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Von Understatement bis Scones: Was wir an der feinen englischen Art lieben

England ist viel mehr als grölende, Bier kippende Fussballfans. Treffender: ein stilmässiges Vorbild. Eine Lobeshymne.

Die Engländer sind Europameister. Nein, nicht im Fussball. Am Samstag gegen die Schweiz wird auf dem Fussballplatz Endstation sein – so jedenfalls mein ausdrücklicher Wunsch.

Wenn es allerdings um den Bierkonsum geht, haben sie definitiv gewonnen. Steht Fussball an, trinken die Engländer Bier. Hektoliterweise. Kein Klischee, sondern Tatsache. Zu Beginn der Meisterschaft haben die englischen Fans fast die Düsseldorfer Altstadt leer getrunken, berichtete die «Rheinische Post». Entsprechend gerüstet sind die Gastronomen für Samstag; das Spiel Schweiz gegen England wird im Düsseldorfer Stadion ausgetragen. Guinness, Cider, Pils – die Pub-Keller der Gartenstadt sind nun randvoll mit Fässern.

«Beer we go!» also, um die Three Lions anzufeuern. Dabei wird gerne über die Stränge geschlagen. Was das britische Aussenministerium vor der EM zu einem kuriosen Reisehinweis hinreissen liess: Man solle verantwortungsvoll trinken und seine Grenzen kennen, das Bier in Deutschland könne nämlich stärker sein als in Grossbritannien.

Die EM hat bis dato gezeigt, dass auf diese Empfehlung gepfiffen wird. Es dürften also nicht die vorteilhaftesten Bilder sein, die am Samstag von trinkfreudigen englischen Fans um die Welt gehen. Grölend, johlend, rotgesichtig – den Ball flach halten ist anders.

Dass die Engländer dem Bier derart frönen, gründet allerdings nicht in einem primitiven Trieb, möglichst blau zu sein, sondern in einer tief verankerten Kultur, der Pub-Kultur. Das Pub ist seit Jahrhunderten mehr als bloss ein Ort, an dem gegessen und eben getrunken wird. Es ist ein Ort, wo man sich aufhalten und wohlfühlen kann. Das zweite Zuhause, eine soziokulturelle Institution, die gehegt und gepflegt wird. So sehr, dass Engländerinnen und Engländer auch im Ausland nicht darauf verzichten wollen, was die Pub-Dichte in der Schweiz erklärt.

Dieses England ist reich an solchen Traditionen. Dabei beweist es bis heute in vielen Bereichen einen untrüglichen Stil, wenngleich die Saufgelage im Dunstkreis des Fussballs etwas anderes vermuten lassen. Von dieser feinen englischen Art können wir uns alle ein Stück abschneiden. Ich habe die mir liebsten Errungenschaften rausgepickt und stimme damit eine Lobeshymne auf England an. Fernab der Europameisterschaft.

Einrichtung

Das Chesterfield-Sofa, der Inbegriff von Interior Chic.
Aimadbro / Shutterstock

Es ist kein Zufall, dass von Interior Chic die Rede ist, wenn es um den Einrichtungsstil der Engländer geht. Setzen sie in vielen Lebensbereichen auf Understatement, ist hier das Gegenteil der Fall: Die Engländer lieben es zuhause prunkvoll, pompös, ja eklektisch. Kombiniert wird alt mit neu, Hauptsache: gemütlich.

Die Chesterfield Couch ist der Inbegriff des Interior Chics. Entworfen wurde das Sofa erstmals im 18. Jahrhundert, bis heute ist es ein Klassiker. Dank der üppigen Polsterung wie geschaffen für kuschelige Abende vor dem Kamin.

Was die Engländer auch richtig gut können: Wände. Alteingesessene Labels, die als die Spezialisten für Tapeten und Wandfarbe gelten, gibt es zuhauf. Mein Favorit: Farrow & Ball. Die Wandfarben punkten mit höchster Qualität und einer Farbauswahl, die einzigartig ist.

Afternoon Tea

Simpy splendid: Scones, englische Teebrötchen, werden stilecht mit Erdbeerkonfitüre und Clotted Cream serviert.
Tomophafan / Shutterstock

Die Teatime, eine Erfindung des Adels, ist das Sinnbild für die englische Genusskultur. Die elegante Zwischenmahlzeit ist den Engländerinnen und Engländern heilig. Da könnte die Welt ringsherum untergehen, so manche und mancher würde eisern daran festhalten. Der Afternoon Tea steht im krassen Gegensatz zu Fish und Chips im Pub: Mini-Häppchen, Naschereien und eine exquisite Teeauswahl werden im Salon eingenommen. Neben dem Gurkensandwich haben es mir Scones besonders angetan. Die dezent süssen Teebrötchen aus Mürbeteig sind einfach zuzubereiten und werden stilecht mit Erdbeer-Konfi und Greyerzer Doppelrahm serviert – die übliche Clotted Cream ist hier nur schwer zu finden. Am besten noch lauwarm auftischen. Einfache Rezepte und Varianten gibt’s zum Beispiel beiswissmilk.choderwildeisen.ch. Simply splendid, are they not?

Understatement

Die Komikertruppe Monty Python führte die englische Tiefstapelei ad absurdum. Hier bei den Dreharbeiten zu «The Life of Brian» im Jahr 1978.
Evening Standard / Archive Photos

Wenn es wieder mal stark regnet und ich das mit «Es giesst wie aus Kübeln» kommentiere, würde meine Freundin aus London trocken feststellen, es handle sich um ein Nieseln, «a slight drizzle». Understatement gehört zur DNA der englischen Kultur. Eine Lebenseinstellung, bei der man sich in Zurückhaltung und subtiler Rhetorik übt, fernab von Angeberei und Drama. Auch in manchen Schweizer Regionen tendiert man zu dieser Haltung; in Basel gehört es zum guten Ton des «Daigs», niemals mit Reichtum anzugeben. Das ist weitaus sympathischer, als mit fetten Autos und Bling-Bling-Schmuck zu klotzen. Understatement steht aber auch für den humorvollen Umgang mit herausfordernden Situationen. Gerade in den aktuell schwierigen wirtschaftspolitischen Zeiten ein wohltuendes Mittel, um cool zu bleiben. Wenigstens einigermassen. (rae)

Kleidung

Tweed-Mantel von Stella McCartney.
zvg

Trends kommen und gehen, der klassisch-britische Stil bleibt. Begeistert auch junge Generationen, immer wieder. Beispiel: der Blazer aus Tweed, einem hochwertigen, strapazierfähigen Gewebe aus reiner Schurwolle, in den vergangenen Jahren enorm populär. Saison für Saison bringen Designer neue Interpretationen des traditionellen Schnitts, so etwa Stella McCartney. Zu ihrem Kurzmantel (Bild) kombiniert man am besten Chelsea Boots – ein weiterer Klassiker.

The Beatles verhalfen den Chelsea Boots zu Popularität.
Rolls Press/ / Popperfoto

Erfunden von Königin Victorias Schuhmacher im 19. Jahrhundert für den Reitsport, gehören die Stiefeletten heute zur Grundausrüstung jeder anständigen Garderobe. Das ist unter anderem den Beatles zu verdanken, die die Boots mit den typischen seitlichen Gummibandeinsätzen in den 1960er-Jahren trugen. Spätestens dann wanderten die Stiefel vom Land in die Stadt ein – wie so viele, viele Essentials der britischen Kleidung.