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SVP würde Putins Landraub in der Ukraine hinnehmen – Mitte: «Sie sollten mal ins Geschichtsbuch schauen»
Diese Woche könnte für die Zukunft der Ukraine entscheidend sein. Während US-Aussenminister Marco Rubio und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am Dienstag in Riad über eine Friedenslösung nach den Vorstellungen von Trump und Putin verhandeln, bleiben Europa und die Ukraine aussen vor.
Eine Unsicherheit, die Europas Regierungen umtreibt und veranlasst hat, am Montag in Paris einen Sondergipfel durchzuführen. Der Druck auf Europa, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, erhöht sich. Doch während Frankreich und Grossbritannien die Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine erwägen, mahnen andere Länder zur Vorsicht. So bezeichnete Deutschlands noch-Bundeskanzler Olaf Scholz die Diskussion als «völlig verfrüht».
Ein geopolitischer Machtpoker ist im Gange und es fragt sich: Wie soll sich die Schweiz positionieren? Führende Schweizer Aussenpolitiker schätzen die Lage ein.
Putin und Trump – ohne Ukraine und Europa
Der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina besuchte vergangene Woche mit einer SP-Delegation die Ukraine. Für ihn ist klar: Ein gerechter Frieden in der Ukraine kann nur im Rahmen des Völkerrechts und unter Einbezug der Ukraine zustandekommen. Dass sich die USA und Russland nun in Riad treffen, ohne Kiew oder die EU an den Verhandlungen zu beteiligen, hält er für besorgniserregend. Molina sagt aber: «Putin und Trump können aushandeln, was sie wollen – völkerrechtlich bleiben die besetzten Gebiete Teil der Ukraine.»
Auch GLP-Nationalrätin und Fraktionspräsidentin Corina Gredig vertritt diese Meinung. Sie sagt: «Es geht um das Territorium der Ukraine. Es kann nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg verhandelt werden. Die Schweiz steht auf der Seite des Völkerrechts – ein Abkommen, das gegen dieses verstösst, können wir nicht anerkennen.»
Anders sieht das der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter. Er begrüsst die Verhandlungen zwischen den USA und Russland. «Dass sich die USA und Russland annähern, könnte helfen, den Krieg zu beenden. Wichtig ist, dass der Frieden für alle Seiten tragfähig ist», sagt er.
Bedauerlich findet Grüter hingegen, dass die Verhandlungen in Saudi-Arabien und nicht in der Schweiz stattfinden. Dies sei das Resultat einer «verfehlten Aussenpolitik» der Schweiz. «Die Bürgenstock-Konferenz war an Einseitigkeit kaum zu überbieten. Die Schweiz hat sich hier nicht als neutraler Vermittler positioniert, sondern als Partei – und verliert jetzt ihren Einfluss in der Welt», sagt Grüter.
Darüber schüttelt die Aargauer Mitte-Ständerätin Marianne Binder den Kopf. Die Bürgenstock-Konferenz sei ein Statement ganz vieler Staaten zum Völkerrecht, zur Rechtsstaatlichkeit, zu Freiheit und Demokratie gewesen. «Es sind die Grundwerte der Schweiz. Die Schweiz als Gastgeberin und Hüterin dieser Werte hat die Neutralität nicht verletzt. Das würde sie tun, wenn sie Unrecht und Recht gleichsetzen würde, mit anderen Worten: den Aggressor und das Opfer auf die gleiche Stufe stellen.»
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Alex Spichale / AGR
Dass due aktuellen Verhandlungen in Riad stattfinden, habe eher mit geopolitischen Interessen zu tun als mit der Schweizer Aussenpolitik. «Da überschätzen wir manchmal unsere Rolle.» Nur mit Russland über das Schicksal der Ukraine zu verhandeln, hält Binder für eine gefährliche Weichenstellung. «Das Münchner Abkommen 1938 lässt grüssen. Da wurden über den Kopf der Tschechoslowakei Gebietsabtretungen an Deutschland beschlossen, um einen Krieg zu verhindern. Was bekanntlich nicht funktionierte.»
Frieden à la Putin
Wie ein möglicher Friedensplan zwischen Donald Trump und Wladimir Putin aussehen würde, darüber wird ständig spekuliert. So könnte Russland die Kontrolle über die Krim und die besetzten Gebiete in der Ostukraine sichern, während die Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichtet und neutral bleibt. Die USA könnten ihre Truppenpräsenz in Osteuropa verringern.
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Bild: Anthony Anex / KEYSTONE
Für Franz Grüter ist das ein realistisches Szenario. «Es wird eine Einigung darüber brauchen, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt. Und dass die Gebiete im Osten an die Russen gehen, inklusive Krim. Die Gebiete wird die Ukraine wahrscheinlich nicht mehr haben.» Er gehe davon aus, dass danach Europa für die Sicherheitsgarantien der Ukraine aufkommen müsse, da Trump keine langfristige Unterstützung bieten werde.
