Gerhard Schröder in der Schweiz: Der Ex-Kanzler über seine Verhandlungen mit Putin – und warum er jetzt auf Trump hofft
«Gestatten Sie mir eine Liebeserklärung», sagt Gerhard Schröder, 80, und blickt wie ein verknallter Teenager in die erste Reihe zu seiner Ehefrau. Die ganzen Anfeindungen von aussen, da müsse man halt durch, meint der umstrittene Ex-Politiker. «Aber es ist schon hilfreich, wenn es jemanden gibt, der einen liebt.»
Fast zwei Stunden hat der ehemalige deutsche Kanzler bis dahin im Zürcher Hotel Dolder Grand mit Roger Köppel über Gott, die Welt und Putin geplaudert. So-yeon Schröder-Kim, seine Frau, hat alles auf Video. Während ihr Mann sprach, filmte sie. Die ganze Zeit nur ihren Gerd, wohlgemerkt. Köppel hat sie nicht im Bild.
Ob sie es auf Instagram posten wird wie das Bild aus Moskau? Ihr Selfie aus der russischen Hauptstadt im Frühjahr 2022 entfachte einen Sturm der Entrüstung. Dabei konnte sie gar nicht so viel dafür. Die gläubige Katholikin betete in ihrem Zimmer im Kempinski Hotel mit Blick auf die bunten Türme der Basilius-Kathedrale. Ihr Mann traf derweil gleich nebenan im Kreml den Kriegsherrn Putin zum Gespräch unter vier Augen.
Gerhard Schröder wollte helfen. Seinen Kumpel Wladimir zum Einlenken bewegen. Deshalb reiste er kurz nach Russlands Überfall auf die Ukraine nach Moskau. Die Mission misslang, Putin bombardiert bis heute weiter ukrainische Spitäler und Wohngebiete. Schröder erntete Hohn und Spott. Was viele Kritiker indes ausblenden: Es waren die Ukrainer – federführend der heutige Verteidigungsminister Rustem Umerow via Schröders persönlichen Freund und Schweizer Verleger Michael Ringier, wie der Ex-Kanzler in Zürich betont-, die Schröder gebeten hatten, zu vermitteln. Er fühlt sich auch deshalb in der ganzen Russland-Sache ein wenig missverstanden.
Die «Anfeindungen», die er mit Hilfe seiner Ehefrau durchsteht, sind seit Russlands Angriffskrieg praktisch explodiert. Die Regierung strich ihm sein Büro im Bundestag, der Deutsche Fussball-Bund entzog ihm die Ehrenmitgliedschaft. Die SPD wollte ihn gar aus der Partei werfen. Das misslang zwar. Isoliert ist Schröder trotzdem.
Zum einen, weil er von seiner Freundschaft zu Wladimir Putin partout nicht abrücken will. Zum anderen, weil er nach wie vor den Aufsichtsrat der Nord Stream AG präsidiert. Das Unternehmen ist fest in der Hand des Gazprom-Konzerns. Der wiederum ist noch fester in der Hand des Kreml. Genau wie Schröder, sagen seine Kritiker.
Er selbst sieht das anders. «Dass Russlands Einmarsch falsch war, lässt sich doch gar nicht bestreiten», sagt Schröder zu Köppel. Der will wissen: «Sieht das Putin auch so?», und spielt auf Schröders Abstecher in den Kreml an. Worauf Schröder sagt: «Es läuft doch nicht so, dass Putin sagt: <Gerd, ich weiss, ich hab Blödsinn gemacht> – so läuft so ein Gespräch nicht.» Die Antwort ist also offensichtlich nein.
Dass die von Schröder angestossenen Gespräche nicht weitergeführt wurden, daran gibt er den Amerikanern mindestens eine Mitschuld. «Die russische Seite war entscheidungsfähig, die ukrainische nur begrenzt», sagt er. Sie hätten schauen müssen, wie es in Amerika aussehe. Da habe es Probleme gegeben, meint Schröder. Und fügt an: «Es hätte viel Blutvergiessen verhindert werden können.
Gibt er damit den Amerikanern statt Putin die Schuld am Leid der Ukrainer? CH Media hätte Schröder gern danach gefragt, doch der Altkanzler stand in Zürich für Fragen nicht zur Verfügung. Er musste weiter. Ein paar Glückliche hatten ein Ticket für ein Dinner im kleinen Kreis mit Schröder und Köppel ergattert. Für 390 Franken. Ein Schnäppchen, eigentlich.
Zuvor erklärte Schröder dem Schweizer Publikum, dass eine Verhandlungslösung mit Russland möglich sei. Dafür müssten Deutschland und Frankreich als europäische Führungsmächte auf Gespräche drängen. Druck, so Schröder, müsse dabei keineswegs nur auf den Kreml gemacht werden. Sondern auch auf die Ukrainer und die Amerikaner.
