Sie sind hier: Home > Obergericht > «Gravierender Mangel»: Scharfer Rüffel fürs Bezirksgericht Aarau

«Gravierender Mangel»: Scharfer Rüffel fürs Bezirksgericht Aarau

Ein Afghane soll mit einem erst 14 Jahre alten Mädchen Sex gehabt haben. Dafür wurde er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Obergericht hebt nun das Urteil des Bezirksgerichts Aarau wegen Verfahrensfehlern auf.

Im Mai stand ein heute 20 Jahre alter Afghane vor Bezirksgericht Aarau. Er war angeklagt wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind. Das Mädchen war erst 14 Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine bedingte Freiheitsstrafe von 12 Monaten, 3000 Franken Busse und einen Landesverweis von 7 Jahren beantragt. Verurteilt worden war der Mann schliesslich zu acht Monaten bedingter Haft und fünf Jahren Landesverweis.

Dagegen zog der Mann vor Obergericht. Dieses kritisiert in seinem kürzlich publizierten Urteil scharf, dass vor dem Bezirksgericht nur der Beschuldigte einvernommen wurde, nicht aber das Opfer oder weitere Zeugen. Das sei «ein gravierender Mangel», das Bezirksgericht habe eine seiner Kernaufgaben «vollumfänglich negiert».

Den Aussagen des Opfers komme eine zentrale Bedeutung zu. Es handle sich um ein «Vier-Augen-Delikt», das eine erhebliche Tatschwere aufweise. «In solchen Situationen, in denen es in entscheidender Weise auf die (belastenden) Aussagen von Zeugen oder Auskunftspersonen ankommt, ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die unmittelbare Wahrnehmung der aussagenden Personen durch das Sachgericht grundsätzlich unverzichtbar», so das Obergericht. «Fehlt es an einer gerichtlichen Einvernahme, beruht die Aussagewürdigung auf einer unvollständigen Grundlage.»

Das gelte auch dann, wenn frühere Einvernahmen durch Staatsanwaltschaft oder Polizei auf Video aufgezeichnet worden seien. Das Bezirksgericht hätte sich selber einen Eindruck vom Opfer, von ihren Aussagen und ihrem Aussageverhalten machen müssen – auch, weil der Beschuldigte behauptet, er habe gedacht, sie sei schon 16 und mit ihm in einer Liebesbeziehung.

Zudem hätte die Schwester des Opfers, die das Strafverfahren mit ihrer Meldung an Kantonale Notrufzentrale überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, befragt werden sollen, hält das Obergericht fest. Die Schwester hatte offenbar gemeldet, das Opfer sei vergewaltigt worden, das ist nun aber nicht angeklagt.

Das Bezirksgericht muss nun die Verhandlung nochmals durchführen. Dieses Mal mit Einvernahmen.