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Nützt oder schadet Sport dem Immunsystem? Ein Experte ordnet ein

Es ist kompliziert: Regelmässige Bewegung hilft, Krankheitserreger besser zu bekämpfen. Gleichzeitig kann Sport das Immunsystem aber auch schwächen. Was es zu beachten gilt, um möglichst gesund durch den Winter zu kommen.

Bewegung gilt gemeinhin als Wundermittel. Sie soll Herz und Kreislauf stärken, das Immunsystem ankurbeln und Krankheiten vorbeugen. Tatsächlich weiss man, dass regelmässige körperliche Aktivität zwar nicht das Infektionsrisiko von Atemwegsinfektionen wie Erkältungen, Schnupfen und Rachenentzündungen generell verringert. Aber sie führt zu einem nachweislich milderen und kürzeren Verlauf der Krankheit – der Effekt ist sogar grösser als mit Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten.

Und: «Es gibt Daten, dass körperlich aktive Menschen seltener aufgrund von Atemwegsinfektionen hospitalisiert werden müssen und auch seltener an solchen Erkrankungen sterben», sagt Claudio Nigg. Er ist Professor an der Universität Bern und leitet dort die Abteilung Gesundheitswissenschaft am Institut für Sportwissenschaft.

Stresshormone werden reduziert

In der Corona-Pandemie hat Nigg im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG)einen Bericht verfasst, der darlegt, wie körperliche Aktivität auf das Immunsystem wirkt. Demnach zeigen verschiedenste Untersuchungen, dass regelmässiges Training entzündungshemmende Reaktionen verstärkt, indem vermehrt Abwehrzellen freigesetzt werden, unter anderem die sogenannten T-Helferzellen und natürliche Killerzellen. Konkrete Zahlen für Covid-19 zeigen, dass inaktive Personen ein 2,3 Mal höheres Risiko für Hospitalisierung, ein 1,7 Mal höheres Risiko für Intensivstation und ein 2,5 Mal höheres Sterberisiko haben als regelmässig Aktive.

Sport hat nicht nur einen direkten, sondern auch indirekt positiven Effekt auf das Immunsystem, wie Claudio Nigg erklärt: «Regelmässige körperliche Aktivität wirkt stressreduzierend. Und das tut dem Immunsystem gut, denn Stresshormone blockieren nachweisliche die Zirkulation von Immunzellen im Blut.» Interessant ist auch die Beobachtung, dass körperliche Aktivität die Wirksamkeit von Impfungen erhöhen kann.

Um von den positiven Effekten zu profitieren, sei Regelmässigkeit das Allerwichtigste, betont Nigg weiter. Allgemein empfiehlt sich, an zwei bis vier Tagen der Woche für eine halbe bis eine Stunde im moderaten bis intensiven Bereich aktiv zu sein.

Mit moderater Intensität ist zum Beispiel ein zügiger Spaziergang gemeint, lockeres Radfahren oder Schwimmen. Als Faustregel gilt: Wenn man nebenbei noch reden, allerdings nicht mehr singen kann, bewegt man sich im mittleren Aktivitätsbereich. Wenn kein durchgehendes Gespräch mehr möglich, im intensiven Bereich. Ist das Aktivitätslevel niedrig, zum Beispiel bei leichter Hausarbeit wie Boden putzen, wird das Immunsystem hingegen kaum stimuliert.

Regeneration ist wichtig

Allerdings: Ein zu hartes Training kann die Abwehrkräfte – zumindest vorübergehend – schwächen. Fachleute sprechen vom «Open-Window-Effekt». Was dabei geschieht,hat eine australische Studie bei zehn Elite-Radfahrern untersucht. Die Forscher um Michael Kakanis liessen die jungen Männer während zwei Stunden mit maximaler Intensität trainieren. Anschliessend nahmen sie ihnen nach 2, 4, 6, 8 und 24 Stunden danach Blut ab.

Resultat: Insbesondere die natürlichen Killerzellen waren bis zu 8 Stunden nach dem Training reduziert. Auch die Funktion der neutrophilen Granulozyten, die Bakterien abwehren, nahm ab und blieb bis 24 Stunden danach beeinträchtigt.

