Sie sind hier: Home > Schweizer Armee > Richter zum Fluglotsen: «Sie wollten eigentlich Leben retten» – dennoch bleibt er für den Tod eines Kampfjetpiloten verantwortlich

Richter zum Fluglotsen: «Sie wollten eigentlich Leben retten» – dennoch bleibt er für den Tod eines Kampfjetpiloten verantwortlich

Eine F/A-18 stürzte im Sustenmassiv ab. Ein 27-jähriger Pilot starb. Jetzt klärt die Militärjustiz die Schuldfrage. Doch was lernt die Luftwaffe daraus?

Die Armee nimmt das Aargauer Obergericht ein. Hier tagt das Militärappellationsgericht. Luftwaffenoffiziere und Vertreter der Flugsicherungsfirma Skyguide gruppieren sich vor dem Saal. Die Anspannung steigt. Das Gericht wird ein Urteil verkünden, das für den Umgang mit der Sicherheit in der Luft von Bedeutung sein wird.

Worum geht es?

Am 29. August 2016 zerschellte ein Kampfjet der Schweizer Armee im Sustenmassiv. Der 27-jährige Pilot war auf der Stelle tot. Wer ist schuld? Die Militärjustiz benötigte siebeneinhalb Jahre und 6000 Seiten Akten, um eine erste Antwort zu finden.

Vor einem Jahr verurteilte sie den im Einsatz stehenden Fluglotsen wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Er habe den Tod des Piloten zu verantworten, weil er ihm nach einem Abbruch der Radarverbindung zwischen den Jets eine zu tiefe Flughöhe zugewiesen habe. Den vorausfliegenden Militärpiloten sprach das Gericht hingegen frei. Er startete zwar zu steil, beging damit aber keine Sorgfaltspflichtverletzung.

Der militärische Staatsanwalt zog das Urteil weiter, er fordert für beide Angeklagten bedingte Geldstrafen von 90 Tagessätzen. Der Lotse hingegen kämpft für einen Freispruch.

Warum ist das wichtig?

In hundert Jahren verzeichnete die Luftwaffe 350 Unfalltote. In jüngster Zeit sind Todesfälle seltener geworden. Deshalb gilt es aus jedem Unfall etwas zu lernen.

Tatort Meiringen: Hier startete die F/A-18, die am Sustenmassiv zerschellte.
Bild: André Scheidegger/VBS

In der Fliegerei sind Abstürze meistens auf eine Verkettung vieler unglücklicher Umstände zurückzuführen. So auch in diesem Fall. Der Verteidiger des Lotsen zählte 16 Faktoren auf und sprach von einem Systemversagen. Wenn er dennoch am Ende des Strafverfahrens als alleiniger Schuldiger für den Tod eines jungen Menschen verantwortlich gemacht wird, verändert sich dadurch das Berufsbild des Flugverkehrsleiters.

Wie lautet das Urteil?

Das Militärappellationsgericht benötigt nur einen Morgen lang Zeit, um den Fall zu beurteilen. Dann verkündet es seinen Entscheid:

Der 42-jährigeLotse istschuldigwegen fahrlässiger Tötung. In Nebenpunkten spricht ihn das Gericht frei. Er erhält eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen und muss Verfahrenskosten von 40’000 Franken übernehmen.

Der 41-jährigePilot wird erneut freigesprochen.Das Urteil bleibt gleich.

So präsentiert sich das Militärappellationsgericht vor der Verhandlung. Der Stuhl steht für die Angeklagten bereit.
Bild: Andreas Maurer

Der Richter erklärt die Pflicht des Fluglotsen: Er musste den Jets unterschiedliche Flughöhen zuweisen, um sie zu trennen und eine Kollision zu verhindern. Dazu gehöre, eine Mindesthöhe zu berücksichtigen, um eine Kollision mit dem Terrain zu vermeiden.

