Kein gemeinsames Abendessen mit Kindern und andere Probleme von Aargauer Gastfamilien
Im Bürgersaal der Stadt Zofingen haben sich rund 20 Leute eingefunden, die meisten sind Gastfamilien, manche beteiligen sich an Projekten für ukrainische Geflüchtete. Was sie eint: Sie suchen Rat darüber, wie sie mit Schwierigkeiten beim Zusammenleben mit den Gastfamilien umgehen sollen. Diesen Rat, so hoffen sie, bekommen sie von Christina Barry – Psychotherapeutin und mit dem Verein Psy4Asyl freiwillig in der Betreuung von Geflüchteten engagiert. An diesem Abend bespricht sie mit den Teilnehmenden, wie sie mit ihren Schwierigkeiten umgehen können. Und wie sie für ihre Gastfamilien da sein können, wenn es diesen psychisch schlecht geht.
Lost in Translation oder: Die Grenzen der Übersetzungsapps
Das Problem, das im Laufe des Abends mit am häufigsten auftaucht, ist wohl die fehlende gemeinsame Sprache. Die meisten versuchen, sich mit Händen, Füssen und Google Translate zu verständigen. Das Problem dabei: Der Nutzen von Übersetzungsapps ist begrenzt. Zwar helfen sie, wenn einzelne Wörter fehlen, ganze Gespräche zu übersetzen, ist aber schwierig. Das zweite Problem: «Es braucht einfach so, so viel Zeit!», sagt eine Gastgeberin. Alle in der Runde, die ihr zuhören, nicken – es ist ein bekanntes Problem. Darüber hinaus sind Übersetzungsapps auch nur für jene etwas, die sie bedienen können. Eine Gastgeberin erzählt:
«Bei uns ist eine sehr alte Frau, die uns gerne erzählen würde, wie es ihr geht. Aber sie kann die App nicht bedienen. So können wir kaum miteinander kommunizieren, das ist sehr belastend.»
Doch nicht nur die Sprache birgt Hindernisse, auch die Gewohnheiten der Gäste können zu Reibereien führen – vor allem, wenn die Gäste Kinder haben. «Die Familie, die bei uns ist, ist es nicht gewohnt, dass miteinander zu Abend gegessen wird», erzählt eine Frau. «Das war am Anfang ziemlich schwierig.» Die Frau, die erzählt, trifft auf verständnisvolle Gesichter – dieses Problem kennen einige Gastfamilien. Eine andere Teilnehmerin erzählt, dass sie sich damit arrangiert habe, dass die Gewohnheiten ihrer Gäste einfach anders seien. Sie ässen jetzt nur noch manchmal alle gemeinsam, an manchen Tagen isst jeder für sich. Diese Lösung passe für alle. Aber:
«Wenn ich Kinder im selben Alter hätte, dann fände ich das schwierig – wie soll man verständlich machen, dass die eigenen Kinder mit uns Eltern essen müssen, die Gastkinder aber nicht?»
Der Nachwuchs ist auch für andere Gastfamilien eine Knacknuss. «Die Mutter, die bei uns wohnt, schickt ihre Kinder sehr spät ins Bett – wenn sie dann am nächsten Morgen früh in den Kindergarten müssen, haben sie nur wenig geschlafen», erzählt eine Gastgeberin. Eine andere ist mit dem Erziehungsstil der Ukrainerin, die bei ihr wohnt, nicht einverstanden: «Sie setzt kaum Grenzen, die Tochter kann fast machen, was sie will.» Das sei manchmal schwierig. Erst langsam finde sie einen Weg, damit umzugehen: «Ich mische mich nur ein, wenn mich eine Situation direkt betrifft.» Sei das nicht der Fall, halte sie sich raus – das sei besser für alle, so die Gastgeberin.
Sich abgrenzen, nicht einmischen – auch diese Herausforderung kennen viele Gastfamilien. «Mich zurückzuhalten und auch mal rauszunehmen, das musste ich wirklich üben», sagt eine Gastgeberin. «Dabei komme ich manchmal schon an meine Toleranzgrenze.»
Spazieren, Zeichnen, Freunde treffen: Tipps für Gastfamilien
Genau um zu lernen, wie mit solchen Problemen umzugehen ist, haben sich die Gastfamilien an diesem Abend in Zofingen getroffen. Der Verein Psy4Asyl, der den Kurs anbietet, engagiert sich schon seit Jahren für die psychische Gesundheit von Geflüchteten – und ist auch seit der Eskalation des Ukraine-Kriegs im Einsatz. Christina Barry, die Psychotherapeutin, die an diesem Abend den Kurs leitet, betont im Laufe des Abends immer wieder: «Sich auch als Gastgebende abzugrenzen, das ist nicht nur okay, sondern eine wichtige Kompetenz.» Auch sie müssten auf ihre Energiereserven achten und sich genug erholen.
Als Tipps gibt Barry den Gastfamilien mit: «Spazieren, Sport machen, kreativ sein, Freunde treffen – die Dinge, die helfen, sind banal.» Häufig helfe schon, einen kurzen Moment innezuhalten und bewusst ein- und auszuatmen, um sich besser zu fühlen. «Man muss sich dafür einfach immer wieder Zeit nehmen, das ist sehr wichtig», so Barry. «Selbstfürsorge» spiele gerade in der Situation, in der die Gastfamilien seien, eine grosse Rolle – weil das Engagement sonst zu Erschöpfung führen kann.
Bei all den Schwierigkeiten ist Psychotherapeutin Christina Barry aber auch wichtig zu betonen, dass viele Gastfamilien das Zusammenleben mit den ukrainischen Geflüchteten schätzen. An einem anderen Kursabend etwa habe eine Gastfamilie erzählt, dass die ukrainischen Kinder ihr «wie eigene Enkel» ans Herz gewachsen seien. Ähnliches hört man auch am Kursabend in Zofingen raus: So berichtet eine Frau von der schwierigen Jobsuche für ihren ukrainischen Gast, freut sich aber, dass es schliesslich geklappt hat – Frustration sieht, trotz allem, anders aus.