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Putin-Kritikern droht Verfolgung: Erhalten Flüchtlinge aus Russland in der Schweiz Asyl?

Auch Russinnen und Russen sind seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine als Flüchtlinge in die Schweiz gelangt. Den Schutzstatus S erhalten sie allerdings nicht, obwohl Putin-Kritikern bei der Rückkehr Repressionen drohen. Was passiert nun mit diesen Menschen?

Die russische Journalistin Marina Owsjannikowa hat im Staatsfernsehen des Kremls gegen den Krieg in der Ukraine Stellung bezogen. Mit einem Protest-Plakat hat sie zur Hauptsendezeit die Nachrichten unterbrochen und wurde umgehend verhaftet. Medienschaffenden in Russland ist es verboten, den russischen Einmarsch in die Ukraine als Krieg oder Invasion zu benennen. Die 44-Jährige wurde nun wegen der Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion verurteilt und kommt mit einer Geldstrafe davon. Ob das die einzige Strafe bleibt, ist allerdings fraglich.

Es gibt viele Fälle von Putin-Kritikerinnen und Kremlgegnern, die entweder plötzlich verschwanden oder ermordet wurden. Wie zum Beispiel die Menschenrechtsanwältin Natalja Estemirowa, die in einem Waldstück tot aufgefunden wurde oder die Journalistin Anna Politkowskaja, die im Treppenhaus ihrer Wohnung erschossen wurde. Auch der Kremlgegner Boris Nemzow fiel mit Kritik an Putin auf, bevor er unter mysteriösen Umständen umgebracht wurde. Die Liste ist lang.

Das wirft die Frage auf, ob russische Oppositionelle und regimekritische Journalisten und Aktivistinnen in der Schweiz ebenso Schutz erhalten würden wie ukrainische Flüchtlinge?

Schutzstatus S ist eine Ausnahme

«Wer aus Russland in die Schweiz flieht, kann hier ein normales Asylgesuch stellen», sagt Daniel Bach vom Staatssekretariat für Migration. Jedes Gesuch werde individuell geprüft. Im Rahmen des Asylverfahrens werde abgeklärt, ob die betroffene Person bei einer Rückkehr nach Russland mit Menschenrechtsverletzungen rechnen müsse. Das heisst: Der Schutzstatus S gilt nicht für Geflüchtete aus Russland.

Protest gegen den Krieg im russischen Staatsfernsehen.

Er gilt nur für ukrainische Staatsangehörige, deren Familienangehörige – also Partner, minderjährige Kinder und andere enge Verwandte, welche zum Zeitpunkt der Flucht ganz oder teilweise unterstützt wurden – sowie für Personen, die vor Kriegsausbruch ein Aufenthaltsrecht in der Ukraine hatten und nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Der Schutzstatus S kann viermal für jeweils ein Jahr verlängert werden, nach fünf Jahren bekommen die Betroffenen eine Aufenthaltsbewilligung, sollte der Krieg bis dahin nicht vorbei oder eine Rückkehr unzumutbar sein. «Wir stellen uns darauf ein, dass der Krieg in der Ukraine noch lange dauern könnte», so Bach.

Putins Unberechenbarkeit

Seit Anfang Jahr haben 30 Russinnen und Russen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Die Chancen auf Asyl in der Schweiz seien für russische Staatsbürger in den letzten Jahren nicht sehr gross gewesen, sagt die Asylrechtsanwältin Stephanie Motz. Bei asylsuchenden Russinnen und Russen müsse den besonderen aktuellen Umständen und der Unberechenbarkeit Putins Rechnung getragen werden.

Rechtsanwältin Stephanie Motz in ihrer Zürcher Kanzlei Rise.

Gemäss dem Schweizer Gesetz muss die asylstellende Person mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen, dass ihr bei einer Rückkehr nach Russland ernsthafte Nachteile drohen. Motz kritisiert die Bestimmung der «überwiegenden Wahrscheinlichkeit», denn sie setze eine zu hohe Beweishürde. Gerade bei einem so willkürlichen Regime wie demjenigen Putins sei es schwierig, solche Wahrscheinlichkeiten zuverlässig einzuschätzen. In manch anderen europäischen Staaten reiche bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder eine 10-Prozent-Chance der Verfolgung, was genügen sollte.

Die Anwältin macht einen Vergleich: «Wenn Sie wüssten, dass das Flugzeug mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent abstürzt, würden Sie einsteigen?» Bei Geflüchteten aus Russland müsse das Staatssekretariat für Migration deshalb berücksichtigen, dass die Handlungen des russischen Regimes aktuell schwer vorhersehbar seien. «Wer heute mit einer Geldstrafe davonkommt, ist morgen vielleicht verschwunden oder ermordet», so Motz.