So einen «Frieden» hinzunehmen, fände Fabian Molina eine «völkerrechtliche Katastrophe» mit einem fatalen Signal. Er sagt: «Wenn der Westen diese Lösung hinnimmt, öffnet er die Tür dafür, dass Grossmächte andere Länder willkürlich untereinander aufteilen.» Europa und die Ukraine müssten geschlossen gegen ein solches Abkommen auftreten.
Auch Corna Gredig kritisiert die Haltung der SVP, völkerrechtswidrige russische Forderungen zu akzeptieren, obwohl die Schweiz als kleines Land auf eine regelbasierte Ordnung angewiesen sei. «Wenn man damit anfängt, wohin führt das dann? Wer garantiert, dass Russland sich danach an irgendetwas hält? Wenn Putin mit Gewalt Land gewinnen kann, könnte ihn das ermutigen, andere Gebiete in Europa anzugreifen.» Europa müsse sich klar gegen ein solches Diktat aus den USA und Russland stellen und sich militärisch rüsten, um Putin nicht weiter zu ermutigen.
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Bild: Sandra Ardizzone
Doch ist Europa bereit, selbst für seine Sicherheit einzustehen?
Weckruf für Europa
Der europäische Sondergipfel in Paris und die Diskussion um Friedenstruppen sind für Fabian Molina ein «richtiger Schritt, aber wahrscheinlich zu spät». Er sagt: «Viele haben nicht ernst genommen, was Trump im Wahlkampf angekündigt hatte. Jetzt überlegt man sich in Europa, wie man die Ukraine noch stärker unterstützen kann, auch militärisch.»
Ein grosses Problem sieht er darin, dass die USA ihre Unterstützung für die Ukraine bereits drastisch reduziert haben, was sich in Kürzungen von Hilfsbudgets etwa bei USAID zeigt. Die Auswirkungen davon habe er bei seinem Aufenthalt in der Ukraine bereits gesehen.
Von einem «Weckruf für Europa» spricht Corina Gredig. «Die jüngsten Ereignisse unterstreichen, wie essenziell eine starke europäische Sicherheitsstrategie ist.» Dem stimmt auch Marianne Binder zu. Sie warnt davor, dass Europa die militärische Bedrohung durch Russland über Jahre unterschätzt hat und sich nun in einer gefährlichen Situation wiederfindet. Europa müsse sich militärisch wieder besser aufstellen – auch die Schweiz.
Binder sagt: «Putin versteht nur eine Sprache. Entschlossenheit und europäische Geschlossenheit. Europa wäre in der Gesamtheit nach wie vor stärker als Russland – aber das reicht nicht. Wir müssen die Kräfte bündeln und unsere Wehrhaftigkeit ausbauen, ob uns das passt oder nicht. Sonst stehen wir bald ohne Schutz da.»
Franz Grüter glaubt jedoch nicht daran, dass Europa aus eigener Kraft eine genügend starke Verteidigung aufbauen kann. Und er ist skeptisch, ob Europa in der Lage ist, genügend Friedenstruppen in der Ukraine zu stellen.
Was die Schweiz angeht, fordert er, dass sie sich auf ihre Neutralität zurückbesinnt und sich nicht in die geopolitischen Machtspiele hineinziehen lässt. «Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht selbst zur Kriegspartei werden. Dass sich die Schweiz aus grossen Kriegen herausgehalten hat, war immer ein bewährtes Rezept zum Schutz des Kleinstaats Schweiz.»
Die Position der Schweiz
Neutralität hält auch Marianne Binder für wichtig. «Bewaffnete Neutralität, mit internationaler Kooperation. Das ist, was wir brauchen.» Neutralität bedeute nicht Isolation, sondern starke Verteidigung und sicherheitspolitische Kooperation mit Europa. Die Interoperabilität müsse gegeben sein im Falle einer Eskalation.
«Ansonsten setzen wir unsere Sicherheit aufs Spiel. Erstens braucht die Armee viel schneller mehr Ressourcen, als sie im Parlament zugesprochen bekam. Zweitens muss die internationale Zusammenarbeit gegeben sein. Eine isolierte Schweiz kann sich nicht verteidigen. Die SVP sollte mal ins Geschichtsbuch schauen», sagt Binder.
Fabian Molina geht noch einen Schritt weiter und warnt davor, dass die Schweiz in einer gefährlichen Illusion lebt. Neutralität sei kein Freifahrtschein für Passivität, sondern verlange, dass man sich aktiv für das Völkerrecht einsetze. «Wir müssen die Sicherheit Europas nicht mit, sondern gegen Russland organisieren – und jetzt sieht es so aus, als müssten wir sie auch gegen die USA organisieren.»
Die Schweiz müsse ihre Unterstützung für die Ukraine ausbauen, sei es humanitär, finanziell oder diplomatisch. Denn eine Schwächung Europas werde auch die Schweiz früher oder später treffen, sei es wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch.
Auch Corina Gredig kritisiert, dass die Schweiz ihre eigene sicherheitspolitische Rolle unterschätzt. «Europa muss sich selbst verteidigen, und das muss auch in der Schweiz endlich als Realität ankommen.» Sie fordert, dass die Schweiz stärker mit Europa kooperiert.