Er hätte von Anfang an eine höhere Flughöhe angeben müssen. Er hätte aber auch zuerst eine tiefere Zahl anordnen können und in den Sekunden danach den Kampfjet wieder steigen lassen.

Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung setzt Kausalität voraus: Der falsche Funkspruch muss zum Tod des Piloten geführt haben. Wer mit der angeordneten Höhe fliegt, steuert gemäss dem Gericht in den Tod.

Nach dem fatalen Funkspruch verstrichen 58 Sekunden, bis das Flugzeug am Vorder Tierberg zerschellte. Hätte die Zentrale in dieser Zeit das Problem lösen können? Der Gerichtspräsident meint dazu, dass der Lotse das Problem früher hätte melden sollen.

Der Richter spricht aber auch von einer Verkettung unglücklicher Umstände und erwähnt die schwierigen Arbeitsbedingungen des Fluglotsen im veralteten Radarraum. Hinzu komme der Stress und die fehlende Ausbildung für das aufgetauchte Radarproblem. Und der Richter lobt die Absicht des Lotsen: «Sie wollten eigentlich Leben retten.» All diese Punkte zählt er auf, um die Schuld zu relativieren. Deshalb fällt das Urteil relativ mild aus.

Der Pilot sei zwar zu steil gestartet, doch damit habe er den Tod seines Kollegen nicht kausal verursacht.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Der Fluglotse verlässt den Saal mit wässrigen Augen. Er läuft aber nicht davon, sondern bleibt im Gang des Gerichts stehen und nimmt Umarmungen entgegen. Ihm fehlen die Worte. Auch der Sicherheitschef von Skyguide tröstet ihn.

Die militärische Staatsanwalt äussert sich zufrieden zum Urteil und gibt an, er könne es nachvollziehen. Es sei ein wichtiger Schritt, um Rechtsfinden zu finden.

Hinter ihm steht der Vater des gestorbenen Piloten. Er sagt: «Für mich wendet das Gericht mit dem Urteil eine Seite, doch das Buch ist nicht zu Ende.»

Was hat die Luftwaffe gelernt?

Direkt nach dem Unfall erhöhte die Luftwaffe den Mindestabstand beim gestaffelten Start zweier Jets: von 15 bis 20 Sekunden auf mindestens 20 Sekunden. Bei einer Geschwindigkeit von 600 Stundenkilometer machen die fünf Sekunden einen grossen Unterschied aus. Und bei einem Radarabbruch muss der vorausfliegende Jet nun sofort nach oben ausweichen, um Platz zu schaffen.

Umstritten ist, ob die Technologie angepasst werden muss. Die militärischen Untersuchungsrichter stellten schon früh zwei Forderungen auf.

Die Luftwaffe solle ein neues Rundsuchradar mit 3D-Darstellung der Abflüge beschaffen. Beim Unfall sass er vor einer uralten Anlage.

Der Lotse im Radarraum solle direkte Telefonverbindungen zu den Verantwortlichen in der Zentrale in Dübendorf erhalten. Beim Unfall verlor er Zeit durch einen Ringruf.

Eine Recherche von CH Media zeigte, dass beide Forderungen bis heute nicht erfüllt sind.Die Flugsicherungsfirma Skyguide bestätigte dies auf Anfrage. Die Luftwaffe reagierte darauf mit einer«Richtigstellung», in der sie seltsamerweise aber die wichtigsten Fakten bestätigte. Der Fall hat einen Kampf um die Deutungshoheit der Flugsicherheit ausgelöst.

Das Radargerät Quadradar: Damit arbeitete der Fluglotse beim Unfall. Heute steht es im Fliegermuseum in Dübendorf.
Bild: Andreas Maurer

In der zivilen Fliegerei gilt: «Safety first». Bei der Luftwaffe gilt: «Mission first – Safety always». Skyguide arbeitet für beide Bereiche und gerät dabei in einen Zielkonflikt.