Sie sind hier: Home > US-Wahlen > «Wir haben uns lange genug versteckt»: Nevada könnte zum Albtraum für die Demokraten werden – und an Trump fallen

«Wir haben uns lange genug versteckt»: Nevada könnte zum Albtraum für die Demokraten werden – und an Trump fallen

Zum ersten Mal seit 20 Jahren könnte der wichtige «Swing State» wieder einen Republikaner wählen. An einer Rally von Trump-Vize JD Vance wird deutlich, warum.

«Geht nach Hause!», ruft ein Casinobesucher im Hotel Treasure Island am Las Vegas Strip. Etwa ein halbes Dutzend weitere Spieler schliessen sich ihm an. Das Gebrüll am Mittwochmorgen richtet sich an die Hunderten Donald-Trump-Fans, die nach einer Wahlkampfveranstaltung des Vize-Kandidaten JD Vance, gut erkennbar mit ihren roten «Make America Great Again»-Mützen, durch das Casino laufen.

Nevada ist ein Swing State, also einer der sieben US-Bundesstaaten, in denen noch nicht klar ist, welcher Präsidentschaftskandidat gewinnen wird. Laut einer Umfrage der Washington Post-Scholar School führt Kamala Harris in vier Swing States – Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin – knapp. Trump hingegen liegt in North Carolina und Arizona vorne.

In Nevada liegen die beiden Kandidaten mit jeweils 48 Prozent etwa gleichauf. Das, obwohl die Demokraten deutlich mehr Geld in den Wahlkampf im Bundesstaat investieren und hier seit Jahren besser organisiert sind. «Das war immer ein Problem für die Republikaner. Dieses Jahr hat sich die Registrierungsdynamik aber verändert», sagt Jon Ralston.

Die Kristallkugel ist kaputt

Der Chefredaktor des «Nevada Independent» gilt als Wahl-Orakel des schwer einschätzbaren Bundesstaates. Er sagte die Gewinner der letzten drei Wahlen im Wüstenstaat richtig voraus. Dieses Jahr sei seine Kristallkugel aber kaputt, sagt er. Was ist anders? «Es gab viel Veränderung. Vor allem aber sind die Zahlen der unabhängigen Wähler explodiert. Ausserdem ist es die erste Präsidentschaftswahl nach der Coronapandemie, in der die briefliche Wahl einen Grossteil der Stimmen ausmachen wird», so Ralston im Gespräch mit CH Media.

In der Regel ist die Wahlbeteiligung der Republikaner in Nevada grösser, als die der Demokraten. Letztere hatten in der Vergangenheit aber jeweils einen so grossen Vorsprung bei der Registrierung, um dennoch zu gewinnen. Dieser Vorsprung ist heuer aber deutlich geschrumpft. Umso wichtiger sind deshalb die rund 800’000 registrierten Wählerinnen und Wähler, die bei der Registrierung keine der beiden grossen Parteien favorisierten.

Eine von ihnen ist Karry Willinski: «Es gibt viele Konservative, die wegen der Arbeit lange nicht sagen wollten, dass sie Donald Trump unterstützen.» Während der letzten Wahlen wäre sie «gecancelled» worden, hätte sie öffentlich gesagt, dass sie den republikanischen Präsidentschaftskandidaten unterstützt, ist sie sich sicher. Heute sei ihr das egal: «Wir sind in Amerika, angeblich das land der Freien», sagt die 56-Jährige. «Wir haben uns lange genug versteckt, wir müssen unseren Stimmen gehör verschaffen.»

Karry Willinski (rechts) besuchte den Anlass mit ihrer Familie.
Bild: Natasha Hähni

Gleicher Meinung war auch Trumps möglicher Vize JD Vance in Las Vegas: «Wir wollen hier nicht nur gewinnen, wir wollen so klar gewinnen, dass wir bereits in der Wahlnacht früh ins Bett gehen können, im Wissen, die Demokraten geschlagen zu haben.» Der 40-Jährige redete am Mittwochmorgen vor rund 1200 Menschen. Immer wieder wird er von Rufen, wie «Trump, Trump», «JD, JD» oder «Kamala s*cks», also «Kamala ist sch*****», unterbrochen. Bei letzterem Kommentar stoppt Vance in der Mitte des Satzes und lacht. Er zeigt mit dem Finger auf den Mann im Publikum und sagt: «Ich stimme zu.»

«Wir sind wichtig»

Um Nevada zu gewinnen, sollen die Trump-Fans ihrem Umfeld erzählen, wieso die den Republikaner wählen. «Die Medien werden nie die Wahrheit über Kamala Harris sagen, aber wir können einander die Wahrheit sagen», so Vance. Ausserdem ermutigte er die Leute, auch per Brief und früher als am Wahltag abstimmen zu gehen. Vor allem briefliches Abstimmen wurde von Republikanern in der Vergangenheit regelmässig als Betrug bezeichnet. «Wenn Kamala Harris’ Team alle Methoden benutzt und wir nur eine davon brauchen, werden wir getötet», sagt der republikanische Senator seinem Publikum.

Hund Maggy hat ebenfalls einen Trump-Fanartikel bekommen.
Bild: Natasha Hähni

Die Kehrtwende bei der Abstimmungsmethode ist einer der Gründe, warum Demokraten bei den Wählerregistrierungen nicht mehr so deutlich vor den Republikanern liegen. Bei den letzten vier Präsidentschaftswahlen wählte der Staat letztlich immer den demokratischen Kandidaten. Wichtig sind den Menschen hier vor allem, sich ein Haus leisten zu können und die Wirtschaftslage als Ganzes. «Wir wurden unverhältnismässig stark von der Corona-Pandemie getroffen», ergänzt Ralston. Dies, weil sehr viele Menschen im Gastgewerbe tätig sind. Um die Preise für Wohnraum in Nevada zu senken, hat JD Vance bereits einen Plan: «Wir müssen mehr Häuser bauen und die illegalen Ausländer ausschaffen.» Die Idee kommt am Anlass in Las Vegas gut an. Applaus bricht aus, ein Mann in der hintersten Reihe ruft mit voller Inbrunst «Yeah!»

Nevada hat nur sechs von insgesamt 538 Stimmen im Electoral College. Die Stimmen sind proportional zur Bevölkerungszahl im Bundesstaat verteilt. Zum Vergleich: Kalifornien, der bevölkerungsreichste Staat hat 54 Stimmen und Pennsylvania, der grösste Swing State, hat 19. Die Kandidaten brauchen 270, um die Präsidentschaft zu gewinnen. Je nach Szenario könnte der «violette» – so werden Bundesstaaten bezeichnet, die weder demokratisch (blau) noch republikanisch (rot) sind – dennoch eine entscheidende Rolle bei den Präsidentschaftswahlen spielen. Oder wie Jon Ralston sagt: «We matter», also «Wir sind wichtig».