Zudem weiss man aus anderen Untersuchungen, dass Immunzellen nach einem harten Training zu verletztem Gewebe oder Muskeln umgeleitet werden, sodass sie für andere Abwehrmechanismen nicht mehr verfügbar sind. Je nach Intensität dauert es 3 Stunden bis 3 Tage, bis sich das Immunsystem wieder erholt hat.

Nigg betont, dass man nicht gänzlich auf intensive Trainings verzichten müsse. Denn längerfristig betrachtet kann intensives Intervalltraining zu einer anhaltenden Verbesserung des Immunsystems führen. So sei es vor allem wichtig, sich nach einer harten Einheit genügend Erholung zu gönnen.

Und: «Wer sich bislang körperlich kaum betätigt hat, sollte nicht gleich mit so harten Trainings einsteigen, sondern sich langsam an immer höhere Belastungen gewöhnen», sagt Nigg. Zudem betont er, dass, wer bereits angeschlagen sei, auf solche Trainingseinheiten definitiv verzichten sollte. «Andererseits riskiert man nicht nur, dass das Herz geschädigt wird, sondern auch das Immunsystem dauerhaft geschwächt wird.»

Bewegung in der frischen Luft

Gerade im Winter kommt die Kälte als zusätzliche Herausforderung für die Abwehr hinzu. Temperaturen unter 8 Grad Celsius in Kombination mit Bewegung sind nämlich ein zusätzlicher Stressor für den Körper. Wichtig sei daher, sich «adäquat zu kleiden», sagt Nigg. Starkes Frieren sollte demnach unbedingt vermieden werden, aber auch zu starkes Schwitzen. Deshalb sollte man sich zu Beginn des Trainings nicht zu dick einmummeln. Besser ist das altbewährte Zwiebelprinzip: mehrere dünne Schichten aus atmungsaktiver und feuchtigkeitsableitender Kleidung.

«Sofern es möglich ist, macht es durchaus Sinn, die körperliche Aktivität so in den Tag zu legen, dass man sie bei angenehmen Temperaturen und vor allem bei Tageslicht absolvieren kann», fügt Nigg hinzu. Denn die Sonne stimuliert die körpereigene Vitamin D-Produktion. Das im Volksmund genannte Sonnenvitamin unterstützt das Immunsystem zusätzlich. Denn es regt die Produktion von Fresszellen an, erhöht die Aktivität von natürlichen Killerzellen und sorgt dafür, dass Immunzellen schneller zum Infektionsherd gelangen.

Trotz dieser positiven Wirkung von Vitamin D rät Thomas Rosemann entschieden davon ab, entsprechende Vitamintabletten zu schlucken: «Das ist wirkungslos, genauso wie die Einnahme von Vitamin C- und Zink-Präparaten», sagt der Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich. Wichtig sei aber eine ausgewogene, vitaminreiche Kost. Eine Ausnahme gilt für Personen, die von Natur aus ein Risiko für einen Mangel haben, etwa Säuglinge, Schwangere, alten Menschen und Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Um einen Infekt abzuwehren oder abzukürzen, rät Rosemann zudem zu einer Nasensalbe sowie prophylaktisch beim ersten Anflug eines Infekts mit Salzwasser zu gurgeln. Dadurch würden Keime quasi abgewaschen und es verhindert, dass die Schleimhäute austrocknen «Viren brauchen einige Stunden, um die Schleimhaut zu durchdringen und sie tun sich leichter bei trockener Schleimhaut», so Rosemann. Zudem hätten Saunabäder nachweislich positive Effekte.

Vor allem aber betont auch Rosemann die Wichtigkeit von Bewegung an der frischen Luft für das Immunsystem. Die gute Nachricht für Bewegungsmuffel ist, dass mit lediglich 15 Minuten am Tag schon viel erreicht ist:In einer Studie im Medizinjournal «The Lancet»beobachteten Forscher aus Taiwan über 400’000 Menschen, die sich im Schnitt 15 Minuten täglich bewegten, etwa walkten oder joggten. Selbst so wenig Bewegung zeigte deutliche Vorteile gegenüber gar keiner Aktivität: Menschen in dieser Gruppe hatten eine höhere Lebenserwartung und verstarben seltener an schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs.