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Warum Starkregen Häuser im Aargau gefährdet – und wie ein Schutzprojekt gegen Hochwasser ein Dorf spaltete

Ein Unwetter überschwemmt den Garten einer Familie in Oberrüti. Zwei Tage später folgt der nächste Starkregen. Und die nächste Überschwemmung. Ein Blick in die Gefahrenkarte zeigt: Schäden bei Starkregen drohen überall.

Mit der Stufe drei warnte der Bund vor den Regenfällen am vergangenen Donnerstag. Von Mittwochmorgen bis Freitagmorgen fielen in grossen Teilen des Aargaus zwischen 30 bis 40 Millimeter Regen. Im Zurzibiet registrierten die Messstationen gar 50 bis 75 Millimeter – fast so viel wie normalerweise im ganzen September in dieser Region.

Das zeigt sich auch in den Pegeln der Flüsse. Aare, Reuss, Rhein oder Limmat schwollen in den vergangenen 24 Stunden deutlich an, erreichten die Höchststände von Anfang Juni aber bei weitem nicht.

Zwei Unwetter innert zweier Tage

Klar ist: Von Dauer- und insbesondere Starkregen geht eine Gefahr aus. So etwa Anfang September in Oberrüti im Freiamt. Gleich zweimal innert zweier Tage verwüstete ein Unwetter den Garten einer Familie. Ein Video zeigt das Ausmass: Es schüttet und schüttet, der Regen verwandelt das Feld oberhalb der Liegenschaft in eine Schlammlandschaft. In braunen Strömen fliesst das Wasser den Hang hinunter und ergiesst sich in Garten und Keller der Familie. Eine Steinmauer wird zum Wasserfall, der Rasen zu einem braunen Teich.

Nach dem Unwetter begann die Familie mit den Aufräumarbeiten – und wurde zwei Tage später von neuem Starkregen getroffen. Das Lokalfernsehen Tele M1 wurde auf die gebeutelte Familie aufmerksam. «Bis gestern war es ziemlich sauber. Und dann ist es heute Nacht wieder gekommen», sagte der Familienvater in die Kamera. Er lachte bitter.

Oberflächenabfluss nennen Versicherungen und Fachstellen Ereignisse dieser Art. Sie treten insbesondere dann auf, wenn innert kurzer Zeit mehr Regen niedergeht, als Böden und Kanalisation schlucken können. 70 Millimeter Niederschlag registrierte die nächstgelegene Messstation beim ersten Unwetter in Oberrüti.In der Gemeinde gab es zahlreiche weitere Schäden.

Ein Netz aus rosa Flecken überzieht die Schweiz

Seit 2018 stellt das Bundesamt für Umwelt potenziell gefährdete Gebiete in einer Karte dar. Wie ein Netz überziehen rosa und violette Flecken die Schweiz und den Aargau. Rosa bedeutet eine geringere Tiefe des abfliessenden Wasser, violett eine höhere. Die Flecken folgen insbesondere Strassenverläufen. Versiegelte Flächen sind besonders gefährdet für abfliessendes Wasser. Aber auch viel Kulturland ist rosa oder violett eingefärbt. So auch Teile des Hangs oberhalb des Hauses der Familie am Rande Oberrütis.

Dabei zeigt sich: Es gibt schweizweit kaum eine Gemeinde, die nicht gefährdet wäre. Egal ob Holderbank an der Aare, Stein am Rhein, Seengen am Hallwilersee oder Benken im Aargauer Jura, fernab eines grösseren Gewässers – Schäden bei Starkregen drohen überall.

Über lange Sicht gesehen trete ein solches Ereignis im Mittel einmal in hundert Jahren auf, heisst es in den Anmerkungen zur Karte. Die Familie hat es zweimal innert zweier Tage getroffen. Der örtliche Feuerwehrkommandant führt das Ausmass der beiden Ereignisse auf den Zustand des Felds zurück. Aufgeraut wegen des Säens sei die lockere Erde durch den Regen in den Garten geschwemmt worden, so seine These.

Ein bitterer Zufall? Vielleicht. Doch auch die Aargauische Gebäudeversicherung (AGV) warnt: Mit den zunehmenden Wetterextremen und der fortschreitenden Urbanisierung steige das Risiko von Überschwemmungen – «nicht nur durch Flüsse und Seen, sondern auch durch den oft unterschätzten Oberflächenabfluss», schreibt die AGV in einer kürzlich verschickten Medienmitteilung. Bis zu 50 Prozent der Hochwasserschäden im Kanton gehen auf Oberflächenabfluss zurück. Betroffen sind auch Gebiete fernab von Gewässern. So wie etwa jenes Haus in Oberrüti.

3716 Neu- oder Umbauprojekte beurteilte die AGV im vergangenen Jahr auf ihre Gefährdung durch Überschwemmungen. In 115 sprach die Versicherung Gelder für Schutzmassnahmen. In 43 Fällen ging es dabei um Hochwasser oder Oberflächenabfluss.

186’000 Franken sollte das Projekt kosten. Mit einem gemeinsamen Hochwasserschutz wollte sich die Zurzibieter Gemeinde Wislikofen, heute Teil der Grossgemeinde Zurzach, vor dem Tägerbach schützen, der durchs Dorf fliesst. Rund zehn Jahre lang arbeitete die Gemeinde am Projekt. Und sich daran ab.

Am Anfang stand die Gefahrenkarte Hochwasserschutz des Kantons. Seit 2011 zeigt sie, wo Siedlungsgebiet im Aargau durch Überschwemmungen gefährdet ist. In Wislikofen ist das halbe Dorf blau eingefärbt, mittlere Gefährdung, zahlreiche Gebäude sind betroffen. Bedeutet: Wer bauen will, muss einen Hochwasserschutznachweis erbringen. So auch Lukas Spuhler. 2013 plante der Hauseigentümer einen Umbau an seinem Zuhause, einem ehemaligen Bauernhof am Dorfrand.

Der Gemeinderat fasste schliesslich ein gemeinsames Projekt ins Auge. 2014 stimmte die Gemeindeversammlung dem Kredit über 186’000 Franken zu. 40 Ja-Stimmen und keine Gegenstimme. Das Projekt hatte grünes Licht. Alles schien zu klappen.

Doch dann passierte lange nichts. 2019 schliesslich teilte der Gemeinderat Spuhler mit, das Projekt werde auf Eis gelegt – trotz der Zustimmung der Gemeindeversammlung. Der Grund: Eine Einsprache gegen das Schutzprojekt wurde trotz Gesprächen nicht zurückgezogen. Der Gemeinderat befürchtete langjährige Rechtsstreitigkeiten. Die Gemeindeversammlung stimmte dem Abbruch des Projekts schliesslich zu. Spuhler ergriff das Referendum –und scheiterte 2020 letztlich auch an der Urne.

Zurück bleibt ein frustrierter Hausbesitzer. Und ein Dorf, das weiterhin zur Hälfte im Gefährdungsgebiet liegt.(daw)