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Aargauer Nationalrätin Irène Kälin wünscht sich Wechsel an der Parteispitze der Grünen – und weist eigene Ambitionen zurück

Nach der Wahlniederlage der Grünen wird Balthasar Glättli als Präsident hinterfragt – auch von Irène Kälin. Sie sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Doch als Positionierung fürs Präsidium versteht sie dies nicht.

«Glättli schliesst Rücktritt nicht aus», «Tritt Balthasar Glättli zurück?», «Sind Sie noch der richtige Grünen-Präsident, Herr Glättli?» – Es gibt kaum ein Medium, das am Wahlsonntag nicht die Glättli-Frage stellte. 3,8 Prozent an Wähleranteilen und 5 Sitze im Nationalrat haben die Grünen schweizweit verloren. Eine herbe Schlappe.

Auch Irène Kälin, Aargauer Nationalrätin und Parteigrösse, wurde die Glättli-Frage gestellt. Der «Tages-Anzeiger» befragte sie und andere Grüne am Montag nach den Ursachen und den Folgen der Klatsche. Einige der befragten Parteimitglieder würden einen Wechsel an der Parteispitze begrüssen. Glättli leiste gute Arbeit, doch als Aushängeschild sei er nicht der geeignetste Präsident: zu verkopft, zu wenig charismatisch, so die parteiinterne Kritik. Doch mit Namen hinstehen wollte niemand.

Ausser Irène Kälin. Als Einzige der befragten Grünen hinterfragt sie die Parteispitze mit deutlichen Worten. «Balthasar Glättli ist ein genialer Analytiker und Denker, aber nicht der beste Wahlkämpfer», sagt Kälin. Es ist eine knackige Aussage, das Zitat landet im Titel. Ob sie selber Verantwortung übernehmen würde, fragt der «Tages-Anzeiger». Kälin antwortet mit einer doppelten Verneinung: «Das ist kein Gedanke, den ich mir nicht machen würde.»

Zurück bleibt eine Frage: Positioniert sich Kälin damit bereits als mögliche Glättli-Nachfolgerin, sollten die Rücktrittsforderungen lauter werden?

«Balthasar Glättli ist ein genialer Analytiker und Denker, aber …»: Irène Kälin äussert leise Kritik an ihrem Parteipräsidenten.
Bild: Henry Muchenberger

Keine Positionierung fürs Parteipräsidium

Anruf bei Irène Kälin. Ihre Antwort am Dienstagmorgen ist ebenso klar wie die Äusserung am Vortag: «Nein, absolut nicht.» Für sie gebe es in Krisensituationen jeweils zwei Möglichkeiten: Festhalten am Bewährten oder einen Wandel. «Ich persönlich bin in solchen Situationen immer für den Wandel.» Kälin räumt ein, man könne dies natürlich auch genau gegensätzlich sehen.

Ihre Aussage im «Tages-Anzeiger» versteht sie eher so: «Wenn man Kritik äussert, muss man auch bereit sein, selbst Verantwortung zu übernehmen. Und dafür wäre ich bereit.» Die doppelte Verneinung sei bewusst gewählt gewesen, sagt die Rhetorikerin Kälin. «Ich wollte ein durchaus nicht allzu aktives Interesse bekunden.»

Den Knochenjob Parteipräsidium könne sie sich in ihrer momentanen Situation mit einem kleinen Kind, wenn überhaupt, nur in einem Co-Präsidium vorstellen. Und ohnehin: «Es gibt in meinen Augen bei weitem fähigere Kandidatinnen oder Kandidaten als mich.»

Die Spitze soll die Breite der Partei abbilden

Sie wünscht sich eine Parteispitze, welche die Diversität der Partei besser darstelle, welche die junge, feministische Seite der Partei besser abbilde. So ging denn Kälins Zitat beim «Tages-Anzeiger» auch noch weiter. Nur schaffte es die zweite Hälfte nicht in den Titel: «Glättli ist nicht der repräsentative Präsident einer Partei, die nach wie vor bunter, jünger und weiblicher ist.»

Im Gespräch mit Kälin fällt ein Name, den auch andere Parteikolleginnen und -kollegen im «Tages-Anzeiger» genannt haben: Franziska Ryser. Die St. Galler Nationalrätin, die am Wahlsonntag ihren 32. Geburtstag feierte, wird gar als mögliche Bundesratskandidatin gehandelt. Sie gilt als kompetent, moderat und geschätzt über die Parteigrenzen hinweg.

Nichts illustriert dies besser, als dass sie im Kanton St.Gallen Panaschierkönigin wurde – also am meisten Stimmen von Listen anderer Parteien erhalten hat. Dies ist allerdings bei Irène Kälin nicht anders: sie holte sich den Titel der Panaschierkönigin im Kanton Aargau.

Dennoch will Kälin ihre Äusserungen über Glättli nicht als Angriff lesen. «Balthasar leistet eine grossartige Arbeit als Politiker. Ich verwehre mich, ihm die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen.»