«Ohne dicke Haut geht es nicht»: USA-Expertin sagt, worauf es für Kamala Harris jetzt ankommt
Joe Biden hat seine Kandidatur zurückgezogen. Bricht jetzt ein schmutziger Machtkampf bei den Demokraten um seine Nachfolge aus?
Claudia Franziska Brühwiler:Dafür gibt es zurzeit keine Anzeichen. Der Präsident hat der Partei ein Stück weit einen Gefallen getan, indem er sich klar für seine Vizepräsidentin ausgesprochen hat. Damit hat er nicht nur ihr gegenüber sein Vertrauen ausgedrückt, sondern auch der Partei das Signal gesendet, was der beste Weg vorwärts ist. Diese Meinung hat sich aber schon länger abgezeichnet. Seit der katastrophalen Debatte im Juni ist aus vielen Ecken zu hören, dass Kamala Harris die beste Alternative wäre. Natürlich bedeutet das nicht, dass es keine Kritik an ihr gibt. Das gehört zum Wahlkampf und ist nichts neues. Ohne dicke Haut geht es nun mal nicht in den USA.
Grosse Namen, allen voran Barack Obama, haben sich nicht oder noch nicht für Harris ausgesprochen. Wieso?
Es kann gut sein, dass Barack Obama sich erst mal nicht für Kamala Harris ausgesprochen hat, weil er den Moment Joe Biden widmen wollte. Bevor er für seine Vizepräsidentin scharrt, wollte er noch den Präsidenten würdigen. Biden musste eine Entscheidung treffen, die er nicht treffen wollte, das gilt es zu würdigen. Ausserdem will man auch nicht den Eindruck erwecken, dass es sich bei der Nachfolgesuche um ein abgekartetes Spiel handelt. Selbst Kamala Harris sagte in ihrem Statement, sie wolle sich die demokratische Nominierung verdienen. Das ist eine gute Haltung, auch wenn die Entscheidung schon geritzt scheint. Bisher hat sich noch niemand als Herausforderer positioniert.
Wird es den Demokraten gelingen, sich hinter einem Kandidaten oder einer Kandidatin zu vereinen?
Aktuell sieht die Lage gut aus. Die Demokraten haben in den letzten Jahren eine sehr geeinte republikanische Partei präsentiert bekommen. Sie selbst waren in dieser Zeit zermürbt. Es ist zu vermuten, dass jetzt das Bedürfnis vorherrscht, eine geeinte Front zu bieten, um dem republikanischen Selbstbewusstsein schnell entgegentreten zu können und zuversichtlich ins Rennen gegen Donald Trump und J. D. Vance zu gehen. Dies auch dank der virtuellen Abstimmung der Delegierten am 7. August, also noch vor dem Parteitag Mitte August. Ich bezweifle, dass man wie in alten Zeiten ohne einen Kandidaten an den Parteitag gehen wird, das wäre wesentlich chaotischer.
Kamala Harris scheint aktuell die besten Chancen zu haben. Würde sie die Wahl gewinnen, wäre sie die erste Präsidentin der USA. An Spenden scheint es zurzeit auch nicht zu fehlen. Vorausgesetzt, sie wird nominiert, was muss sie jetzt tun, um gegen Trump zu gewinnen?
Im Moment liegen die Demokraten in Umfragen hinter den Republikanern. Allerdings ist es noch sehr früh, um Gewicht auf diese Umfragen zu legen. Es wird jetzt darauf ankommen, wie die Wähler vor allem in Swing-States auf Kamala Harris als Kandidatin reagieren. Harris wird einerseits die Bilanz der aktuellen Regierung verteidigen müssen, weil sie mit dieser verbunden ist. Andererseits wird sie auch ihre Vision aufbauen und eigene Lösungen für Probleme finden müssen. Die Frage der Wirtschaft wird dabei alles dominieren. Das Leben für Amerikanerinnen und Amerikaner ist zurzeit einfach zu teuer.
Die Inhalte der Kampagne der Demokraten gehen bei diesem Thema zurzeit nicht bis zum Kern. Abtreibung und die Rettung der Demokratie sind bei den Wählerinnen und Wählern zurzeit nicht das dominierende Thema. In den Swing-States haben die Leute andere Sorgen. Migration wird ebenfalls eine Rolle spielen. Harris wird zudem unter erhöhter Beobachtung stehen, weil ihr letzter Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2019 nicht gut lief. Was hat sich seither verändert? Kann sie das überhaupt? Auch gibt es Berichte über ihren schwierigen Arbeitsstil. Sie wird jetzt zeigen müssen, dass sie die Zeit seither genutzt hat, um sich weiterzuentwickeln.
Wer wäre der geeignetste Vize-Kandidat?
Ich glaube, es wird gut sein, einen Mann aus einem umkämpften Staat zu nehmen. Vielleicht einen von den beiden viel diskutierten Gouverneuren Josh Shapiro aus Pennsylvania oder Roy Cooper aus North Carolina. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich, dass man sich Mark Kelly genauer anschauen sollte. Gerade, wenn man an J. D. Vance als Gegner denkt. Kelly ist Senator für den umkämpften Staat Arizona und verkörpert den «All American Dream» mindestens so gut wie Vance. Er ist – wie auch sein Zwillingsbruder – ehemaliger Astronaut und leistete als Pilot Dienst im ersten Golfkrieg (Befreiung von Kuwait). Seine Frau Gabby Giffords, ehemalige Kongressabgeordnete, trat nach einem Attentat von ihrem Amt zurück. Als demokratischer Senator in einem Swing-State verkörpert er den nicht ganz so progressiven Flügel der Partei und könnte – alleine schon wegen seiner Geschichte – auch eine andere Wählerschaft ansprechen als Kamala Harris.