Osteuropa-Experte zu Trumps Friedenspolitik: «Der moralische Schaden wäre enorm»
Der Gewinner der US-Präsidentschaftswahl heisst Donald Trump. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie diese Nachricht erfahren haben?
Ulrich Schmid: Ich dachte: Das ist eine Weichenstellung für die Weltpolitik. Trump wird versuchen, eine radikal egoistische amerikanische Politik durchzusetzen. Für Trump ist die Weltpolitik ein grosser Handelsplatz. Wir haben schon in seiner ersten Amtszeit gesehen, dass es ihm eigentlich immer darum ging, dass die USA am Schluss mit einem Gewinn dastehen, dass es politische und wirtschaftliche Dividenden gibt. Werte wie internationale Solidarität oder gegenseitige Unterstützung spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Schliesslich hat er seinen Wählerinnen und Wählern versprochen, dass Amerika wieder gross sein wird.
Wie sieht es in Russland aus – freut man sich im Kreml über das Resultat der US-Wahl?
Es ist sicherlich das Resultat, das man sich in Moskau erhofft hat. Es ist klar, dass Trump eine Faszination für Putins Politikstil und auch eine Nähe zu Russland hat. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass sich Russland bereits in die Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt hatte. Trump plante damals Projekte in Moskau, sein Team hatte Kontakt mit den höchsten Regierungsstellen. Im Vorfeld der aktuellen Präsidentschaftswahlen organisierte Russland massive KI-Aktivitäten, die Trumps Positionen in den sozialen Medien verstärkten. Heute war also sicher ein guter Tag für den Kreml.
«Heute war sicher ein guter Tag für den Kreml.»
Sie sagten, die Wahl Trumps ist eine Weichenstellung für die Weltpolitik. Gilt das auch für den Ukraine-Krieg?
Ja. Amerika hat in absoluten Zahlen am meisten für die Ukraine bezahlt, sowohl bei der militärischen als auch bei der wirtschaftlichen Unterstützung. Trump stellte sich immer auf den Standpunkt: Wir bezahlen zu viel und sehen kein Ergebnis. Jetzt wird er natürlich versuchen, sein vollmundiges Versprechen aus dem Wahlkampf umzusetzen: den Ukraine-Krieg innert 24 Stunden zu beenden. Nur wird ihm das wahrscheinlich nicht gelingen. Dieser Konflikt ist dermassen kompliziert und verfahren, dass es auch Trump nicht schaffen dürfte, Selenski und Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Trump stellt sich ja vor, dass er einen von ihm vermittelten Deal zwischen den beiden Präsidenten durchsetzen kann.
Trump hat also einmal mehr einfach nur geblufft.
Ja. Das passt natürlich zu Trumps politischer Persönlichkeit. Er macht Versprechungen, die er entweder nicht beweisen muss, oder deren Beweis erst in der Zukunft liegt. Der erste Teil dieses Bluffs war, dass Trump im Wahlkampf immer wieder sagte, dass Russland unter seiner Präsidentschaft gar nicht erst in der Ukraine einmarschiert wäre. Das ist eine Behauptung, die man weder verifizieren noch falsifizieren kann. Als Statement hat es seine Wirkung bei den amerikanischen Wählerinnen und Wählern aber nicht verfehlt.
Hat Trump die US-amerikanische Wählerschaft also auch wegen seiner Versprechen zum Ukraine-Krieg überzeugt?
Ich glaube, das Argument, dass Trump den Krieg beenden wird, hat einen starken Eindruck hinterlassen. Der Wählerschaft war klar, dass Kamala Harris Bidens Politik in der Ukraine weitergeführt hätte. Das hätte bedeutet, dass Amerika mit gewissen Einschränkungen weiterhin militärische und wirtschaftliche Hilfe an die Ukraine geleistet hätte. Es hätte aber auch eine Weiterführung des aktuellen «too little, too late» bedeutet.
Was meinen Sie damit?
Dass die US-amerikanische Hilfe für die Ukraine weiterhin zu zögerlich und mit zu vielen Auflagen erfolgt wäre, als dass sich die militärische Situation grundlegend hätte ändern können. Vor diesem Hintergrund erschien Trump als Garant einer neuen amerikanischen Ukrainepolitik.
