Verschollenerklärung: Wie ein bürokratischer Schritt auch Auswirkungen auf die Psyche hat
Lange haben die Angehörigen gewartet und gehofft, dass Mirjam Scherrer-Peyer wieder auftaucht. Seit fast elf Jahren gilt sie als vermisst. Jetzt nimmt die Hoffnung ein Ende und das mit einem sehr bürokratischen Begriff: Antrag auf Verschollenerklärung. Der letzte Aufruf ist für Angehörige aber mehr als nur Bürokratie.
Mit einem letzten Zeugenaufruf setzt das verantwortliche Bezirksgericht im Kanton Aargau eine einjährige Frist, in der nochmal öffentlich dazu aufgefordert wird, sich beim Gericht zu melden, wenn man Informationen über die vermisste Person hat. Läuft die Frist ab, wird die vermisste Person für Verschollen und damit auch juristisch für tot erklärt.
Die Frist, wann ein Antrag gestellt werden kann, beträgt entweder ein oder fünf Jahre, seit die Person vermisst wird. Oft warten Angehörige aber länger als gesetzlich verlangt. Wenn sie es dann tun, kann das laut Psychologe Thomas Spielmann zwei Gründe haben. «Es kann sowohl der Wunsch sein, jetzt damit abzuschliessen, als auch ein Zeichen, keine Hoffnung mehr zu haben», sagt er gegenüber ArgoviaToday.
Frist bei Todesgefahr: Wird eine Person beispielsweise seit einem Flugzeugabsturz vermisst, kann ein Antrag auf Verschollenerklärung bereits nach einem Jahr gemacht werden, da vom Tod der Person ausgegangen werden kann.
Frist bei nachrichtloser Abwesenheit: Hat eine Person aber beispielsweise ihr Haus zum Einkaufen verlassen und wurde danach nicht mehr gesehen, gehört oder sonst erreicht, gilt es als «nachrichtlose Abwesenheit». Dann kann ein Antrag erst nach fünf Jahren gestellt werden.
«Die Mutter eines verschollenen Sohnes sagte mir einmal, sie führe ein Leben in der Tiefkühltruhe. Ein tiefgefrorenes Leben könne weder sterben noch leben», berichtet Spielmann. Der Mensch ertrage fast jedes «Wie», solange er das «Warum» dazu hat. Ungewissheit verhindere es aber, sich mit einem Schicksalsschlag auseinanderzusetzen oder ihn zu verarbeiten, erklärt der Psychologe weiter. Eine offizielle Verschollenerklärung sei genau deshalb enorm wichtig für Angehörige.
«Neben der Qual der schrecklichen Ungewissheit sind sie häufig auch von Schulden und Armut bedroht», erklärt Spielmann. So können etwa Erb- oder Rentenansprüche erst durch diese Erklärung geltend gemacht werden. Darum ist die Erklärung ist für die ebenso Bürokratie notwendig. Andererseits helfe ein amtliches, «offizielles» Dokument auch psychisch. «Viele Angehörige können dadurch endlich mit dem Trauerprozess beginnen», so Spielmann.