Er war erledigt und ist bald wieder Präsident: Das unglaubliche Comeback des Donald J. Trump
1. Akt: Die Selbstzerstörung
Donald Trumps Abwahl im Jahr 2020 und der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 markieren den Tiefpunkt seiner Polit-Karriere – und für manche Beobachter deren Ende. Trump ist nach diesen Ereignissen für viele erledigt und gilt als Persona non grata. Der republikanische Fraktionschef im Senat, Mitch McConnell, gibt Trump die Schuld an der Eskalation vom 6. Januar und distanziert sich öffentlich von ihm. Lindsey Graham, ein enger Trump-Verbündeter, sagt: «Genug ist genug.»
Eine Umfrage von Gallup ergibt im Januar 2021, dass Trumps Beliebtheitswerte auf nur noch 34 Prozent gefallen sind – der niedrigste Stand seiner gesamten Amtszeit. Angesichts sich abzeichnender Strafprozesse geht man davon aus, dass die Zeit von Donald Trump als Anführer der Republikaner bald vorbei sein wird. Das Magazin «The Atlantic» kommentiert: «Trump ist zu einer Belastung geworden. Seine Marke ist toxisch, und sein Einfluss schwindet rapide.»
2. Akt: Die Geiselnahme der Partei
Es kommt anders. In seiner Karriere als Geschäftsmann, TV-Star und Politiker hat Trump eine Lektion gelernt: Beharrlichkeit zahlt sich aus. Deshalb taucht er nach dem blamablen Ende seiner Präsidentschaft nur einige wenige Tage ab. Dann beginnt er, im politischen Exil in Florida, Pläne für ein Comeback zu schmieden. Er nimmt seine Partei in Geiselhaft, und sie lässt das mit sich machen.
Gleich zu Beginn hilft ihm dabei Kevin McCarthy, die Nummer eins der Republikaner im Repräsentantenhaus. Noch im Januar 2021 besucht er Trump in seinem Anwesen Mar-a-Lago – obwohl viele seiner Parteifreunde sich einige Tage zuvor doch ausdrücklich dafür ausgesprochen hatten, Trump zu verstossen.
Ein Foto verewigt dieses Treffen. Und bald müssen die Republikaner zur Kenntnis nehmen, dass sie Trump nicht loswerden. Dabei profitiert er auch, absurderweise, von seinen Verfehlungen. Die strafrechtlichen Anklagen, die gegen ihn im Zusammenhang mit der Wahlbeeinflussung im Jahr 2020 erhoben werden, mehren seine Popularität im rechten Amerika. Trump nutzt dies geschickt aus und inszeniert sich in Gerichtsgebäuden von New York bis Florida als Opfer einer politischen Hexenjagd.
Selbst politische Gegner, die ihn gerne als Kopf der Republikaner beerben möchten, müssen sich deshalb mit ihm solidarisieren. Die parteiinternen Vorwahlen zu Beginn des Jahres 2024 überlebt Trump weitgehend ungeschoren. Ron DeSantis, der Mann, der anfangs als sein schärfster Konkurrent galt, erlebt bereits in der ersten Wahl eine peinliche Niederlage. Der Weg ist damit frei für eine dritte Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump.
3. Akt: Das Attentat
Am 13. Juli 2024 wird Donald Trump für viele unsterblich. Eine Gewehrkugel streift sein rechtes Ohr, Sicherheitsleute reissen ihn zu Boden. Sie wollen ihn sofort aus der tödlichen Gefahr in Sicherheit geleiten – doch Trump hat andere Pläne. Er erfasst den Moment in seiner ganzen multimedialen Wirkungsmacht. Der Ex-Präsident steht auf, ballt die Faust und ruft mit blutverschmiertem Gesicht in die schockierte Menge: «Kämpft, kämpft, kämpft!» Fotografen und Kameraleute aller grossen Medienunternehmen halten den Moment fest.
Selbst Amerikanerinnen und Amerikaner, die Trump ablehnend gegenüberstehen, müssen anerkennen: Der Mann ist hart im Nehmen und hat Courage. Und der Kontrast zum altersschwachen Kontrahenten, der damals noch Joe Biden heisst, wird jetzt überdeutlich. Biden stolpert beim Treppensteigen, und einige Wochen davor hat er im TV-Duell mit Trump eine blamable Figur abgegeben.
Für seine treuesten Fans wird Trump nach dem Mordversuch in Butler, Pennsylvania, zur quasireligiösen Figur, zum Heilsbringer einer geschundenen Nation. Der grosse Parteitag der Republikaner nur wenige Tage später gleicht einer Heiligsprechung. Manch ein Jünger klebt sich wie der Angeschossene ein Pflaster ans Ohr. Der Auserwählte selbst sagt: Gott habe ihn am Leben gelassen, um das Land zu retten.
