft «Heini von Uri» und die geladenen Gäste vor das Rathaus. Nach einem Schluck Wein und einigen Drehungen um die eigene Achse betritt der erste Schläger oder die erste Schlägerin die Bühne. Wurde die erste Gans erfolgreich geschlagen, wird die zweite Gans ebenfalls am Hinterkopf an Draht befestigt und die weiteren Schlägerinnen und Schläger dürfen ihr Glück versuchen, jeder und jede mit nur einem einzigen Schlag.

Zwischen den einzelnen Schlägen können sich die Kinder beim «Stangechlädere» ein Geschenk sichern, beim «Sackgompe» gegeneinander antreten oder sich beim «Chäszänne» mit einer möglichst beeindruckenden Grimasse ein Stück Käse verdienen. Die Gansabhauet dauert, bis beide Gänse gewonnen sind. Preis der Gansabhauet war früher und ist heute die Gans.

Die Gansabhauet wurde infolge der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 nicht durchgeführt. Es war nicht das erste Mal, dass die Gansabhauet abgesagt wurde. Während des ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 fand keine Gansabhauet statt. Im Verlauf des zweiten Weltkriegs verzichtete man 1942 bis 1945 auf die Durchführung. In den ersten Kriegsjahren 1939 bis 1941 wurde sie noch, trotz oder gerade wegen des Kriegs veranstaltet. Ebenfalls abgesagt wurde die Gansabhauet 1956 aus Solidarität mit der ungarischen Bevölkerung im Aufstand gegen die sowjetischen Truppen. (ast)