Was bedeutet es für die Ukraine, dass Trump die nächsten vier Jahre Präsident sein wird?
Das ist für Kiew eine schlechte Nachricht. Die Ukraine hat auf einen Sieg von Kamala Harris gehofft, gleichzeitig hat man sich aber natürlich auch auf einen Sieg von Trump eingestellt. Ob das eine radikale Wende in der ukrainischen Verteidigungspolitik zur Folge hat, wird sich erst zeigen, sobald klar ist, was Trump jetzt tatsächlich unternimmt.
Trotzdem hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Trump bereits via X zum Wahlsieg gratuliert.
Der ukrainische Präsident erinnerte in seinem Tweet an sein Treffen mit Trump im September dieses Jahres. Das Treffen, von dem man bis zuletzt nicht wusste, ob es überhaupt zustande kommt, war recht erfolgreich. Nun versucht Selenski, seinen aktuellen «Siegesplan» mit Trumps Forderung nach einem «Frieden aus der Position der Stärke» zu verbinden. Das ist allerdings ein schwieriges Unterfangen. Wir müssen davon ausgehen, dass die amerikanische Militärhilfe für die Ukraine unter Trumps Präsidentschaft abnehmen wird – und das in einer Situation, in der sich die Ukraine sowieso bereits in einer schwierigen Lage befindet. Bereits jetzt hat die Ukraine zu wenig Munition, erschöpfte Soldaten und zu wenig Nachschub.
«Wir müssen davon ausgehen, dass die amerikanische Militärhilfe für die Ukraine unter Trumps Präsidentschaft abnehmen wird.»
Könnte das den Krieg jetzt entscheiden?
Ja, wenn man bedenkt, dass die USA bisher den grössten Teil der Militärhilfe geleistet haben, könnte die Wahl Trumps den Kriegsverlauf tatsächlich nachhaltig beeinflussen.
Hat Trumps Wahl auch Auswirkungen auf Nachbarstaaten der Ukraine?
Mit Blick auf die Wahlen, die kürzlich in Georgien und in Moldau stattgefunden haben, zeigt sich ein gemischtes Bild. In Moldau gewann die proeuropäische Präsidentin knapp, in Georgien siegte die prorussische Regierungspartei. Wir haben also in beiden Ländern keine klare Situation. Für Georgien und Moldau hat aber die Wiederwahl von Trump nicht dieselben tiefgreifenden Folgen wie für die Ukraine, weil für diese beiden Länder Europa als Partner wichtiger ist als die USA.
Wird die Gefahr für russische Angriffe auf weitere Staaten mit Trump als Präsidenten grösser?
Viele befürchten, dass Trump das Bündnis mit der Nato schwächen wird. Andererseits hat man in den USA dafür gesorgt, dass der Präsident die Nato-Mitgliedschaft nicht einfach so kündigen kann, sondern dass der US-Senat mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen müsste. Wahrscheinlicher ist, dass sich die USA in der Nato fortan zögerlicher und zurückhaltender engagieren werden. Wenn man aber bedenkt, dass sich in Trumps letzter Regierung viele Generäle befanden, die für die transatlantische Sicherheit eingestanden sind, kann man wohl davon ausgehen, dass Trumps Stab und Administration die negative Haltung des zukünftigen Präsidenten zur Nato abschwächen werden.
Was bedeutet Trumps Wahlsieg für Europa?
Für die europäischen Staaten wird Trumps Wahl ein Appell sein, sich stärker um die eigene Verteidigung zu kümmern, weil auf den mächtigen transatlantischen Partner nicht mehr ohne Weiteres Verlass ist. Deutschland und Frankreich gehen bereits als Beispiel voran. Vor allem das französische Selbstbewusstsein dürfte zunehmen, weil Frankreich die einzige verbleibende Atommacht innerhalb der EU ist. Das könnte gaullistische Positionen in der französischen Regierung an die Oberfläche bringen. Emmanuel Macron wird versuchen, eine europäische Sicherheitsstruktur aufzubauen, die weniger abhängig von den USA ist.