Für wenige Tage scheint sich unverhofft die Chance aufzutun, dass ausgerechnet Trump zum Versöhner der zerrissenen amerikanischen Gesellschaft werden könnte. Auch seine politischen Rivalen verurteilten den Anschlag. Doch ausgestreckte Hände sind nicht Trumps Ding. Nach einer kurzen Phase der Zurückhaltung geht er direkt wieder zum Angriff über, und zum Schluss seines Wahlkampfs ist seine Rhetorik radikaler und brutaler denn je.
4. Akt: Eine neue Gegnerin
Das Attentat trägt Donald Trump in neue Umfragesphären, derweil verlieren die Demokraten ihren Glauben an Joe Biden. Er wird von Prominenten und von führenden Demokraten zum Aufgeben gedrängt. Am 21. Juli 2024, nur eine Woche nach dem Attentat auf Trump, gibt der 81-jährige Präsident seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit bekannt. In seiner Ansprache betont er die Notwendigkeit, den Stab an eine neue Generation weiterzugeben, um die Demokratie zu bewahren. Als Retterin hat er seine Vizepräsidentin Kamala Harris auserkoren.
Ihre Umfragewerte waren während der ganzen Amtszeit schlecht, doch ihre Nomination löst sofort eine Welle der Euphorie innerhalb der Partei aus. Die Erleichterung ist riesig, dass Biden abtritt und das Terrain einer 59-Jährigen überlässt, die als erste Frau und erste Person afroamerikanischer und südasiatischer Abstammung ins Weisse Haus einziehen soll.
Der Parteitag der Demokraten ist geprägt von Aufbruchsstimmung und Begeisterung, plötzlich scheint ein Sieg realistisch zu sein. Trump wird dadurch auf dem falschen Fuss erwischt. Auf einmal ist nicht mehr sein Gegner der «Alte», sondern er selbst. Es kränkt ihn, dass Harris an Wahlkampfveranstaltungen riesige Stadien füllt – etwas, das nach seinem Selbstverständnis alleine ihm vorbehalten ist.
Im TV-Duell mit Harris ist Trump mürrisch und rhetorisch schwächer als Harris, deren Lachen mehr und mehr zu einem positiven Markenzeichen wird. Trump erzählt Unsinn, etwa dass Immigranten die Haustiere der Einheimischen essen würden. Das glauben ihm nicht einmal seine Anhänger. Aber sie lassen es ihm durchgehen, die Umfragewerte sinken nur kurz, danach holt Trump wieder auf und liegt wenige Wochen vor der Wahl praktisch gleichauf mit Harris. Alle gehen von einem sehr knappen Ausgang aus. Wieder ein Irrtum.
5. Akt: Der Plan geht auf
Trump wird also überrumpelt von der neuen, jüngeren Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Dann erinnert ihn sein Wahlkampfteam – zuvorderst Susie Wiles und Chris LaCivita – an seine Stärken. Er kann Wahlkampf machen gegen eine der unbeliebtesten Regierungen in der neueren Geschichte der USA. Trump passt sich an. Und macht fortan Kamala Harris für sämtliche Probleme im Land verantwortlich: die gestiegenen Lebensmittelpreise, die desaströse Einwanderungspolitik oder das Blutvergiessen in der Ukraine und im Nahen Osten.
Das gelingt ihm nicht immer. Trump verliert in der Schlussphase des Wahlkampfs häufig den Faden. Dann spricht er über Themen, die eigentlich niemand interessieren. Aber der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ist dies egal – viele Amerikaner sind derart wütend auf Präsident Joe Biden, dass für sie die offensichtlichen charakterlichen Mängel von Donald Trump unbedeutend sind. Viel schwerer wiegt für sie das Gefühl, dass es ihnen während Trumps erster Amtszeit besser ging als nach dreieinhalb Jahren Biden/Harris.
Und dann passiert am Dienstag, was nur wenige Beobachter für möglich hielten: Trump gewinnt im dritten Anlauf nicht nur die wichtigsten politisch umkämpften Bundesstaaten. Im Duell gegen Harris erkämpft er sich auch landesweit eine Stimmenmehrheit. Acht Jahre zuvor musste er sich beim «popular vote» noch geschlagen geben, Hillary Clinton distanzierte ihn um drei Millionen Stimmen.
Für Trump ist Siegen ein Selbstzweck, wenn nicht der Sinn des Lebens. Der Doppelsieg ist für ihn die grösstmögliche Genugtuung, das kann er an der Wahlparty nicht verhehlen. Er markiert das dramatische Ende eines beispiellosen Wahlkampfs.