So steht die Schweizer Presse zum «Freudentag» – und das sagen ausländische Medien zur grossen Lockerung
«Es geht wieder einmal schnell», kommentiert der «Tages-Anzeiger» am Donnerstag den jüngsten Öffnungsschritt des Bundesrates. Doch das entspreche durchaus dem Muster, welches die Schweiz auch bei früheren Lockerungsschritten von Corona-Regeln bereits an den Tag gelegt habe. «Anders als etwa im ersten Pandemieherbst gibt es nun aber gute Gründe», so das Fazit des «Tagi».
«Gleichzeitig heisst das nicht, dass wir ab morgen wieder munter Seuchenpartys feiern sollten», mahnt der «Tages-Anzeiger». Vielmehr zwinge uns die neue Realität dazu, etwas zu tun, was wir im Dickicht der staatlichen Regulierungen der vergangenen zwei Jahre leicht hätten verlieren können: «Kopf einschalten und Risiken eigenständig abwägen.»
NZZ: «Einfach leben»
«Was wir jetzt tun sollten, ist einfach leben», kommentiert die NZZ. Es gehe nun weder darum, enthusiastisch zu werden. Noch an an den letzten, verbliebenen Einschränkungen herumzunörgeln. Das Virus bleibe, könne allenfalls gar mit einer gefährlichen Variante zurückkehren, mahnt die Zeitung.
Darum bleibe es beispielsweise auch wichtig, dass die Politik Risikogruppen nebst der Impfungen fortwährend auch den Zugang zu Corona-Medikamenten gewährleiste. Und Longcovid-Betroffene müssten endlich die Aufmerksamkeit erhalten, die sie lange vermissten.
Blick: «Wir haben es geschafft»
«Freudentag!» prangt am Donnerstag auf der Titelseite des «Blick». Und im Kommentar in der Zeitung steht: «Die Pandemie ist soweit entschärft und zurückgedrängt, dass es keine staatlichen Vorschriften mehr braucht.» Jetzt sei «nur noch Rücksichtnahme und Selbstverantwortung» nötig.
Dass einige nun vom «Freedom Day» sprechen würden, kritisiert der «Blick» dagegen als «Propaganda». Denn: «Wir lebten nicht in Unfreiheit», schreibt die Zeitung. «Wir mussten uns als freie Gesellschaft Einschränkungen auferlegen, um eine enorme Krise zu bestehen.» Bei allen Unwägbarkeiten dürfe man heute sagen: «Wir haben es geschafft.»
CH Media: «Wo bleiben die Freudentänze?»
«Wie lange haben wir diesen Tag herbeigesehnt!», kommentieren derweil die Zeitungen von CH Media. Und sie werfen die Frage auf: «Doch wo bleiben die Freudentänze, die Freudenmärsche, die Freudengesänge?» – Klar, die Pandemie sei mit dem letzten grossen Lockerungsschritt des Bundesrats vom Mittwoch nicht einfach vorbei. «Heute mit Fremden Arm in Arm zu feiern, könnte sich morgen schon rächen», mahnt auch CH Media zur Vorsicht.
Dass der «Freudentag» nun nicht gleich zu Freudentänzen in allen Ecken des Landes führt, liegt laut CH Media «auch daran, dass die Corona-Einschränkungen für die meisten Menschen – bis auf eine kurze Zeit der Schulschliessungen im Frühjahr 2020 – gar nicht so schlimm waren». Gerade in den letzten Monaten sei dank klugem Einsatz von Zertifikaten, Tests und Impfungen «ein relativ normaler Alltag möglich» gewesen.
