Statt Poulet sollen Erbsen auf den Teller: Wie der Bund mit der neuen Klimastrategie den Fleischkonsum reduzieren will
So richtig sagen will es an diesem Dienstagvormittag niemand. Stattdessen sprechen die Verantwortlichen von einer «Stärkung der pflanzlichen Produktion», einer «Fokussierung der Nutztierproduktion auf das Dauergrünland» und von der «Feed-Food-Competition». Doch eigentlich ist die Botschaft klar: Reduzieren Sie Ihren Fleischkonsum!
Das zumindest geht aus der neuen «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» hervor. Das 92-seitige Dokument zeigt auf, wie das Ernährungssystem nachhaltiger gestaltet werden kann. Dazu haben sich die drei Bundesämter – jenes für Landwirtschaft, jenes für Umwelt und jenes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen – mit diversen Akteuren aus der Nahrungsmittelbranche zusammengetan und über mehrere Jahre hinweg eine Strategie erarbeitet. Sie zeigt auf, wo Treibhausgasemissionen eingespart werden können und wie sich die Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels anpassen kann.
Einen grossen Hebel erkennen die Beteiligten unter anderem in der Tierhaltung. Konkret heisst es: «Ein grosser Teil des Treibhausgas-Fussabdrucks wird durch die Ernährung verursacht. Dabei sind die Emissionen in der Produktionsphase am bedeutendsten, insbesondere in der Tierhaltung.» Und weiter: «Eine Vielzahl an Studien kommt zum Schluss, dass eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Lebensmitteln ist und weniger Fleisch enthält, sowohl der Gesundheit als auch der Umwelt zugutekommt.» Schliesslich sei die pflanzliche Produktion klimafreundlicher als die tierische, «weil sie in der Regel weniger Treibhausgasemissionen verursacht».
Selbstversorgungsgrad soll mindestens 50 Prozent betragen
Gemäss Agroscope ist die Landwirtschaft für rund 16 Prozent der schweizweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein Grossteil der durch sie verursachten Emissionen ist auf die Verdauung der Nutztiere und das dabei entstehende Methan zurückzuführen. Werden auch Verarbeitung, Handel und Konsum in die Berechnung miteinbezogen, liegt der Anteil deutlich höher. Demnach ist in einem Schweizer Haushalt der Lebensmittelkonsum für etwa einen Viertel des ökologischen Fussabdrucks verantwortlich.
Diese Werte sollen stark reduziert werden, wie die in der Strategie verankerten Ziele verdeutlichen: Bis 2050 soll der Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung pro Kopf um zwei Drittel zurückgehen – und zwar im Vergleich zu 2020. Zudem sollen die gesamten Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft im Inland gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent verringert werden. Gleichzeitig soll ein Selbstversorgungsgrad von mindestens 50 Prozent beibehalten werden.
Zu diesem Zweck will der Bund unter anderem bei der Nutztierhaltung ansetzen, wie aus den 42 beschriebenen Massnahmen in der Klimastrategie hervorgeht. Heute werden auf rund 60 Prozent der Ackerfläche Futtermittel für die Nutztiere produziert. Künftig – so die Vision des Bundes – sollen auf Ackerflächen in erster Linie «pflanzliche Produkte für die direkte menschliche Ernährung» angebaut werden, während das Grasland ausserhalb der Ackerfläche für die Fütterung der Nutztiere genutzt werden soll. Dabei sei allerdings «darauf zu achten, dass sich Konsum- und Produktionsmuster synchron verändern». Heisst: Parallel zur Reduktion der Tierbestände muss der Fleischkonsum zurückgehen.
Hierzu verweist Michael Beer, Vizedirektor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, auf die Lebensmittelpyramide: «Wenn sich alle Menschen in der Schweiz an die Empfehlungen der Ernährungspyramide halten würden, könnte man die Hälfte der Umweltauswirkungen der Ernährung reduzieren.» Ein im Strategiepapier aufgeführter Vergleich des tatsächlichen Konsumverhaltens mit den Empfehlungen zeigt: «Insbesondere der Fleischkonsum ist zu hoch, während Milchprodukte, Hülsenfrüchte sowie Früchte und Gemüse zu wenig gegessen werden.»
«Weder Vorschriften noch erzieherische Massnahmen»
Ebendieser Fokus auf die tierische Produktion wird vom Schweizerischen Bauernverband kritisiert. Man erachte die Bemühungen, die tierische Produktion einzuschränken und den Konsum zu lenken, als «problematisch», schreibt der Verband in einer Mitteilung. Deren Wirkung werde überschätzt. Zudem seien die «Marktrealitäten» zu anerkennen: «Die Konsumentinnen und Konsumenten fragen tierische Produkte nach.» Der SBV lehne es deshalb ab, die einheimische Tierhaltung über politische Steuerung zu schwächen und die Wahlfreiheit beim Konsum einzuschränken.
Diese Kritik lässt Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, so nicht gelten. Die Strategie beinhalte «weder Vorschriften noch erzieherische Massnahmen». Stattdessen setze man auf Selbstverantwortung, Sensibilisierung und Motivation.
Das wiederum sorgt für Kritik bei den Umweltschutzorganisationen und kleineren Bauernverbänden. In einer gemeinsamen Mitteilung fordern Kleinbauernvereinigung, Vision Landwirtschaft und Slow Food Schweiz «mutigere und griffige Massnahmen» – etwa Lenkungsabgaben, nachhaltige Zölle oder konkrete Bestrebungen hin zu mehr Kostenwahrheit. Und auch der WWF bezeichnet die Zielsetzung als «zu wenig ambitioniert». Zudem brauche es einen politischen Willen, «die vorgeschlagenen Massnahmen auch wirklich anzugehen».