Westschweizer Zeitung druckt Rede von Putin ab: Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen?
Die Leserinnen und Leser der Freiburger Zeitung «La Liberté» dürften nicht schlecht gestaunt haben, als sie in der Samstagsausgabe auf die Seite 10 blätterten. Dort ist ganzseitig eine Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin abgedruckt. Jenem Mann also, der seine Truppen in die Ukraine einmarschieren liess und damit einen Krieg von internationaler Tragweite auslöste.
Die Rede datiert vom 24. Februar dieses Jahres. Putin rechtfertigte und startete an diesem Tag den russischen Angriff auf die Ukraine. In seiner Rede warf er dem Westen «Lügen und Heuchelei» vor, weil das Nato-Militärbündnis das Versprechen gebrochen habe, sich nicht gegen Osten zu erweitern. Auf ursprünglich russischem Territorium werde ein «Anti-Russland» kreiert, heisst es im abgedruckten Text weiter.
Urheber des Inserats will Meinungsbildung fördern
Dass solche Propaganda ganzseitig in einer Schweizer Zeitung publiziert wird, ist höchst ungewöhnlich. Verantwortlich dafür ist der Freiburger Anwalt Jean-Pierre Egger. Er kaufte sich die Inseratfläche in der Zeitung, um die Rede Putins der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Gegenüber der «Tribune de Genève» begründete Jean-Pierre Egger sein Engagement wie folgt: «Die Ansprache des Oberhaupts eines grossen Landes ist eine Meinung, die man kennen muss. Es ist wie bei einer Stereoanlage: Man braucht zwei Lautsprecher, um seine eigene Meinung zu bilden». Auch ein Richter müsse jede Partei anhören, selbst wenn diese noch so schwerer Verbrechen beschuldigt werde.
In die Kritik gerät derweil die Zeitung «La Liberté», welche die Publikation des Inserats billigte. So bezeichnet beispielsweise Tamedia-Westschweiz-Korrespondent Philippe Reichen den Entscheid als «unfassbar», wie er auf Twitter schreibt.
«La Liberté» verurteilt russischen Einmarsch
Die Freiburger Tageszeitung mit einer Auflage von über 38 000 Exemplaren nahm bereits in der Samstagsausgabe ausführlich Stellung zur Frage, wieso Putins Rede abgedruckt wurde.
Chefredaktor François Mauron stellte dabei zu Beginn seines Artikels klar, dass er die russische Invasion der Ukraine «aufs Schärfste» verurteile. Der Monolog von Putin lasse ihn sprachlos zurück, hielt François Mauron weiter fest. Deshalb habe sich seine Zeitung lange mit der Frage beschäftigt, ob das Inserat publiziert werden soll oder nicht.
Dabei sei festgestellt worden, dass der Text «in keiner Weise» gegen Schweizer Gesetze verstosse, weil er weder Völkermorde leugne noch rassistisch sei, so der Chefredaktor. Das Inserat alleine aufgrund des propagandistischen Inhalts abzulehnen, wäre «ein Verstoss gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung» und würde die Tür für eine selektive Behandlung aller Arten von Werbung öffnen. Die Achtung des Rechts auf freie Meinungsäusserung sei derzeit umso wichtiger, als dass die Behörden in Russland gerade die letzten unabhängigen Medien zensieren würden, betonte François Mauron.
Gut möglich ist derweil, dass sich auch andere Schweizer Zeitungen bald mit der Frage beschäftigen müssen, ob sie die Rede von Putin abdrucken wollen oder nicht. Denn Jean-Pierre Egger platzierte in seinem Inserat einen Spendenaufruf, um weitere Publikationen in anderen Zeitungen finanzieren zu können.