«Emmanuel Macron wird versuchen, eine europäische Sicherheitsstruktur aufzubauen, die weniger abhängig von den USA ist.»
Hat das auch Konsequenzen für die Schweiz?
Ich denke, dass sich die Schweiz, genauso wie andere europäische Staaten, verstärkt auf ihre eigene Verteidigung besinnt. Sicherheitspolitisch hat die Schweiz aber natürlich den grossen Vorteil, dass wir Trittbrettfahrer der Nato sind. Als neutrale Insel, die lückenlos von einem Ring von Nato-Staaten umgeben ist, sind wir das pure Gegenteil von Staaten wie Moldau, Georgien oder Armenien, die geopolitisch viel stärker exponiert sind.
Welche anderen Kräfte könnten jetzt in der Ukraine in die Bresche springen, wenn sich die USA zurücknehmen?
Das ist schwierig zu sagen. Ob jetzt tatsächlich ein stärkeres europäisches Engagement kommen wird, ist aber fraglich. Die deutsche Regierung ist in der Krise und hat auch nicht die Mittel, einen Rückgang der US-amerikanischen Unterstützung auszugleichen. Falls die US-amerikanische Hilfe an die Ukraine zurückgeht, bleibt nur zu hoffen, dass auch die russischen Kräfte schwinden.
Im Juni legten zwei Trump-Berater einen Plan vor, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden sollte. Er sah vor, sowohl Russland als auch die Ukraine unter Druck zu setzen. Kommt jetzt der Paradigmenwechsel, dass auch die Angegriffenen dazu gebracht werden sollen, einzulenken?
Das Einzige, womit die USA den Angreifer Russland unter Druck setzen können, ist die Warnung, man werde die Ukraine massiv aufrüsten. Der Ukraine sagt man im Gegenzug: Wenn ihr nicht einlenkt, stellen wir die Militärhilfe an euch ein. Es ist aber klar, dass es sehr viel teurer ist, Russland unter Druck zu setzen, als die Ukraine unter Druck zu setzen. Der Deal steht also auf wackligen Füssen. Der Plan schafft eine Ausgangslage, in der die Ukraine stärker unter Druck gerät als die angreifende Seite, also Russland.
«Der Plan schafft eine Ausgangslage, in der die Ukraine stärker unter Druck gerät als die angreifende Seite, also Russland.»
Realistischer wäre also, dass der Ukraine ein Frieden aufgezwungen wird, beispielsweise durch Gebietsverluste?
Ja, genau. Das Problem ist, dass Putin im Vorfeld der Bürgenstock-Konferenz seine eigenen Konditionen formuliert hat. Er hat neben einer faktischen Kapitulation der Ukraine und dem Verbot einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft noch zwei Dinge gefordert: das Ende der westlichen Sanktionen gegen Russland und eine internationale Anerkennung der neuen Grenzen von Russland. Eine solche Land-gegen-Frieden-Lösung würde einen enormen moralischen Schaden bedeuten. Denn, wie immer dieser Friedensschluss im Detail ausfallen würde, würde das der Weltgemeinschaft zu verstehen geben, dass sich der russische Angriff damit in letzter Konsequenz gelohnt hat.
«Eine solche Land-gegen-Frieden-Lösung würde einen enormen moralischen Schaden bedeuten.»
Gibt es auch Grund zur Hoffnung?
Die zweite Amtszeit von Trump kommt für Europa nicht aus dem Nichts. Wir sind schon einmal vier Jahre mit ihm ausgekommen. Im besten Fall gewinnt Europa nach der Wahl von Trump ein neues Selbstbewusstsein. Die USA werden dennoch ein wichtiger Partner für die europäischen Staaten bleiben. Ich denke, diese vier Jahre werden die Geschichte Europas nicht radikal verändern. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied zu Trumps erster Präsidentschaft. Damals war die Weltpolitik nicht mit so fundamentalen Herausforderungen wie dem Ukraine-Krieg und dem Konflikt im Nahen Osten konfrontiert. Die Karten sind nun tatsächlich neu gemischt.