Viel stärker als Putin nimmt Schröder in Zürich ohnehin die Europäer in die Pflicht. Nicht die EU-Kommission, die «kann man in solchen Fragen vergessen», spottet er unter dem Applaus des Publikums. Sondern die Regierungen in Berlin und Paris. Die drängten nicht energisch genug auf Verhandlungen.
Hoffen auf Präsident Trump
Deutschland und Frankreich müssten sich auf eine Linie verständigen und dann die Amerikaner mit ins Boot holen. Soweit die Theorie. Und dann sagt der Sozialdemokrat Schröder etwas bemerkenswertes: «Warum hofft man inzwischen auf einen Präsidenten Trump?», fragt er. Das sei doch interessant. Dieser habe formuliert, man könne den Konflikt am ehesten im Dialog zwischen Amerika und Russland beenden. «Und das stimmt», sagt Schröder. Wenn der neue amerikanische Präsident, gemeint ist Trump, gewählt sei – «es ist komisch, dass man das inzwischen hofft», fügt er an –, dann könnten Schritte dahin unternommen werden.
Von den Demokraten hält Schröder mindestens in der Ukraine-Frage derweil wenig bis nichts. «Wer ist bereit, eine Lösung zu finden? Das ist gegenwärtig in den USA nur einer», sagt er und meint Trump. Die Demokraten müsse man da aussen vor lassen, die seien ideologisch getrieben. Historisch seien Friedensverhandlungen mit Republikanern sowieso ergiebiger gewesen.
Der Schlüssel liege zunächst indes beim Tandem Deutschland-Frankreich, wie Schröder immer wieder betont. «Ihr müsst den Krieg beenden!», ruft er. Dass Putin Verhandlungen mit der Ukraine ausgeschlossen hat, dass nicht nur seine sondern alle anderen «Friedensinitiativen», von Emmanuel Macrons Telefonterror bei Putin in den ersten Wochen des Überfalls über Karl Nehammers Moskau-Reisli bis zu Viktor Orbans «Friedensplan» Putin so kalt lassen wie eine sibirische Winternacht, sagt Schröder in Zürich nicht.
Was die Deutschen ihm zu verdanken haben
Dass Schröder wegen seiner Russland-Treue in Deutschland und weit darüber hinaus einen gewaltigen Ansehensverlust erlitten hat, hat eine gewisse Tragik. Denn die Deutschen haben Schröder einiges zu verdanken.
Trotz maximalen Drucks der Amerikaner hielt er das Land im Jahr 2003 aus dem Irak-Krieg heraus. In Zürich gab er dazu eine Anekdote zum besten. Quasi nebenbei verriet Schröder am Mittwochabend, warum George W. Bush damals in den Irak einmarschiert ist. «Gerd», habe dieser zu ihm bei einem US-Besuch gesagt, «ich hab da ein Zwiegespräch geführt mit ganz oben». Der leicht verdutzte Schröder habe entgegnet: «Ich auch, aber mir hat er was ganz anderes gesagt!»
Schröder lag richtig. Genau wie mit seinem zweiten Vermächtnis: der Agenda 2010. Zu Schröders Zeiten war die deutsche SPD noch keine abgehobene Elitenpartei, sondern eine echte Volkspartei. Schröder, der auf dem Bolzplatz gross geworden ist und mit dem man als Normalbürger jederzeit ein Bier hätte trinken gehen wollen, verkörperte Volksnähe ziemlich gut.
Wie kaum ein anderer Spitzenpolitiker konnte er von klein auf nachvollziehen, was es bedeutet, auf Staatsgeld angewiesen zu sein. Schröders Mutter bezog Sozialhilfe. In jungen Jahren lebte die Familie in einer Baracke auf einem Fussballplatz, erzählt er in Zürich. Wortwörtlich, stellt er klar: Ihre Behausung stand innerhalb eines Fussballfeldes. Wenn sonntags Spiele der Kreisliga stattfanden, hätten die Spieler regelmässig Bälle an die Wand geknallt. Durchaus mit Absicht, sagt er, denn sie wollten alle, dass die Baracke verschwinde.
Dieser Gerhard Schröder kürzte im wichtigsten Projekt seiner Amtszeit als sozialdemokratischer Kanzler die Sozialleistungen des Staates – und holte Deutschland so aus einem tiefen wirtschaftlichen Tal. Schröders Regierung wurde in der Folge abgewählt, doch die mutigen Reformen machten Deutschland vom «kranken Mann Europas» zum Exportweltmeister. Angela Merkel war die grosse Profiteurin von Schröders Reformen.
Umso tragischer, dass der Altkanzler heute in Teilen seiner Partei wie auch der Öffentlichkeit praktisch geächtet ist. Der Grund liegt jedoch auf der Hand.
Er selbst nimmts, zumindest äusserlich, locker. «Man muss bei sich bleiben», sagt Schröder in Zürich. «Was man im Kern für richtig hält, dazu muss man stehen.» Respektiert werde er dafür, sagt er. Von der Öffentlichkeit geliebt werden müsse er nicht. «Meine Kinder lieben mich, und meine Frau auch», schiebt er nach. «Das reicht mir an Liebe.»