Dauerwellen sind wieder angesagt: Was läuft kraus, dass Männer den Pudel machen?
Als «Baywatch»-Bademeister David Hasselhoff Damen aus den Fluten barg, trug er Kunstlocken. Als Stürmer Rudi Völler Tore schoss und Tony Marshall an der Europameisterschaft dazu «Fröhliche Fussballlieder» sang, glich ihr beider Haupthaar einem Teppich aus Pudeln.
Man feierte die unbeschwerten 80er-Jahre, ältere Semester erinnern sich; die Dauerwelle, aus Hollywood herübergeschwappt, markierte die Krönung des krausen Zeitgeschmacks.
Das Ende der soften Samurais
Doch über Nacht, so scheint es, schlägt sie nun zurück. Die Dauerwelle ist die Trendfrisur des jungen Mannes. Bradley Cooper als Trickbetrüger in «American Hustle» (2013) setzte Massstäbe. Viele folgen ihm: «Junge Männer stürmen die Coiffeursalons und lassen sich mit Lockenwicklern einen neuen Look verpassen», schrieb jüngst der «Blick».
Das ist einerseits erfreulich. Die Welle, endlich, bereitet dem Männerdutt ein gnädiges Ende: Kerle mit Oma-Frisuren, diese soften Büro-Samurais, dürfen abdanken. Der moderne Mann muss kein Krieger mehr sein. Anderseits ist zu bedenken: Wer im Trend liegen will, greift für seinen Wellengang zu Härterem als zu einem Haarfummel, nämlich zu Chemie. Das Verfahren, in Schnittlauchlocken Schwung zu bringen, hat es in sich. Wer Locken will und von der Natur damit nicht bedacht ist, wird zunächst das Haar mit Chemie ruinieren, er bringt es ausser Form. Dann zwingt er es um Lockenwickler und fixiert es schliesslich neu mit einer entsprechenden Substanz.
Die Dauerwelle ist die Frisur der chemischen Industrie. Und nur logisch, die Schweiz trägt an ihr zu grossen Teilen Mitschuld. Ein Barbier namens Karl Nessler, 1872 im Schwarzwald geboren, gilt als Vater der Haarkrause. Nessler, später nannte er sich Nestlé, hat sein Geschäft erst in Basel und später in Genf gelernt.
1906, in London, liess er sein Verfahren schliesslich patentieren. Ein Welterfolg! Inspiriert dazu hat ihn, so liest man, der persönliche Kontakt zu den Wollschafen in seiner alten Heimat.
«Die Locken bin ich!», der Sonnenkönig erfindet die Staatsfrisur
Moderne Männer wollen Locken. Neu ist das nicht. Und die Geschichte wiederholt sich auch nicht zum ersten Mal. Schon die alten Ägypter kannten die Technik des Lockendrehens. Doch der König der Locken – war der König der Könige, der absolutistische Herrscher Louis XIV, «Sonnenkönig» genannt. «Les boucles sont moi!», soll er gesagt haben, «Ich bin die Locken!» Überliefert freilich ist das Zitat nicht, doch Haarspalterei tut hier nichts zur Sache. Wahr ist nämlich sehr wohl, Louis hat die Allongeperücke zum Symbol der Männlichkeit erhoben. Er ernannte sie zur Staatsfrisur, womit sie ihren Siegeszug antrat durch ganz Europa.
Locken vom Mittelscheitel bis zur Brust. Wallend und glänzend. Eine Löwenmähne der Salonlöwen, sozusagen. Pudelartig war an diesem Kunstwerk rein gar nichts. Weiss war das Teil, aus Menschen- oder aus Tierhaar geknüpft, auch weiss gepuderte Perücken waren in Mode. Eine Allongeperücke sass auf dem Kopf des Trägers als Feuerwerk von inbrünstigen Locken und dichteten dem Besitzer Extrovertiertheit, Spannkraft und – herausragend wichtig – Potenz an.
Dass es unter der falschen Haarpracht in der Regel oft spiegelblank aussah, oder bestenfalls wie von Mäusen zernagt, war freilich ein offenliegendes Geheimnis. Die Begeisterung, die das Barock für Perücken empfand, hatte einen schmerzlichen Grund. Allogenperücken kaschierten die Zeichen von Alter und Krankheit. Die höfische Misere, die damals grassierte und zu Haarausfall führte, war die Geschlechtskrankheit Syphilis.
Aus «No Future »wird «Good Vibrations»
All das gilt nicht mehr. Wenn junge Männer heute den Pudel machen, tun sie das, hofft man doch, aus freiwilligen Stücken. Und ihre Aussage ist eindeutig: Der junge Mensch, wenn Mann surft auf einer Welle, die die Geschlechter verwischt. Die Locke spült die Männlichkeit weich und ist überdies herzlich ungeeignet, von Autoritäten disziplinier und dressiert zu werden. Mann wird seinen eigenen Locken ja selbst nicht Herr.
Als Wellenträger verweigert er sich der Deutbarkeit der Welt und den Anforderungen an eine harte Fassade. Die Dauerwelle ein Zeichen von Protest? Warum eigentlich nicht. «No Future» hiess einmal das Motto. Heute setzt die neue Welle auf «Good Vibrations» und auf eine Zukunft, die uneindeutig weiblich ist.