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50’000 Unternehmen könnten betroffen sein: Sind Schweizer KMU genügend vorbereitet?

Nur 13 Prozent der Klein- und Mittelbetriebe veröffentlichen aktuell einen Nachhaltigkeitsbericht. Es mangelt ihnen an Ressourcen dazu. Doch weil der Druck vonseiten der EU steigt, Standards zu erfüllen, muss die Schweiz jetzt aktiv werden.

Während umfassende Regulierungen zur Nachhaltigkeit für grosse Konzerne existieren, erhalten Klein- und Mittelbetriebe oft weniger Aufmerksamkeit, obwohl sie für die Schweizer Wirtschaft entscheidend sind.

Der Bundesrat hat kürzlich festgestellt, dass aufgrund neuer EU- und Schweizer Vorschriften Tausende hiesiger Unternehmen zum ersten Mal umfangreiche Daten sammeln müssen, um die Anforderungen ihrer grösseren Geschäftspartner zu erfüllen. Es müssen jetzt einfache Berichtsregeln für KMU eingeführt werden, die mit einem Anerkennungssystem verbunden sind. Damit wird der Aufwand für sie attraktiver gestaltet und ihre Wettbewerbsfähigkeit gestärkt.

Klein- und Mittelbetriebe unterstützen statt wegsehen

Die weitverbreitete Meinung, dass eine KMU-freundliche Politik diese lediglich vor Nachhaltigkeitsvorschriften ausnimmt, verkennt einen wichtigen Punkt: Kleine und mittelgrosse Unternehmen müssen sich bereits jetzt mit gestiegenen Marktanforderungen bezüglich Nachhaltigkeit zurechtfinden. Mit dem Grünen Deal der EU werden in Zukunft noch mehr Anfragen nach Nachhaltigkeitsdaten auf Schweizer Firmen zukommen.

Schätzungen zufolge könnten bis zu 50’000 Unternehmen in der Schweiz indirekt von den europäischen Sorgfalts- und Nachhaltigkeitsberichtspflichten betroffen sein. Während die EU bereits Massnahmen zur Unterstützung ihrer Unternehmen ergreift, schaut die Schweiz untätig zu.

Trotz ihrer Agilität und Innovationskraft stehen Klein- und Mittelbetriebe vor erheblichen Hürden bei der Umsetzung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG). Eine Umfrage von Swiss GAAP FER zeigt ernüchternde Zahlen: Nur rund 13 Prozent der Schweizer KMU veröffentlichen aktuell einen Nachhaltigkeitsbericht. Die Gründe sind klar – der Mangel an Ressourcen wird von den meisten befragten Unternehmen als das Hauptproblem genannt.

Dabei würde die Förderung der Nachhaltigkeit eine enorme Chance für die Schweizer Wirtschaft bieten. Klein- und Mittelbetriebe, die nachhaltige Praktiken übernehmen und soziales, menschliches und Umweltkapital neben finanziellem Kapital aufbauen, sind bei Investoren, Konsumenten, Mitarbeitern und Kunden besser aufgestellt. Sie haben erleichterten Zugang zu Finanzmitteln, geniessen höhere Kundenloyalität, stärkere Beziehungen zu Stakeholdern und sind besser auf neue Marktchancen vorbereitet.

Die Politik kann eine Schlüsselrolle spielen

Ein Vorschlag wurde von über 500 Unternehmen, 60 Privatsektor-Botschaftern und mehreren Organisationen, darunter Swiss Leaders, Global Reporting Initiative und ECOnGOOD Schweiz, vorgelegt. Die Allianz für nachhaltige Unternehmen schlägt vor, den Status «nachhaltiges Unternehmen» zu schaffen, den Unternehmen freiwillig erlangen können. Um sich zu qualifizieren, muss ein Unternehmen ökologische, soziale und Governance-Verantwortung nachweisen, den Unternehmenszweck ändern und einen Aktionsplan nach internationalen Standards mit messbaren Zielen entwickeln.

Die Kriterien für die Nachhaltigkeit orientieren sich an europäischen und internationalen Standards. Die Anforderungen würden aber an die Grösse und Ressourcen der kleinen und mittelgrossen Unternehmen angepasst. Der Fortschritt würde jährlich in einem öffentlichen, nicht finanziellen Bericht offengelegt, der von unabhängigen Prüfern verifiziert wird. Ähnliche Rahmenwerke existieren bereits in Frankreich, Italien, Spanien, Luxemburg und Kanada.

Bei vielen kleinen und mittelgrossen Unternehmen herrscht Unsicherheit darüber, welche konkreten Schritte sie unternehmen müssen. Daher ist die Einführung eines unterstützenden rechtlichen Rahmens für sie zielführend.

Im August wird die Rechtskommission des Nationalrates eine parlamentarische Initiative prüfen, die den Weg für ein detailliertes Gesetzgebungsprojekt zur Einführung eines solchen Rechtsstatus und ein Begleitprogramm ebnen könnte. Diese Initiative, die einem bereits angenommenen Postulat des Ständerats folgt, wird die KMU im Hinblick auf die zukünftigen wirtschaftlichen Herausforderungen stärken.

*Zu den Gastautoren: André Hoffmann ist Vizepräsident von Roche; Patricia von Falkenstein ist Juristin, Präsidentin der LDP Basel-Stadt und seit 2021 Mitglied des Nationalrates.