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Trotz Warnung reisen sie ins Kriegsgebiet: Täglich kehren Tausende in die Ukraine zurück – einzelne verlassen auch die Schweiz wieder

Gut 43'000 Gesuche von Schutzsuchenden aus der Ukraine hat der Bund bisher erhalten. Er rechnet damit, dass die Zahl diese Woche auf unter 500 pro Tag sinkt. Vereinzelte haben die Schweiz bereits wieder verlassen.

Mehr als fünf Millionen Menschen haben seit dem 24. Februar die Ukraine verlassen. Inzwischen kehren aber viele Flüchtlinge in die Ukraine zurück. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes reisen derzeit täglich rund 20’000 ukrainische Staatsbürger aus Polen aus, um ihr Land zu erreichen.

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer kehren in die Grossregion Kiew zurück. Russische Bodentruppen gibt es dort keine mehr. Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, rief zwar die Vertriebenen dazu auf, die Rückreise erst später anzutreten. Trotzdem steigt die Zahl der Menschen in der Hauptstadt.

Ziel der Ausreisenden ist der Schweiz nicht bekannt

Sind unter den Leuten, die bereits in die Ukraine zurückkehren, auch Flüchtlinge, die sich in der Schweiz aufgehalten haben? Das ist möglich. Der Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration, Lukas Rieder, erklärt: «Dem Staatssekretariat sind vereinzelte Fälle von ukrainischen Staatsangehörigen bekannt, die sich für den S-Status angemeldet und dann die Schweiz verlassen haben.»

Unklar ist allerdings, ob diese Menschen in ihre Heimat oder in ein anderes europäisches Land gereist sind. Ukrainische Staatsangehörige brauchen kein Visum, um sich in oder durch den Schengen-Raum zu bewegen.

Es ist davon auszugehen, dass Ukrainer, die eine schnelle Rückkehr in Betracht zogen, nach Polen und in andere Nachbarländer gereist sind. Eine grosse Bewegung aus der Schweiz zurück in die Ukraine lässt sich jedenfalls noch nicht feststellen.

Zahl der Schutzsuchenden könnte sinken

Die Zahl der Menschen, welche die Ukraine verlassen, ist nach wie vor deutlich höher als die Zahl der Rückkehrer: 30’000 bis 45’000 Menschen fliehen pro Tag aus ihrer Heimat. In der Schweiz sind bisher rund 43’000 Vertriebene angekommen.

Lukas Rieder erklärt, in den ersten zehn Tagen nach dem Kriegsbeginn seien weniger als 500 Geflüchtete registriert worden. «Dann stieg die Zahl rasch auf Spitzenwerte von fast 1800 Registrierungen pro Tag an.» Es folgte eine längere Periode von zwischen 1500 und 1000 Gesuchen pro Tag. «Nun befinden wir uns seit einiger Zeit in einer Phase von 1000 bis 500 täglichen Registrierungen.»

Wie geht es weiter? Rieder meint, dass die Zahl der Menschen, die in den kommenden Wochen aus der Ukraine fliehen, stark von der Intensität der russischen Offensive in der Ostukraine abhänge. Längerfristige Prognosen seien schwierig. Das Bundesamt für Migration geht davon aus, dass die Zahl der Schutzsuchenden aus der Ukraine in der laufenden Woche wohl auf weniger als 500 pro Tag sinken werde.

Ungleiche Verteilung macht den Kantonen zu schaffen

Viele der Geflüchteten sind privat untergebracht. Diese Solidarität sei sehr wertvoll, betonte der Leiter des Krisenstabs Asyl beim Staatssekretariat für Migration, David Keller, am Donnerstag vor den Medien. Das Problem dabei: Einige Kantone haben überproportional viele Schutzsuchende aufgenommen. Denn bisher hat die Behörde alle, die eine private Unterbringung hatten, dem gewünschten Kanton zugewiesen.

Damit ist nun Schluss. «Es ist wichtig, dass wir schrittweise zu einer proportionalen Verteilung zurückkehren, um die Last wieder gleichwertig auf alle zu verteilen», sagte Keller. Ab Montag sollen die Geflüchteten daher grundsätzlich wieder gemäss Verteilschlüssel an die Kantone zugewiesen werden. Geflüchtete kommen also prioritär in jene Kantone, die bisher anteilsmässig weniger Personen aufgenommen haben.

Ausnahmen gibt es bei verletzlichen Personen wie beispielsweise unbegleiteten Minderjährigen. Auch Geflüchtete, die in der Schweiz Eltern, Grosseltern oder Kinder haben, weist das Staatssekretariat dem gleichen Kanton zu. Jene, die zu Bekannten oder entfernteren Verwandten wollen – und dazu zählen etwa bereits Onkel und Tanten – haben jedoch keine Garantie mehr, dass ihr Wunsch berücksichtigt wird. Das hängt davon ab, wie viele Geflüchtete ein Kanton bereits aufgenommen hat.

«Es tut uns leid»

«Wir wissen, dass es bei Geflüchteten und Gastfamilien zu Enttäuschungen kommen kann», sagte die Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren, Gaby Szöllösy. Doch die ungleiche Verteilung mache den Kantonen stark zu schaffen. Es gehe dabei nicht nur um die Unterbringung, sondern beispielsweise auch um die Einschulung von Kindern. Besonders belastet seien Basel-Stadt, Bern, das Tessin sowie die Stadt Zürich.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) zeigt Verständnis für den Systemwechsel. «Aus Sicht der SFH ist es jedoch wichtig, dass das Modell Gastfamilie dadurch nicht geschwächt wird», sagt eine Sprecherin. Wichtig sei auch, dass Familienangehörige zusammenbleiben können.

Keller und Szöllösy riefen dazu auf, dass sich Private, die Geflüchtete unterbringen wollen, über die offiziellen Kanäle melden sollten. Szöllösy reagierte zudem auf die Kritik von Gastfamilien, die sich im Stich gelassen füllen. «Es tut uns leid. Wir sind unaufhörlich daran, die Prozesse zu verbessern.»