SRF: «Es herrscht wieder Einigkeit – vorerst»
SRF derweil erinnert in seiner Analyse daran, wie sich die Parteien vor bald zwei Jahren zu Beginn der Pandemie geschlossen hinter die Regierung stellten. Ja dem Bundesrat gar gemeinsam einen Brief schrieben. Das sei nun wieder fast gleich: «Heute, genau 23 Monate später, herrscht wieder Einigkeit», schreibt Urs Leuthard, der Leiter der Bundeshausredaktion. Das gelte wohl auch für die Stimmung im Volk. Und sogar die Taskforce des Bundes stelle sich hinter die Aufhebung fast aller Massnahmen.
«Beste Voraussetzungen also», so SRF, «um zusammen die politischen und gesellschaftlichen Aufgaben anzugehen.» Erst recht jetzt, wo die Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften keine Rolle mehr spiele. Fazit der Analyse: «Die letzten zwei Jahre sollen schonungslos, aber fair aufgearbeitet und die richtigen Schlüsse gezogen werden.»
Abschaffung der Coronamassnahmen in der Schweiz? – Das Ausland interessiert das für einmal kaum
Die Schweiz hat es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder anders gemacht als das grenznahe Ausland. Das gab bisweilen zu reden. Nun ist das jedoch anders. Der Entscheid des Bundesrats vom Mittwoch, bereits ab heute Donnerstag fast alle Coronaschutzmassnahmen aufzuheben, wirft in den Medien der Nachbarländer kaum Wellen.
Der österreichischen Tageszeitung «Standard» etwa ist die Öffnung der Schweiz am Mittwoch online keine Zeile Wert. In einer Länderübersicht zu den in Europa verbleibenden Coronamassnahmen vom Donnerstag stehen vier Sätze. Das Portal der Gratiszeitung OE24.at und des Boulevardblatts «Krone» schalteten am Mittwoch dieselbe Agenturmeldung über den Bundesratsentscheid auf. Und auch das Portal der Boulevardzeitung heute.at berichtete mit einer anderen Agenturmeldung über die gleichzeitig angekündigten Lockerungsschritte in der Schweiz und im anderen Nachbarland Deutschland. Gleich gar keine Zeile Wert sind die Schweizer Lockerungen vom Mittwoch dem Onlineportal des ORF.
Erstaunen in deutschen Medien
Den Österreichischen Medien ist allerdings zugute zu halten, dass gleichentags ihre Regierung in Wien entschieden hat, ab dem 5. März praktisch alle Coronamassnahmen fallen zu lassen. An der – nebst dem Vatikan weltweit einmaligen – Impfpflicht will die Regierung jedoch festhalten.
Für die «Süddeutsche» berichtet am Mittwoch die Korrespondentin aus Wien über die Lockerungsschritte in Österreich und der Schweiz. Bei der «FAZ» dagegen berichtet der Korrespondent aus Zürich – und zeigt sich erstaunt darüber, dass hierzulande gelockert wird, «obwohl die Inzidenzrate höher ist als in Deutschland». Der «Spiegel» wiederum begnügt sich am Mittwoch mit einer ausführlichen Agenturmeldung.
Norditalien: «Niente più restrizioni»
Ähnlich die Situation in Italien: Auch hier berichteten die meisten Online-Portale wie «Ilsole24ore.it» am Mittwoch in Tickereinträgen über die Lockerungen in der Schweiz.
In Grenznähe geben die Entscheide allerdings doch etwas zu reden, so beispielsweise «QuiComo.it»: «Niente più restrizioni» («Keine Einschränkungen mehr») titelt das Lokalportal der norditalienischen Stadt am Comersee.
Frankreich: News – und nicht mehr
Auch in Frankreich bereitet der Entscheid zur Aufhebung der Coronamassnahmen in der Schweiz kaum Aufhebens. «Le Parisien» oder Libération beispielsweise vermeldeten die News als Kurznachricht. «Le Figaro» publizierte am Mittwoch eine längere Agenturmeldung.
Keine Zeile Wert ist der Entscheid dagegen beispielsweise «Le Monde». Dessen Portal berichtete gleichentags jedoch aber ausführlich über die Situation der neutralen Schweiz im Ukrainekonflikt.