Datenproblem beim BAG «beschädigt Glaubwürdigkeit» – Spitaleinweisungen wegen Corona sind tiefer als ausgewiesen
In der Pandemie stützt sich der Bundesrat bei seinen Entscheiden in erster Linie auf Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Ob schärfere Massnahmen ergriffen oder bestehende gelockert werden, hängt stark von der Auslastung der Spitäler ab. Die Menge und die Verlässlichkeit der Daten in der Coronapandemie können entsprechend als wegweisend und essenziell erachtet werden.
Doch genau hier sorgt das BAG immer wieder für Verwirrung. In der ersten Coronawelle wurde Kritik laut an der Beurteilung der Covid-Todesfälle: Stirbt jemand am Virus selbst oder in Zusammenhang damit? Nun stellen Berichte des «Blick» und des Westschweizer TV-Senders «Léman Bleu» die Aussagekraft eines weiteren Parameters der BAG-Zahlen zum Coronavirus in Frage: die Hospitalisierungen.
Bis zur Hälfte aller Fälle sind nicht wegen Corona im Spital
Längst nicht alle der statistisch ausgewiesenen Coronafälle sind wegen einer Covid-Infektion im Spital gelandet, sondern erst dort positiv getestet worden. Das heisst: Wenn eine Person mit einem Beinbruch oder einer Blinddarmentzündung in ein Spital eingeliefert wird und beim Eintritt positiv auf das Coronavirus getestet wird, nimmt das BAG diese Person in die Statistik der Covid-Hospitalisierungen auf.
Wie der Blick schreibt, sei in einigen Spitälern fast die Hälfte aller stationär behandelten Coronapatienten nicht wegen des Virus eingeliefert worden, sondern primär wegen anderer Symptome. Die Coronainfektion wird also in einem beträchtlichen Teil der Hospitalisierungen lediglich als Nebendiagnose festgestellt.
Die BAG-Zahlen haben einen grossen Einfluss auf die Massnahmen, die der Bundesrat zur Eindämmung des Coronavirus verhängt. Angesichts dieser Tatsache sorgt die Konfusion um die Statistik zu den Spitaleinweisungen für Aufsehen, nicht zuletzt in der Politik.
Ständerat will klare, transparente Kommunikation
Erich Ettlin (Mitte, OW) ist Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission. Er sagt:
«Es ist nicht gut, dass es wieder Verwirrung um Zahlen gibt.»
Das beschädige die Glaubwürdigkeit der Coronapolitik, zumal die Massnahmen auf den Spitaleinweisungen beruhten. Ettlin geht davon aus, dass Bundesrat Alain Berset an der nächsten Sitzung der Gesundheitskommission mit Fragen zum Thema konfrontiert werden wird.
Unter dem Strich ändere sich durch die Art und Weise der ausgewiesenen Covid-Hospitalisierungen zwar nichts an der Tatsache, dass die Intensivstationen sehr stark ausgelastet seien. Ettlin fordert aber vom Bundesamt für Gesundheit eine klare Kommunikation: «Wir brauchen verlässliche und kontinuierlich vergleichbare Zahlen.» Sonst drohe der Unmut der Bevölkerung über die Massnahmen zu wachsen.
Ettlin taxiert die Taktik des Bundesrats, trotz steigender Fallzahlen wegen Omikron vorerst auf schärfere Massnahmen zu verzichten, als richtig. Im Hinblick auf die nächste Bundesratssitzung hält er es indes für verfrüht, bereits Lockerungen zu beschliessen – «auch angesichts der sehr hohen Fallzahlen». In gewissen Bereichen könne der Bundesrat jedoch nachjustieren: «Es ist schwer verständlich, weshalb man zum Beispiel beim Tennisspielen in der Halle oder beim Reiten eine Maske tragen soll.»
Zuger Nationalrätin ortet ein «grundsätzliches Datenproblem beim BAG»
Auch Barbara Gysi, SP-Nationalrätin und Mitglied der Gesundheitskommission findet es «nicht optimal», dass in der Statistik auch die Personen ausgewiesen werden, bei denen die Infektion nicht der Grund für die Einweisung war. «Doch man darf nicht vergessen, dass jede Person, die positiv getestet wurde, eine aufwendigere Betreuung braucht im Spital. Alleine schon wegen den zusätzlichen Hygienemassnahmen», so die St.Gallerin.
Rats- und Kommissionskollegin Manuela Weichelt von den Grünen ortet ein «grundsätzliches Datenproblem beim BAG». Sie fordert schon seit einiger Zeit, dass das BAG klare Definitionen für die Kategorisierung der Fälle festlegt: «Nur so kann eine einheitliche und damit aussagekräftige Statistik generiert werden.»
Weichelt wünscht sich allgemein mehr Daten, etwa dazu, mit welcher Variante die Intensivpatienten infiziert sind. «Das BAG hatte nun bald zwei Jahre Zeit, zusätzliche Daten von den Spitälern und Kantonen einzufordern. Doch da hat sich praktisch nichts getan», so Weichelt. Wie Ettlin geht die Zugerin davon aus, dass das Datenproblem in der nächsten Sitzung der nationalrätlichen Gesundheitskommission aufgebracht wird.
Auch Damian Müller sieht Korrekturbedarf bei der Statistik. «Spitäler sollten bei der Klassifizierung vorsichtiger sein, aber ist nicht immer einfach, Covid-Fälle von anderen Fällen zu unterscheiden», sagt der Luzerner FDP-Ständerat. Ein grosser Umbruch in der Coronapolitik sei aber nicht nötig. «Ausschlaggebend bleibt die Besetzung der Intensivstationen, und hier ist die Unterscheidung zwischen Corona-Patienten und anderen recht einfach möglich», sagt der Vizepräsident der Gesundheitskommission.
BAG sagt, Zahl sei womöglich zu hoch angesetzt
Dass in den Datenmeldungen der Spitäler nicht zwischen «an Covid» und «mit Covid» erkrankt unterschieden wird, hat der Bundesrat bereits in der vergangenen Herbstsession in einer Antwort aus der Fragestunde festgehalten. Auch das BAG bestätigt diese Handhabung: «Wir haben die Hospitalisationen auf unserem Dashboard immer als ‹in Zusammenhang mit COVID-19› ausgewiesen.» Heisst: Die Zahlen beinhalten alle Personen, die positiv sind, egal ob sie bereits bei Eintritt positiv waren oder erst im Spital getestet wurden.
Dennoch gibt das BAG zu, dass bei den aktuell sehr hohen Fallzahlen in der Tat davon auszugehen sei, dass einige Spitalpatientinnen und –patienten zwar positiv auf Covid getestet würden, aber keinerlei Symptome nachweisen: «Es ist deshalb möglich, dass die Anzahl der Hospitalisationen zu hoch angesetzt ist», so das BAG.